Bei den Ärzten überwiegt die Skepsis |
Ab 2024 sind Ärzte und Zahnärzte verpflichtet, elektronische Verordnungen auszustellen. Die PZ hat nachgefragt, wie gut sich die Mediziner darauf vorbereitet fühlen. / Foto: Shutterstock/NIKCOA
Eigentlich sollten digitale Verordnungen in Deutschland bereits im Januar 2022 Alltag sein und die Papierformulare ablösen. Doch wegen Bedenken von Datenschützern, technischer Probleme und dem Ausstieg der Kassenärztlichen Vereinigungen Schleswig-Holstein und Westfalen-Lippe aus der Pilotphase im vergangenen Jahr verzögerte sich der Start immer weiter. Seit Juli steht den Patienten mit der elektronischen Gesundheitskarte (EGK) nun ein zusätzlicher Einlöseweg zur Verfügung. Laut Deutschem Apothekenverband (DAV) sind die Apotheken mittlerweile technisch gerüstet, um flächendeckend E-Rezepte über die EGK einzulösen. Wie die Gematik meldete, hat die Zahl der abgerufenen E-Rezepte durch den neuen Einlöseweg deutlich zugenommen: So seien bis Ende August insgesamt mehr als 3 Millionen E-Rezepte eingelöst worden.
Doch wie sieht es in den Praxen aus? Werden alle Arzt- und Zahnarztpraxen ihrer im Entwurf des Digital-Gesetzes verankerten Pflicht nachkommen und ab Januar 2024 E-Rezepte ausstellen können? Während die Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung (KZBV) und der Spitzenverband Fachärzte Deutschlands (SpiFa) dies auf Nachfrage der PZ grundsätzlich bejahten, überwiegen beim Virchowbund die Zweifel. Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) betonte, dass sie in der Gematik gegen die verbindliche Einführung des elektronischen Rezepts ab dem 1. Januar 2024 gestimmt habe. »Wir wollten am vorher beschlossenen stufenweisen Roll-out festhalten. Denn so hätte das E-Rezept ausreichend über die gesamte Prozesskette getestet werden können«, erläuterte ein Sprecher. Er drehte zudem den Spieß um und verwies darauf, dass zunächst die Apothekenteams die Voraussetzungen für ein reibungsloses Einlösen von E-Rezepten schaffen müssten.
Die KBV bedauerte, dass der aus Sicht der Kassenärzte einzige praktikable Einlöseweg über die EGK noch nicht überall einsatzfähig sei. »Die Hürden liegen bei dieser Variante aktuell weniger in den Praxen als in den Apotheken«, hieß es. Die Apotheken müssten dafür Kartenlesegeräte installieren und auch ihre Software anpassen. Auch wenn mittlerweile theoretisch alle Softwaresysteme die Voraussetzungen anbieten, müsse die Anpassung erst einmal in allen Apotheken umgesetzt sein. Die KBV empfehle den Praxen daher, vor dem Ausstellen der Rezepte über die EGK zu klären, ob die Apotheken in ihrem Umfeld tatsächlich schon darauf vorbereitet seien. Sei dies nicht der Fall, gehe der Verband davon aus, dass Patienten zurück in die Praxen gehen und diese ihnen dann E-Rezepte in Papierform ausstellen müssten. »Das führt zu erheblichem Mehraufwand und ist schon gar nicht Sinn und Zweck von Digitalisierung«, kritisierte der Verband. Vorausgesetzt, dass das Einlesen der EGK in Apotheken möglich sei, rate die KBV den Praxen jedoch angesichts der gesetzlich vorgesehenen verpflichtenden Einführung ab Anfang 2024, das E-Rezept zu testen.
Sehr skeptisch äußerte sich der Virchowbund, der die Interessen der niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte vertritt: »Wir bezweifeln vor dem Hintergrund der Erfahrung der letzten Jahre, dass alle Praxen der Pflicht nachkommen können und wollen.« Bislang sei der Prozess zu fehlerbehaftet und bedeute im Praxisalltag zu wenig unmittelbaren Mehrwert im Sinne von Zeitersparnis. Technisch gebe es noch viele Fehlerquellen. Aus Sicht des Verbands überwiegen beim elektronischen Verordnen bisher die Nachteile. Die Umstellung bedeute, dass »ein störungsfreier, schneller und etablierter, aber analoger Prozess durch einen fehleranfälligen, langsameren digitalen Prozess ersetzt werde«, so ein Sprecher. Tatsächliche Vorteile wären zum Beispiel Zeitersparnis im Praxisalltag, automatisierte Übertragung in den Medikationsplan und die Patientenakte sowie Schutz vor Missbrauch, etwa bei Betäubungsmittel-Rezepten.
