Bispezifischer Antikörper Linvoseltamab verfügbar |
| Kerstin A. Gräfe |
| 13.11.2025 07:00 Uhr |
Beim multiplen Myelom entarten Plasmazellen (blau), die normalerweise hauptsächlich Antikörper zur Immunabwehr produzieren und absondern. / © Getty Images/wildpixel
Das multiple Myelom (MM) ist eine aggressive und bislang nicht heilbare Form von Blutkrebs, bei der die im Knochenmark gebildeten Plasmazellen angegriffen werden. Häufig entwickeln die Betroffenen bereits nach wenigen Therapiezyklen Resistenzen gegen die drei Haupttherapieklassen Immunmodulatoren, Proteasom-Inhibitoren und Anti-CD38-Antikörper.
Für diese Patienten ist mit Linvoseltamab (Lynozyfic® 5 mg/200 mg Konzentrat zur Herstellung einer Infusionslösung, Regeneron) eine neue Therapieoption verfügbar. Der bispezifische Antikörper darf angewendet werden bei erwachsenen Patienten mit rezidiviertem und refraktärem MM, die zuvor mindestens drei Therapien erhalten haben und deren Erkrankung unter der letzten Therapie fortgeschritten ist. Unter den Vortherapien müssen sich ein Immunmodulator, ein Proteasom-Inhibitor und ein Anti-CD38-Antikörper befunden haben. Lynozyfic ist zur Monotherapie bestimmt und wird so lange gegeben, bis es zu einer Krankheitsprogression oder inakzeptablen Toxizität kommt.
Linvoseltamab bindet an das Protein CD3 auf T-Zellen sowie an das B-Zell-Reifungsantigen (BCMA), das auf Zellen der B-Linie beim malignen MM sowie auf reifen B-Zellen und Plasmazellen exprimiert wird. Dadurch werden die beiden Zellen einander angenähert und die T-Zellen zur Abtötung der Myelomzellen stimuliert.
Lynozyfic wird als intravenöse Infusion verabreicht. In Woche 1 wird eine Dosis von 5 mg appliziert, gefolgt von 25 mg in Woche 2. In Woche 3 wird die erste volle Behandlungsdosis von 200 mg verabreicht. Anschließend erhalten die Patienten von Woche 4 bis Woche 13 wöchentlich jeweils 200 mg. Danach wird Linvoseltamab alle zwei Wochen verabreicht. Ab Woche 24 kann der Antikörper je nach Ansprechen alle vier Wochen verabreicht werden.
Ab etwa ein bis drei Stunden vor der Infusion erhalten die Patienten eine Prämedikation mit Dexamethason, einem Antihistaminikum und Paracetamol. Diese Vorbehandlung sollte so lange beibehalten werden, bis zwei vollständige Dosen ohne das Auftreten von Nebenwirkungen vertragen wurden.
Unter der Therapie kann es zu einem Zytokin-Freisetzungssyndrom (CRS) kommen, das sich unter anderem durch Fieber, Schüttelfrost, Hypoxie, Tachykardie und Hypotonie äußert. Zudem kann es infolge eines Immuneffektorzell-assoziierten Neurotoxizitätssyndroms (ICANS) zu Verwirrtheit, Bewusstseinstrübung, Orientierungsstörung, Enzephalopathie und Krampfanfällen kommen. In diesem Fall soll der Patient kein Fahrzeug führen oder Maschinen bedienen. Alle Patienten sind während der Behandlung auf Anzeichen und Symptome von CRS und ICANS zu überwachen. Sie sollten darauf hingewiesen werden, sich nach der ersten Infusion gemeinsam mit einer Betreuungsperson die nächsten 24 Stunden in der Nähe eines qualifizierten Behandlungszentrums aufzuhalten.
Unter Linvoseltamab wurden schwere, lebensbedrohliche oder tödliche Infektionen beobachtet. Bei aktiven Infektionen darf die Therapie nicht begonnen werden. Vor und während der Behandlung müssen die Patienten auf Infektionszeichen überwacht werden. Für alle Patienten werden prophylaktische Maßnahmen gegen Pneumocystis-jirovecii-Pneumonie, Herpes-simplex- und Herpes-zoster-Viren sowie gegebenenfalls gegen das Zytomegalievirus empfohlen. Eine Impfung mit Lebendimpfstoffen wird mindestens vier Wochen vor Beginn der Behandlung, währenddessen und mindestens vier Wochen danach nicht empfohlen.
Patientinnen im gebärfähigen Alter müssen während der Behandlung und für mindestens fünf Monate nach der letzten Dosis eine zuverlässige Verhütungsmethode anwenden. Zudem sollte während der Behandlung mit Linvoseltamab und für mindestens fünf Monate nach der letzten Dosis das Stillen ausgesetzt werden.
Die bedingte Zulassung basiert auf der offenen, multizentrischen Phase-I/II-Studie LINKER-MM1. Teilnehmer waren 117 Patienten mit rezidiviertem oder refraktärem multiplen Myelom und mindestens drei Vortherapien (median fünf Vortherapien). 82 Prozent der Patienten waren dreifach refraktär gegen einen Immunmodulator, einen Proteasom-Inhibitor und einen Anti-CD38-Antikörper. Primärer Endpunkt war die objektive Ansprechrate.
Auf die Therapie mit Linvoseltamab sprachen 83 Patienten (71 Prozent) an, wobei 58 (50 Prozent) eine Komplettremission oder besser erreichten, 52 (44 Prozent) eine stringente Komplettremission, 6 (5 Prozent) eine Komplettremission, 16 (14 Prozent) ein sehr gutes partielles Ansprechen und 9 (8 Prozent) ein partielles Ansprechen.
Die häufigsten Nebenwirkungen waren Muskel-/Skelettschmerzen, Zytokin-Freisetzungssyndrom, Neutropenie, Husten, Durchfall, Anämie, Müdigkeit, Lungenentzündung und Infektionen der oberen Atemwege.
Lynozyfic ist im Kühlschrank bei 2 bis 8 °C und im Originalkarton zu lagern.
In den vergangenen Jahren kamen einige neue Wirkstoffe für die Behandlung des multiplen Myeloms, insbesondere für Patienten mit rezidivierter und refraktärer Erkrankung, auf den deutschen Markt. Das ist eine gute Nachricht. Der Innovationscharakter des neuen Antikörpers Linvoseltamab ist allerdings überschaubar. Obwohl die Zulassungsstudie zeigt, dass viele Patienten auf den Neuling ansprechen, bringt er keinen Therapiefortschritt und muss vorläufig bei den Analogpräparaten eingruppiert werden.
Zum einen ist der Wirkmechanismus im Herbst 2025 längst nichts Neues mehr. Auch Elranatamab und Teclistamab sind bispezifische Antikörper, die einerseits das B-Zell-Reifungsantigen (BCMA) auf der Oberfläche von Myelomzellen und andererseits den CD3-Rezeptor auf der Oberfläche von T-Zellen als Target haben. Alle drei Substanzen bringen Myelom- und T-Zellen zusammen, was dann zum Tod der Myelomzellen führt.
Auch das zugelassene Anwendungsgebiet von Linvoseltamab ist nichts Neues im Vergleich zu Elranatamab und Teclistamab. Die Möglichkeit des Wechsels auf ein vierwöchiges Dosierungsintervall bei Linvoseltamab ist ebenso kein Alleinstellungsmerkmal. Denn dies ist auch bei Elranatamab möglich. Und: Während Linvoseltamab infundiert wird, können die anderen beiden Antikörper sogar subkutan verabreicht werden.
Sven Siebenand, Chefredakteur