Bessere Antikörper dank künstlicher Intelligenz |
Annette Rößler |
15.09.2025 07:00 Uhr |
Antikörper haben eine typische Y-förmige Struktur. Verantwortlich für die Spezifität sind hochvariable Abschnitte, von denen jeder Arm eines Antikörpers sechs enthält. Bei der Entwicklung und Optimierung von Antikörpern werden auch KI-gestützte Methoden verwendet. / © Adobe Stock/Dr_Microbe
Antikörper sind komplexe Gebilde, die zu diversen Zwecken therapeutisch eingesetzt werden. Ihre dreidimensionale Struktur wird von der Aminosäureabfolge bestimmt und weist in bestimmten Regionen eine nahezu unbegrenzte mögliche Vielfalt auf. Die Faltung und andere Eigenschaften von Antikörpern vorherzusagen, war lange Zeit äußerst schwierig. Mittlerweile können KI-Methoden bei bestimmten Schritten im Entwicklungsprozess von Antikörpern eine große Hilfe sein, wie Dr. Daniel Kuhn von der Firma Merck Healthcare KGaA in der Ausgabe 04/2025 der DPhG-Mitgliederzeitschrift »Pharmakon« ausführt.
Der Beitrag, den KI zur Optimierung von Antikörpern leisten kann, ist so bedeutend, dass er 2024 den drei Forschern Professor Dr. David Baker, Dr. Demis Hassabis und Dr. John Jumper den Nobelpreis für Chemie einbrachte. Hassabis und Jumper entwickelten das KI-System AlphaFold, das mit Kristallstrukturen von Proteinen trainiert wurde und Deep Learning verwendet, um aus einer gegebenen Aminosäuresequenz ein 3D-Modell zu erstellen. Dies gelingt dem System mittlerweile mit hoher Präzision.
Die neueste Version, AlphaFold3, kann bereits die Interaktion dieser Proteine mit DNA, RNA und Liganden modellieren. Allerdings stelle die Vorhersage der 3D-Struktur von Antigen-Antikörper-Komplexen nach wie vor eine große Herausforderung dar, so Kuhn. AlphaFold3 übertreffe hier zwar ältere Systeme, scheitere aber noch in 60 Prozent der Fälle an dieser Aufgabe.
Die genau umgekehrte Entwicklungsrichtung ist es, von einer dreidimensionalen Proteinstruktur auszugehen und die entsprechende Aminosäuresequenz zu suchen. Diesen Ansatz, der als inverse Faltung bezeichnet wird, verfolgt die Arbeitsgruppe des dritten Nobelpreisträgers von 2024, David Baker. Derzeit sei es jedoch noch nicht möglich, ausschließlich am Computer Antikörper zu designen, die spezifisch und mit ausreichend hoher Affinität ein bestimmtes Epitop eines Antigens binden, schreibt Kuhn.
Um als Arzneistoffe eingesetzt werden zu können, müssen Antikörper neben einer therapeutischen Wirkung bestimmte Kriterien erfüllen. So sollten sie möglichst keine unbeabsichtigten Immunantworten auslösen sowie chemisch und physikalisch stabil sein. Ein Maß dafür, wie gut alle diese Anforderungen unter einen Hut zu bringen sind, ist die sogenannte Developability, also die pharmazeutisch-technologische Entwickelbarkeit.
»Pharmakon« erscheint sechsmal jährlich. Jede Ausgabe hat einen inhaltlichen Schwerpunkt, der aus unterschiedlichen Perspektiven aufbereitet wird. / © Avoxa
Für die Hersteller ist es sehr wichtig, dazu früh im Entwicklungsprozess eine valide Prognose zu erstellen. KI-Systeme nutzen Eigenschaften wie die Ladung und das Ausmaß sowie die Verteilung von hydrophoben Bereichen von zugelassenen Antikörpern, um die Developability von neuen Antikörpern abzuschätzen.
Die subkutane Anwendung von Antikörpern hat gegenüber der intravenösen den Vorteil, dass sie gegebenenfalls durch den Patienten selbst erfolgen kann. Subkutan können aber nicht so große Volumina verabreicht werden wie intravenös. Lösungen mit Antikörpern zur subkutanen Anwendung müssen daher höher konzentriert sein als solche zur intravenösen Anwendung.
Um in eine hochkonzentrierte Lösung gebracht werden zu können, dürfen Antikörper nicht dazu neigen, Aggregate zu bilden oder auszufallen. Hierfür entscheidend sind Eigenschaften wie der isoelektrische Punkt, die Größe hydrophober Bereiche und die Anzahl negativ geladener Bereiche. Um dies zu optimieren, helfen KI-gestützte Methoden.
Die Beispiele zeigen, dass KI aus der Entwicklung von therapeutischen Antikörpern mittlerweile nicht mehr wegzudenken ist. Die Systeme würden zusammen mit experimentellen Daten von den Firmen routinemäßig eingesetzt, berichtet der Autor. Es sei zu erwarten, dass sie in den kommenden Jahren eine noch höhere Präzision erreichen werden.
Nichtsdestotrotz bleibe die Entwicklung von Antikörpern ein komplexer, mehrstufiger Prozess, der ein tiefes Verständnis von Krankheiten und Antikörpereigenschaften erfordert. Da KI stets nur so gut sein kann wie die Daten, auf denen sie trainiert wurde, sei es für die Verbesserung der Systeme unerlässlich, neue relevante Datensätze zu generieren. Denn die derzeit verfügbaren Datensätze zu den physikochemischen Eigenschaften von Antikörpern seien im Vergleich mit denen von kleinen Molekülen noch begrenzt.