Biomarker identifiziert Patienten mit Nutzen von Glatirameracetat |
Theo Dingermann |
12.08.2025 18:00 Uhr |
Bei MS attackieren infiltrierende, autoreaktive T-Zellen die Myelinscheiden der Axone markhaltiger Nervenfasern, wodurch es zu Demyelinisierung, Axonverlust und Glia-Narben kommt. / © Getty Images/Juan Gärtner/Science Photo Library
Glatirameracetat (GA) zählt zusammen mit Interferonen, Teriflunomid und Dimethylfumarat zu den Erstlinientherapeutika bei schubförmiger Multipler Sklerose (MS). GA ist ein Gemisch synthetischer Polypeptide aus den Aminosäuren Glutamin, Tyrosin, Alanin und Lysin. Der exakte Wirkmechanismus bei MS ist unbekannt. Man vermutet, dass GA im Sinne einer therapeutischen Impfung die Immunreaktion auf die Myelinscheiden der Nerven moduliert.
Das Medikament ist gut verträglich und hat sich zur Behandlung einer MS bewährt. Allerdings gibt es derzeit keine validierten Biomarker, die Hinweise geben könnten, ob ein Patient auf eine GA-Behandlung anspricht. Vor diesem Hintergrund hat ein internationales Konsortium von Forschenden unter der Leitung von Professor Dr. Nicholas Schwab vom Institut für Translationale Neurologie der Universität Münster eine retrospektive multizentrische Kohortenstudie initiiert, deren Ergebnisse jetzt im Fachjournal »eBioMedicine« publiziert wurden.
Die Forschenden sequenzierten die T-Zell-Rezeptor-β-Ketten (TRB) von insgesamt 3021 MS-Patienten, von denen 628 mit GA vorbehandelt waren. Dabei identifizierten sie zwei auffällige, wiederkehrende TRB-Profile, die mit einer GA-Therapie im Zusammenhang standen. Eines davon war mit dem HLA-Allel HLA-A*03:01 assoziiert, das andere mit dem HLA-Allel HLA-DRB1*15:01. Liegt eines dieser beiden HLA-Allele vor, reagiert das Immunsystem also auf eine Therapie mit GA.
Es zeigte sich jedoch, dass ausschließlich Betroffene mit der Genvariante HLA-A*03:01 nachweislich klinisch von einer GA-Therapie profitierten. In einer der untersuchten Kohorten reduzierte GA (allein oder in Kombination) die Schubrate bei HLA-A*03-Trägern um 33 bis 34 Prozent im Vergleich zu einer Behandlung mit Interferon-β. In einer anderen Kohorte sank das Risiko des ersten Schubs durch eine GA-Behandlung um 63 Prozent. Zudem bewirkte GA eine Besserung beziehungsweise Stabilisierung verschiedener Krankheitsparameter (Behinderung, MRT-Läsionen, Neurofilament-Leichtketten), wenn die Patienten HLA-A*03:01-positiv waren. Im Schnitt ist dies für etwa 30 bis 50 Prozent der europäischen MS-Patienten der Fall.
Mechanistische Untersuchungen zeigten, dass für die HLA-A*03:01-assoziierten CD8⁺-Antworten wohl die Präsentation eines spezifischen Peptids aus der GA-Mischung verantwortlich ist, das dann zentral für die klinische Wirksamkeit ist. Ließe sich dieses Peptid identifizieren, könnte die Zusammensetzung des Wirkstoffs gezielt optimiert werden.
Prinzipiell lassen sich jetzt über eine HLA-A*03:01-Genotypisierung vor dem Beginn einer MS-Therapie Patienten identifizieren, die von einer GA-Therapie deutlich stärker profitieren als von einer Behandlung mit Interferon-β. Das könnte den Stellenwert von GA in dieser genetisch definierten Subgruppe deutlich anheben, möglicherweise vergleichbar mit Eskalationstherapien mit Dimethylfumarat oder Fingolimod.