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OTC-Gipfel

Bessere Gesundheits-Kompetenz könnte Milliarden sparen

Rund um die Themen Gesundheitskompetenz und Selbstmedikation ging es beim 8. OTC-Gipfel, der am 9. November in Düsseldorf stattfand. Die Kongressveranstaltung ist eine Initiative des Apothekerverbandes Nordrhein (AVNR) zum Stellenwert der Selbstmedikation im Gesundheitswesen. Die hierzulande überwiegend unzureichende Gesundheitskompetenz kostet den Staat jährlich Milliarden von Euro. Apothekenteams können aber dazu beitragen, diese zu verbessern.
Laura Rudolph
13.11.2023  14:00 Uhr

AVNR-Verbandschef Thomas Preis eröffnete die Veranstaltung, die inmitten des von der Apothekerschaft ausgerufenen Protestmonats stattfand. Eine »historisch noch nie so heftig dagewesenen Schließungswelle« der Apotheken gefährde die wohnortnahe Versorgung massiv, betonte Preis, insbesondere mit Blick auf den demografischen Wandel und sinkende Personalzahlen.

Der Staat sei jetzt aufgerufen, energisch zu handeln und die Apotheken – wie im Koalitionsvertrag festgelegt – zu stärken. Zur Entlastung des Gesundheitssystems sei eine gute Gesundheitskompetenz der Bürger von großer Wichtigkeit, verdeutlichte der AVNR-Verbandschef: Wenn sich Patienten gut selbst um ihre Gesundheit kümmern können, beispielsweise durch Krankheitsprävention und Selbstmedikation, spare dies Kosten für ärztliche Behandlungen ein. Bereits jetzt gehöre knapp jede zweite in der Apotheke abgegebene Packung dem OTC-Segment an.

Mangelnde Gesundheitskompetenz kostet Deutschland Milliarden

Wie die Gesundheitskompetenz der Bürger die Kosten im Gesundheitssystem beeinflusst, darauf ging Professor Dr. Uwe May, Gesundheitsökonom und Volkswirt, näher ein. Gesundheitskompetenz sei die Fähigkeit, effektive und richtige (Gesundheits-)Entscheidungen zu treffen. Konkret bedeute dies, Gesundheitsinformationen zu finden, zu verstehen, zu bewerten und anzuwenden. Gelinge dies, können die Betroffenen besser Prävention betreiben oder chronische Krankheiten besser managen. Sie nähmen weniger Arzttermine in Anspruch, was zu geringeren Gesundheitskosten führe. »Gesundheitskompetenz ist wichtig für Prävention, Krankheitsbewältigung und Gesundheitsförderung – und alle drei Bereiche spielen in Apotheken und der Selbstmedikation eine wichtige Rolle.«

In Deutschland hätten jedoch fast 60 Prozent der Menschen eine problematische beziehungsweise unzureichende Gesundheitskompetenz, bedauerte May. Die WHO schätzt, dass 3 bis 5 Prozent der Gesundheitsausgaben pro Jahr darauf zurückfallen, so May – allein für Deutschland entspreche dies 10 bis 17 Milliarden Euro pro Jahr. Eine mangelhafte Gesundheitskompetenz betreffe insbesondere Menschen aus sozial schwächeren Schichten, ältere Menschen sowie Männer stärker als Frauen.

Insbesondere im Selbstbehandlungsbereich (Selfcare) komme der apothekengestützten Selbstmedikation eine wichtige Bedeutung zu. Patienten hätten meist keine Schwierigkeiten damit, Gesundheitsinformationen zu finden, sondern damit, diese korrekt zu beurteilen.  Hier komme die Apotheke ins Spiel: »Apothekenteams können zielgruppengerecht Informationen vermitteln, filtern und bewerten. Sie können dem Patienten erklären, was die Informationen individuell für diesen bedeutet.« Ein Beispiel ist das persönliche Risiko, bestimmte Nebenwirkungen zu erleiden.

»Die Verknüpfung von Gesundheitskompetenz und Selbstmedikation aus gesundheitsökonomischer Sicht zeigt, dass Menschen, die sich selbst behandeln, weniger Ressourcen verbrauchen.« May verdeutlichte dies an einem Beispiel: Hausärzte sind aufgrund zu vieler Patienten am Limit und häufig zur sogenannten »Minutenmedizin« gezwungen. Könne man fünf von diesen täglichen Patienten in die Selbstmedikation überführen, bedeute dies bereits einen Zeitgewinn von einer Stunde für den Arzt.  »Dies zeigt, dass darüber nachgedacht werden muss, wie die Selbstmedikation gefördert werden kann.« May sprach sich etwa für das Vorantreiben von OTC-Switches aus. Apothekenteams könnten Patienten zudem mit Lebensstil-Coachings, etwa zu Raucherentwöhnung und Männergesundheit, sowie mit pharmazeutischen Dienstleistungen unterstützen. 

Gesundheitskompetenz schon im Kindesalter ausbilden

In Anschluss an Mays Vortrag fand eine Podiumsdiskussion unter der Moderation von Claudia Röttger, Apothekerin und Chefredakteurin beim Wort & Bild Verlag, statt. Dr. Hubertus Cranz, Apotheker und Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der Arzneimittelhersteller (BAH), betonte, dass Gesundheitskompetenz eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe sei und bereits in der Schule aufgegriffen werden sollte.

Dr. Petra Nies, Apothekerin und stellvertretende Leiterin der Abteilung Arzneimittel beim Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA), stellte in den Fokus, wie wichtig vertrauenswürdige Informationsquellen für Patienten seien und empfahl etwa die Webseite Gesundheitsinformation.de des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG).

