Beratungsklau und abnehmende Gesundheitskompetenz |
Lukas Brockfeld |
01.09.2025 14:00 Uhr |
ABDA-Präsident Thomas Preis gab der Neuen Osnabrücker Zeitung ein ausführliches Interview. / © Alois Müller
Die Probleme des deutschen Gesundheitswesens haben auch etwas mit dem Verhalten der Patientinnen und Patienten zu tun. Es kommt immer wieder vor, dass Menschen mit eher milden Beschwerden die Notaufnahme aufsuchen oder nach Medikamenten verlangen, die eigentlich verzichtbar wären. ABDA-Präsident Thomas Preis hat der Neuen Osnabrücker Zeitung ein ausführliches Interview zur Problematik gegeben, das am Freitag veröffentlicht wurde.
Angesprochen auf die auffällig hohe Zahl der Arzt-Patienten-Kontakte in Deutschland hob Preis die Rolle der Apotheken hervor: »Am Wochenende sehen wir zum Beispiel überfüllte Notfallambulanzen, obwohl es oft um leichte Beschwerden geht. Der Weg in die Apotheke ist schneller – und entlastet das System erheblich.«
Gegenüber der NOZ erklärte der ABDA-Präsident, dass die Gesundheitskompetenz der Menschen seit Jahren abnehme. Das habe auch etwas mit einer veränderten Lebensweise zu tun: »Früher lebte man oft mit Großeltern in einem Haus. Die konnten jungen Eltern aus der Erfahrung helfen, wie man mit Erkältung oder leichtem Fieber bei Kindern umgeht – zum Beispiel mit Hausmitteln oder einem Zäpfchen. Heute sind junge Eltern oft allein und suchen dann die Kinderarztpraxis auf«, erklärte Preis.
Das »Überangebot an Gesundheitsinformationen« im Internet verschärfe das Problem zusätzlich. »Nicht jede Information ist eine gute Basis für eine sichere Therapie, und zu viel davon führt zu Verunsicherung. Die WHO hat festgestellt, dass eines der großen Probleme der Zukunft in unserem Gesundheitswesen die Fehl- und Desinformation durch das Internet sind«, so Preis im NOZ-Interview.
Den Apotheken vor Ort käme daher eine besondere Rolle bei der Beratung der Patienten zu. Viele Beschwerden ließen sich auch durch bewährte Hausmittel lindern: »Einige dieser Hausmittel sind sogar in medizinischen Leitlinien verankert, etwa Wadenwickel als ergänzende Maßnahme bei leichtem Fieber. Aber auch Hausmittel bedürfen einer guten Erklärung: Wadenwickel dürfen nicht eiskalt, sondern eher lauwarm sein. Und nicht jedes Hausmittel ist für jede Erkrankung geeignet«, sagte der ABDA-Präsident.
Viele Patientinnen und Patienten kämen in die Apotheke, um beispielsweise virale Infekte oder Verdauungsbeschwerden selbst zu behandeln. Doch auch bei diesen vergleichsweise harmlosen Alltagsleiden sei eine Beratung in der Apotheke notwendig: »Es wird geklärt, ob es Risiken gibt, etwa in Kombination mit anderen Medikamenten oder Lebensmitteln. Ganz wichtig ist auch der Hinweis, dass Medikamente regelmäßig eingenommen werden müssen, damit die Beschwerden nachhaltig und sicher behandelt werden«, erklärte Preis gegenüber der NOZ.
Der ABDA-Präsident ärgerte sich im Interview über Patientinnen und Patienten, die sich in der Apotheke beraten lassen und ihre Medikamente dann trotzdem online bestellen. »Von diesem ›Beratungsklau‹ sind leider auch Apotheken betroffen. Drängender ist aber das Problem, dass sich Versandhändler nicht an die Arzneimittelpreisverordnung halten – obwohl sie dazu verpflichtet sind, wenn sie in Deutschland Medikamente für Versicherte der Krankenkassen liefern wollen. Sie verhalten sich eindeutig und mit Ansage gesetzeswidrig«, sagte Preis.
Thomas Preis äußerte sich gegenüber der NOZ auch zur schwierigen wirtschaftlichen Lage vieler Apotheken und nahm die Bundesregierung in die Pflicht: »Für viele Apotheken ist der Apothekenbetrieb gar nicht mehr wirtschaftlich darstellbar: Die steigenden Kosten durch Personal, Mieten und Energie können durch eine Honorierung, die schon zwei Jahrzehnte alt ist, nicht mehr getragen werden. Da braucht es dringend eine Anpassung, zu der sich die Bundesregierung verpflichtet hat.«