Besser keine Benzodiazepine gegen Schwindel |
Annette Rößler |
12.09.2022 13:00 Uhr |
So schnell wie ein Kreisel kann sich niemand drehen, ohne dass ihm schwindelig wird. Unangenehm wird es, wenn sich die Welt auch in Ruhe um einen herum dreht. / Foto: Adobe Stock/lars b/EyeEm
Akuter Schwindel (Vertigo) kann verschiedene Ursachen haben. Laut der – abgelaufenen – S3-Leitlinie »Akuter Schwindel in der Hausarztpraxis« der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM) zählen unter anderem psychogener Schwindel, gutartiger Lagerungsschwindel und komplexer Schwindel zu den häufigsten Diagnosen, die Hausärzte bei akutem Schwindel stellen. Demnach liegt Ersterem eine erhebliche psychische Verunsicherung des Patienten zugrunde, während im zweiten Fall eine Störung des Gleichgewichtsorgans dahintersteckt und bei Letzterem zumeist altersbedingte Funktionseinbußen mehrerer Organsysteme, die zur Orientierung im Raum beitragen.
Weitere häufig gestellte Diagnosen im Zusammenhang mit akutem Schwindel, die dann gegebenenfalls spezifisch behandelt werden können, sind laut Leitlinie Herzrhythmusstörungen, Morbus Menière, Neuritis vestibularis, Polyneuropathie, vestibuläre Migräne und zerebrale Durchblutungsstörungen. Allerdings werde »vielfach nur bei einem kleineren Teil der Patienten eine spezifische Diagnose gestellt«. Akuter Schwindel verschwinde nach einiger Zeit häufig spontan wieder, wenn der Patient sich daran adaptiert habe. Daher sei »nach Ausschluss abwendbar gefährlicher Verläufe«, zu denen unter anderem Stürze bei Älteren zählen, beobachtendes Abwarten eine sinnvolle Strategie.
Eine symptomatische Therapie mit Antivertiginosa soll laut Leitlinie nur dann erfolgen, wenn keine kausale Therapie möglich ist, die Beschwerden heftig sind und/oder dauerhaft auftreten. In diesen Fällen könnten kurzfristig die Antihistaminika Dimenhydrinat oder Betahistin beziehungsweise Dimenhydrinat in Kombination mit dem Calciumantagonisten Cinnarizin gegeben werden. Diese »evidenzbasierte Empfehlung« der Leitlinie wird durch das »Statement« ergänzt, dass das Homöopathikum Vertigoheel® in einem Vergleich mit Betahistin »beim unspezifischen Krankengut« ebenso gut abgeschnitten habe, jedoch nicht gegen Placebo getestet worden sei.
Eine aktuell im Fachjournal »JAMA Neurology« erschienene Arbeit von Autoren um Dr. Benton Hunter von der Indiana University School of Medicine in Indianapolis stärkt bedingt die Empfehlung für Antihistaminika bei akutem Schwindel. Das Team veröffentlicht hier die Ergebnisse einer systematischen Übersichtsarbeit und Metaanalyse zur Frage, ob Antihistaminika oder Benzodiazepine bei akutem Schwindel wirksam sind. Letztere werden offenbar immer wieder in dieser Indikation gegeben, am ehesten wohl Patienten mit psychogenem Schwindel. Sie sind aber laut DEGAM-Leitlinie ebensowenig zu empfehlen wie Metoclopramid und Promethazin.
Die Negativempfehlung leuchtet vor allem deshalb ein, weil Benzodiazepine als Nebenwirkung selbst auch Schwindel auslösen können. Sie findet ihre Bestätigung in der aktuellen Metaanalyse, die 17 Studien mit insgesamt 1586 Teilnehmern einschloss. Demnach führten Antihistaminika verglichen mit Benzodiazepinen bei Patienten mit akutem Schwindel innerhalb von zwei Stunden zu einer durchschnittlichen Besserung der Beschwerden um 16,1 Punkte auf einer visuellen Analogskala von 1 bis 100 zur Beurteilung der Symptomschwere.
Weniger klar als das Ergebnis zu Benzodiazepinen ist allerdings die Aussage der Studie zu Antihistaminika. Denn diese waren anderen aktiven Kontrollen, darunter Ondansetron, Droperidol, Metoclopramid und Piracetam, nicht überlegen. Somit unterstreicht die aktuelle Arbeit indirekt, dass eine Pharmakotherapie bei akutem Schwindel meist wenig ausrichten kann – so wie es ja auch in der DEGAM-Leitlinie steht.