Biopiraten geraten mit UN-Vertrag in Seenot |
Jennifer Evans |
02.09.2024 07:00 Uhr |
Das Stevia-Geschäft boomt seit Jahren. Bauern aus den Herkunftsländern wie Paraguay merken davon nicht viel. / © Adobe Stock/V-anila (KI-generiert)
Für die Wissenschaft und die Pharmaindustrie ist die Natur Inspiration, Vorbild und Quelle zugleich. Allein rund 70 Prozent der Krebsarzneimittel entstanden nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation WHO aus natürlichen Produkten oder synthetischen Verbindungen nach dem Vorbild der Natur. Ein weiteres Beispiel ist das Süßungsmittel Stevia, das südamerikanische Völker bereits seit Jahrhunderten verwenden. Die Stevia-Bauern gingen jedoch leer aus, als große Konzerne sich ihre Produkte mit dem alternativen Süßungsmittel patentieren ließen und damit dann dicke Gewinne einfuhren.
Es gibt noch weitere Beispiele, bei denen Ähnliches passierte, wie den indischen Neem-Baum, den afrikanischen Rooibos-Strauch oder die australische Kakadu-Pflaume. Indigene Völker kennen die Heilkräfte vieler Pflanzen. Wenn man sie um die Pflanzen selbst oder ihr traditionelles Heilwissen ohne jedwede Entschädigung beraubt, spricht man von Biopiraterie. Zusätzlich ist das Thema durch die Kolonialgeschichte emotional aufgeladen, als der Handel mit Baumwolle, Kaffee und Gewürzen den Kolonialmächten viel Geld einbrachte.
Eine Pflanze allein kann sich jedoch niemand patentieren lassen – es sei denn, sie wird verarbeitet und es entsteht daraus ein neues Produkt. In Deutschland und vielen westlichen Ländern ist der Zugang zu genetischen Ressourcen übrigens frei. »Es steht jedem offen, aus Alpenkräutern ein medizinisches Produkt zu machen«, sagte der Vorsitzender des deutschen Instituts für Biodiversität und Geoökologe, Axel Paulsch, kürzlich gegenüber der Deutschen Presseagentur (dpa).
Zwar gilt seit 2014 das sogenannte internationale Nagoya-Protokoll, das eine faire Gewinnbeteiligung für das Herkunftsland vorschreibt. Allerdings hätten die Vorschriften in der Praxis wenig bewirkt, weil die Überwachung fehle. Ein Schritt in die richtige Richtung war es dennoch. Paulsch erinnert sich daran, dass es zuvor noch möglich gewesen war, eine Heilpflanze aus Ecuador mitzunehmen, zu untersuchen, welche Gene für die Heilung zuständig sind, und daraus ein Medikament herzustellen.
Die Schieflage rund um die Fragen des geistigen Eigentums, genetischer Ressourcen sowie traditionellem Wissen sollte nun ein neuer UN-Vertrag verbessern. Den Hut hatte die UN-Organisation für geistiges Eigentum, World Intellectual Property Organization (WIPO), auf. Im Mai dieses Jahres haben schließlich die WIPO-Mitgliedstaaten unterzeichnetet – nach 25 Jahren Verhandlungen.
Die besondere Herausforderung bei diesem Vertrag war es Paulsch zufolge, die Herkunftsländer der Heilpflanzen zwar am Nutzen der Ressourcen zu beteiligen, aber gleichzeitig die Auflagen nicht so hoch zu setzen, dass praktisch keine Forschung mehr möglich ist.
Doch mit dem neuen Abkommen sind noch lange nicht alle Probleme vom Tisch. Antworten zum Umgang mit genetischen Verfahren beziehungsweise der digitalen Sequenzinformationen, Codes für Erbgut-Abschnitte, fehlen noch. »Wenn die DNA entschlüsselt und in einer Datenbank verfügbar ist, braucht man die Pflanze gar nicht mehr«, betonte Paulsch. Was bedeutet das also dann für die Beteiligung des Herkunftslands?
Grundsätzlich verpflichtet der neue Vertrag Patentanmelder offenzulegen, ob ihre Erfindungen auf genetischen Ressourcen oder traditionellem Wissen beruhen. Das beinhaltet nach WIPO-Angaben neben Heilpflanzen auch landwirtschaftliche Nutzpflanzen sowie Tierarten. Mitgemeint ist aber auch traditionelles Wissen, das von indigenen Völkern und lokalen Gemeinschaften über Generationen hinweg genutzt und bewahrt wird. Denn auch dies kann zur Entwicklung einer patentierten Erfindung beitragen. Indem die Konzerne nun Auskunft über ihre Quellen geben müssen, sollen die Herkunftsländer besser überprüfen können, ob die Unternehmen alle Genehmigungen haben.
Paulsch schlug gegenüber der dpa vor, Firmen und Forschungseinrichtungen in einen Topf einzahlen zu lassen, wenn sie genetische Sequenzen nutzen, und das Geld dann unter den Ländern zu verteilen.