Bewegung von Elektronen erfassen |
Elektronen bewegen sich mit extremer Geschwindigkeit rund um den Atomkern. / Foto: Adobe Stock/Peter Jurik
Stockholm (dpa) - Der diesjährige Nobelpreis für Physik stellt das menschliche Vorstellungsvermögen vor eine Herausforderung. Es geht darum, die schnellsten Prozesse in der Natur außerhalb des Atomkerns in Echtzeit zu verfolgen: die Bewegungen von Elektronen. Ermöglicht haben dies der in Ungarn geborene Ferenc Krausz, der in Garching bei München forscht, sowie die beiden aus Frankreich stammenden Forschenden Anne L'Huillier und Pierre Agostini, wie die Königlich-Schwedische Akademie der Wissenschaften am Dienstag in Stockholm mitteilte.
Die Wissenschaftler entwickelten einen Weg, extrem kurze Lichtblitze zu erzeugen, mit denen sich jene ultraschnellen Prozesse messen lassen, in denen sich Elektronen bewegen oder Energie ändern. «Diese Bewegungen initiieren jegliche molekulare Vorgänge in lebenden Organismen und sind letzten Endes auch für die Entstehung von Krankheiten auf fundamentalster Ebene verantwortlich», sagte Krausz der Deutschen Presse-Agentur. Zum Preis sagte er: «Ich versuche zu realisieren, dass das Realität ist und kein Traum.»
Schnelllebige Ereignisse gehen in der Wahrnehmung des Menschen ineinander über – so wie ein aus Standbildern bestehender Film als kontinuierliche Bewegung wahrgenommen wird. In der Welt der Elektronen fänden Veränderungen in wenigen Zehntel Attosekunden statt, so das Nobelkomitee. Eine Attosekunde ist ein Milliardstel einer Milliardstel Sekunde (0,000000000000000001 Sekunden). «Eine Attosekunde ist so kurz, dass es in einer Sekunde so viele davon gibt, wie es Sekunden seit der Entstehung des Universums gibt», heißt es in der Begründung. Das Universum ist 13,8 Milliarden Jahre alt.
Der 61 Jahre alte Krausz forscht als Direktor am Max-Planck-Institut für Quantenoptik (MPQ) in Garching und an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Die 1958 geborene L'Huillier arbeitet an der Universität Lund (Schweden) und der inzwischen emeritierte Agostini, Jahrgang 1941, in den USA an der Ohio State University.
Die Grundlage der Forschung erarbeitete L'Huillier: 1987 sandte sie infrarotes Laserlicht durch ein Edelgas. Dabei entdeckte sie, dass in dem Licht spezielle Wellen entstehen. Denn das Laserlicht interagiert mit den Atomen des Gases und lädt manche Elektronen mit Energie auf, die dann als Licht abstrahlt. Agostini erzeugte 2001 Serien von Lichtblitzen, bei denen jeder Puls etwa 250 Attosekunden dauerte. Krausz isolierte einzelne Lichtpulse mit einer Dauer von etwa 650 Attosekunden.
«Wir können jetzt die Tür zur Welt der Elektronen öffnen», erklärte Eva Olsson, Vorsitzende des Nobelkomitees für Physik. «Die Attosekunden-Physik bietet uns die Möglichkeit, Mechanismen zu verstehen, die von Elektronen gesteuert werden.» Dazu zählen etwa elektronische Geräte wie Computer oder Mobiltelefone, wie Krausz der dpa sagte.
Auf Basis seiner Forschungen seien neue Arbeitsgebiete entstanden wie die hochauflösende Mikroskopie lebender Organismen, schrieb Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in seiner Gratulation am Dienstag. «Zudem konnten Sie Laser entwickeln, die bei der Diagnose von Augen- und Krebskrankheiten eingesetzt werden und haben damit der Menschheit einen großen Dienst erwiesen.»
Krausz erklärte: «Was meine Arbeitsgruppe derzeit am meisten interessiert, ist die Nutzung der Wechselwirkung, die Selektion mit Licht zur Früherkennung von Krankheiten.» Dabei gehe es in einer bereits laufenden Langzeitstudie insbesondere um die Früherkennung von Tumoren von Lunge, Brust und Prostata. Dabei werden bei inzwischen 10.000 Teilnehmern, die anfangs gesund waren, regelmäßig Blutproben mit Infrarot-Laserlicht durchleuchtet, um Hinweise auf sich ausbildende Krankheiten zu gewinnen. Dies werde mit Laboruntersuchungen abgeglichen. «Die Resultate sind sehr vielversprechend», so Krausz. «Aber bis wir alle Beweise erbracht haben, dass das tatsächlich eine verlässliche Methode ist, denke ich, werden vermutlich noch fünf bis zehn Jahre vergehen.»