Die Fachärzte halten es prinzipiell für möglich, dass alle Praxen der E-Rezept-Pflicht ab 1. Januar 2024 nachkommen können. »Alle Praxisverwaltungssysteme sollten bis dahin störungsfrei E-Rezept-fähig sein«, teilte der SpiFa mit. Ob das E-Rezept aber ab 1. Januar praxistauglich sei, hänge noch von weiteren Faktoren ab: So müsse die störungsfreie Funktionsfähigkeit der Telematik-Infrastruktur (TI) gewährleistet sein. Und letztlich müssten auch die Patientinnen und Patienten bereit und technisch ausgerüstet sein, um ein E-Rezept zu empfangen. »Für die meisten Fachärztinnen und Fachärzte macht die Nutzung des E-Rezepts erst dann Sinn, wenn nicht noch zusätzlich digitale Ausdrucke zur Verfügung gestellt werden müssen«, betonte ein Sprecher.
Derzeit sei das E-Rezept aus Sicht der Fachärzteschaft noch nicht praxistauglich. Für die Praxen bedeute die Nutzung des E-Rezepts einen deutlich erhöhten Zeitaufwand und die Bindung von Kapazitäten von Praxispersonal, die dringend für die eigentliche Versorgung benötigt würden. Zum einen dauere die Erstellung des E-Rezepts selbst noch viel zu lange, zum anderen sei der Erklärungsbedarf immens hoch. Viele Patientinnen und Patienten der älteren Generation seien nicht in der Lage oder auch nicht willens, das E-Rezept zu nutzen. Ein weiteres Manko sei, dass die TI derzeit noch nicht reibungslos funktioniere. »Vorausgesetzt, es würde alles technisch reibungslos funktionieren, wäre der größte Vorteil für die Arztpraxen sicherlich eine Reduktion der Zettelwirtschaft«, so der SpiFa-Sprecher.
Weitgehend optimistisch äußerten sich die Zahnärzte. »Technisch sollten bis auf einige Ausnahmen die Praxen der Verpflichtung nachkommen können«, informierte die KZBV auf Nachfrage der PZ. Der Verband habe den Zahnarztpraxen umfangreiche Informationsmaterialien an die Hand gegeben. Die KZBV geht »aufgrund dieser guten Vorbereitung davon aus, dass bis auf Einzelfälle alle Zahnarztpraxen technisch in der Lage sein sollten, ab dem 1. Januar 2024 E-Rezepte auszustellen«, hieß es.
Sorgen bereitet den Vertragszahnärzten allerdings die unzureichende Information der Versicherten. Die Krankenkassen und das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) seien ihrer Aufgabe in diesem Punkt nicht nachgekommen, sodass weiterhin viel Aufklärungsarbeit in den Zahnarztpraxen erfolgen müsse, kritisierte die KZBV. Zudem berge die Entscheidung des BMG, die Einführung zum 1. Januar 2024 als »Big Bang« durchzuführen, Risiken in der Vorbereitung der Praxen, aber auch mit Blick auf die technische Stabilität des Gesamtprozesses dieser Massenanwendung. Die KZBV hatte sich deshalb nach eigenen Angaben für die Beibehaltung eines stufenweisen Roll-outs eingesetzt. Grundsätzlich habe das Hin und Her beim E-Rezept für viel Verunsicherung gesorgt.
Die KZBV kann dem elektronischen Verordnen aber auch positive Seiten abgewinnen. Je nach Umsetzung in der Praxissoftware könnten E-Rezepte mit nur wenigen Klicks erstellt werden. Mit Nutzung der Komfortsignatur sei es möglich, E-Rezepte aus allen Behandlungsräumen heraus zu erstellen. Die zahnmedizinischen Fachangestellten könnten das Rezept vorbereiten, die Zahnärztinnen und Zahnärzte es kontrollieren und signieren. »Das alles spart wertvolle Zeit und Wege in der Praxis«, so der Verband.
Das Papier-Rezept ist ein Auslaufmodell. Mit dem E-Rezept sollen alle Arzneimittel-Verordnungen über die Telematikinfrastruktur abgewickelt werden. Wir berichten über alle Entwicklungen bei der Einführung des E-Rezeptes. Eine Übersicht über unsere Berichterstattung finden Sie auf der Themenseite E-Rezept.