Miguel Tamayo von der Kassenzahnärztlichen Vereinigung Nordrhein betonte, dass sich Patienten in der Arztpraxis eine Beziehung auf Augenhöhe wünschten. »Die Patienten haben das Recht, sich vorab etwa im Internet zu informieren.« Es sei schwierig, wenn diese Informationen unzureichend seien, die Patienten sich aber bereits auf diese fixiert hätten – eine große Herausforderung in der Praxis, für die oft keine Zeit bleibe. Bernd Zimmer, Vizepräsident Ärztekammer Nordrhein, gab zu Bedenken, dass insbesondere hochbetagte Menschen aufgrund einer Polymedikation Unterstützung durch Apothekenteams benötigen.

Kommunikation auf Augenhöhe zwischen Patient, Arzt und Apotheker

Um Selbstmedikation und Gesundheitskompetenz aus Patientensicht ging es im Impulsreferat von Dr. Volker Runge, Sprecher der Gesundheitsselbsthilfe NRW. Der klinische Linguist und Logopäde betonte, dass man Patienten dabei unterstützen müsse, gesundheitskompetent zu werden – dies würden sie nicht von alleine. Er schlug beispielsweise vor, Gesundheitskompetenz als »absolut sinnvolles« Schulfach einzuführen. 

Mit Blick auf die Selbstmedikation brächten insbesondere die sozialen Medien Herausforderungen mit sich: Werbung und (Fehl-)Informationen aus dem Internet führten häufig dazu, dass Produkte gekauft werden, ohne dass eine kritische Reflexion stattfindet. Gleiches gilt, wenn sich Patienten untereinander »beraten«. »Nicht für jeden eignen sich die gleichen OTC-Präparate. Beispielsweise Schmerztabletten zeigen deutliche Gefahren in der Selbstmedikation«, verdeutlicht Runge. So könne etwa Diclofenac bei einer defekten Niere fatal sein. »Auch aus dem Ausland importierte Arzneimittel stellen eine potenzielle Gefahr dar.« Es brauche die Beratung in der Apotheke. Dazu darf ihnen nicht die Zeit fehlen durch eine überbordende  Bürokratie, Überreglementierung, Personalnot und Lieferengpässe.

Runge plädierte für einen Trialog zwischen Patient, Arzt, Apotheker. »Lernen wir wieder, miteinander zu reden.« Aber auch digitale Programme könnten zukünftig dabei unterstützen, Informationen zur OTC-Medikation des Patienten in das Gesundheitssystem zu integrieren. Denn häufig werde der Patient in der Arztpraxis nicht nach seiner Selbstmedikation befragt. Auch könne es hilfreich sein, wenn Apothekenteams Patienten für weitere Hilfe an geeignete Stellen wie lokale Selbsthilfegruppen verweisen. »Wir sollten Systeme miteinander verbinden – auch auf Mikroebene.«

Junge Menschen auch im Internet aufklären

Die anschließende Podiumsdiskussion moderierte Apothekerin und PZ-Redakteurin Daniela Hüttemann. Thomas Preis betonte, wie wichtig die räumliche Nähe der Apotheke zum Patienten sei (»Pantoffelnähe«), damit diese die Vor-Ort-Apotheke dem Versandhandel vorzögen. Zudem findet Preis, dass Gesundheitskompetenz-Angebote in der Apotheke honoriert werden sollten. 

Dass es mitunter schwierig sein kann, das Gesundheitskompetenz-Niveau von Patienten zu erkennen, verdeutlichte der Vorsitzender des Hausärzteverbands Nordrhein Dr. Oliver Funken. Insbesondere der Umgang mit renitenten Patienten erfordere viel Kommunikation. 

Professor Dr. Gaby Flößer, ehrenamtliche Vorsitzende des Kinderschutzbunds NRW, wies auf die Vorbildfunktion von Eltern in Sachen Gesundheitskompetenz hin. »Wenn Eltern sich in der Apotheke beraten lassen, werden ihre Kinder dies wahrscheinlich später auch tun.« Bereits in der Nachmittagsbetreuung könnten altersgerechte Programme zu Gesundheitskompetenz gestartet werden.

Christiane Grote, Leiterin der Gruppe Gesundheits- und Pflegemarkt der Verbraucherzentrale NRW, hob hervor, dass insbesondere junge Menschen in den sozialen Medien häufig mit Werbung konfrontiert würden, für deren Einordnung ihnen die nötige Gesundheitskompetenz fehlt. Sie wünsche sich seriöse und  für die Zielgruppen verständlich aufbereitete Gesundheitsinformationen, auch von Apotheken, etwa in Form von Kurzvideos. 

Gesundheitskompetenz als »gewaltiges und umfangreiches Thema«

Zum Abschluss zog Sebastian Berges, stellvertretender Vorstandsvorsitzender des AVNR, ein Fazit zur Veranstaltung. Er betonte, wie wichtig eine gute Gesundheitskompetenz als »gewaltiges und umfangreiches Thema« für das Wohlbefinden der Menschen und die Finanzierung des Gesundheitssystems sei – insbesondere in Krisenzeiten. Dies umfasse die Selbstmedikation, aber auch viele nicht arzneimittelbezogene Themenfelder.

»58 Prozent der Bevölkerung haben eine inadäquate Gesundheitskompetenz. Das betrifft uns alle, sowohl die Politik als auch uns Akteure im Gesundheitswesen.« Der Auftrag der Apotheke sei es, das große Vertrauen der Bevölkerung und die Wohnortnähe zur niederschwelligen Beratung zu nutzen. »Es gibt viel zu tun, lassen Sie uns gemeinsam daran arbeiten.«

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