BfArM sieht keinen Anlass zur Sorge bei Kinder-Arzneien |
Melanie Höhn |
16.09.2024 15:06 Uhr |
Jährlich müssen die Apotheken schätzungsweise mehr als fünf Millionen Arbeitsstunden für die Bewältigung der Lieferengpässe aufwenden. / Foto: Getty Images/Sigrid Gombert
Angesichts von mehr als einem Jahr Arzneimittel-Lieferengpassbekämpfungs- und Versorgungsverbesserungsgesetz (ALBVVG), das seit gut einem Jahr in Kraft ist, zieht AVNR-Vorsitzender Thomas Preis eine ernüchternde Bilanz. Das Gesetz zeige fast keine Wirkung: Nach wie vor seien auf der offiziellen Seite des Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM), wie vor einem Jahr, etwa 500 Medikamente als nicht lieferbar gekennzeichnet.
»Ein Ende der Lieferprobleme ist nicht absehbar. Besondere Sorgen bereitet uns, dass jetzt schon sehr viele Antibiotika nicht lieferbar sind. Und die kalte Jahreszeit mit vielen Atemwegsinfektionen hat noch gar nicht begonnen. Auch viele Antibiotikasäfte für Kinder sind betroffen«, erklärte Preis der PZ.
Aktuell gebe es erhebliche Engpässe bei den Antibiotika Doxycyclin und Azithromycin. »Die Engpass-Situation bei Doxycyclin soll nun mit Ware aus Kamerun gemildert werden. Patienten werden dann Packungen in englischer, französischer oder portugiesischer Aufmachung erhalten müssen. Da auch keine deutschsprachige Gebrauchsinformation beiliegt, muss für die sichere Anwendung viel Aufklärungsarbeit von den Apothekenteams geleistet werden«, so Preis.
Zudem könne der Hersteller Sanofi für den Start der RSV-Immunisierung von Neugeborenen und Babys ab Herbst dieses Jahres nicht schnell genug ausreichend das dafür notwendige Arzneimittel Beyfortus® zur Verfügung stellen. Beyfortus mit dem Wirkstoff Nirsevimab werde daher nur aus Spanien und Frankreich mit spanischer und französischer Beschriftung zur Verfügung stehen, sagte Preis. Eine deutschsprachige Packungsbeilage müsse dann aus dem Internet heruntergeladen werden.
Das BfArM sieht allerdings insbesondere bei der Bereitstellung von Arzneimitteln für Kinder in der kommenden Erkältungswelle keinen Anlass zur Sorge: »Im Vergleich zum Vorjahr stellt sich die aktuelle Lage hinsichtlich der Versorgung mit Kinder-Antibiotika wesentlich entspannter dar«, teilte ein Sprecher mit. Auch bei Fiebersäften seien keine Lieferengpässe gemeldet.
Preis erinnerte daran, dass Apotheken im Winter 2022/2023 selbst Antibiotika- und Fiebersäfte herstellen mussten, um die kleinen Patienten zu versorgen. Auch damals konnten die Pharmahersteller nicht ausreichend Medikamente produzieren. »Das war für die Apotheken nicht auskömmlich, aber sie haben damit dazu beigetragen, die Versorgung stabil zu halten«, so Preis weiter.
Politik und pharmazeutische Hersteller müssten jetzt endlich für stabile Verhältnisse bei der Bereitstellung von Arzneimitteln sorgen und gegenzusteuern. Statt einer Besserung der Lage habe sich der Mangel nur verschoben. »Es fehlen alle Arten von Medikamenten: innovative, teure Medikamente genauso wie preiswerte Standardmedikamente, die schon lange nicht mehr dem Patentschutz unterliegen. Bei jedem zweiten Rezept müssen Apotheken nach Alternativen suchen, damit die Versorgung der Patienten gesichert bleibt«, so Preis.
Täglich seien bundesweit 1,5 Millionen Patienten betroffen. Allein in Nordrhein-Westfalen seien es Tag für Tag mehr als 300.000 Patienten und ihre Medikationen. Inzwischen treffe es selbst »einfache« Präparate wie etwa Kochsalzlösungen für Krankenhäuser. Hier würden die Lieferungen nur zu 80 Prozent bedient, so Preis.
Des weiteren wies Preis darauf hin, dass die Mehrbelastung der Apothekenteams riesig sei: Jährlich müssten so mehr als fünf Millionen Arbeitsstunden für die Bewältigung der Lieferengpässe in den Apotheken zusätzlich geleistet werden. »Zeit, die bei anderen wichtigen Versorgungsleistungen für die Patienten fehlt«, kritisiert Preis. Dazu komme noch, dass die Apotheken nicht angemessen dafür bezahlt werden. Das Packungshonorar müsse dafür mindestens verdoppelt werden, denn der Zeitaufwand der Abgabe und Beratung bei fehlenden Medikamenten sei um ein Vielfaches höher als bei guter Verfügbarkeit.
»Die von der Ampel-Regierung aktuell nur in wenigen Fällen zugestandenen 50 Cent für die Bearbeitung eines vom Engpass betroffenen Arzneimittels wird von den Mitgliedern unseres Verbandes als beleidigend gewertet«, erklärte Preis weiter. Es zeuge von einer Geringschätzung der Arbeit der Apothekenteams, die erschreckend sei, hieße es in den Kommentaren, die den AVNR erreichen.
Erschwerend würden noch die Rabattverträge der Krankenkassen hinzu kommen, die zeitaufwendige Dokumentationen beim Austausch von Medikamenten von den Apotheken verlangten. »Zeit, die wir an anderer Stelle für eine gute Versorgung der Patienten dringend brauchen.«
An die Hersteller adressiert Preis, sie müssten sich nun anstrengen, um die Lage zu entschärfen, sprich: verstärkt Arzneimittel »für die Fläche« produzieren. Auffällig sei, dass es bei hochpreisigen, innovativen Präparaten eher wenige Engpässe gebe, bei Arzneimitteln »aus dem Brot- und-Buttergeschäft« aber umso mehr. Es gehe jetzt angesichts der bevorstehenden Infektionssaison um Versorgungssicherheit, betonte der Verbandschef. Daran müssten sich die Unternehmen orientieren.