Beeinflusst der Transport die Stabilität? |
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Mehr als die Hälfte der im vergangenen Jahr zugelassenen Medikamente waren Biopharmazeutika, häufig monoklonale Antikörper. Da die Hersteller keine gebrauchsfertigen Lösungen für die individualisierte Therapie zur Verfügung stellen, werden vielerorts Lösungen in Apotheken oder in zentralen Herstellbetrieben zubereitet und dann über weite Strecken transportiert oder auch per Rohrpost in einer Klinik versendet. Nehmen die Proteinlösungen dabei Schaden? Dieser Frage ist auf Anregung der Stiftung für Arzneimittelsicherheit das Zentrallaboratorium Deutscher Apotheker in Zusammenarbeit mit dem auf Proteinanalytik spezialisierten Labor Leukocare nachgegangen. Die Ergebnisse sind im »Archiv der Pharmazie« veröffentlicht worden.
In einer ersten Phase der Studie wurden elf umsatzstarke monoklonale Antikörper untersucht. Lösungen unterschiedlicher, meist im mittleren Dosierungsbereich liegende Konzentrationen wurden für 23 Stunden mechanischem Stress ausgesetzt und auf Aggregat- und Partikelbildung untersucht. Dabei zeigten sich in dynamischen Streulicht- und Mikro-Flow-Imaging-Untersuchungen der applikationsfertigen Infusionslösungen lediglich im Fall von Bevacizumab und Pembrolizumab eine deutliche Zunahme nicht sichtbarer Partikeln. Die Lösungen aller anderen Antikörper waren unauffällig.
In einer zweiten Phase wurde Bevacizumab nun detaillierter auf eine konzentrations- und zeitabhängige Neigung zur Partikelbildung untersucht. Aufgrund eines eingegangenen Berichts aus der Apothekenpraxis über Trübungen bei der Herstellung der Infusionslösung, wurden die weitergehenden Untersuchungen mit dem Biosimilar Zirabev® (und nicht mit Mvasi®) durchgeführt. Zu diesem Zweck wurden vier unterschiedliche Bevacizumab-Konzentrationen (2 bis 15 mg/mL) in 100 mL Infusionsbeutel durch Verdünnung des Zirabev® Konzentrats (25 mg/mL) mit 0,9-prozentiger isotonischer Kochsalzlösung hergestellt. Ein Teil der Lösungen wurden 35 Tage bei 2 bis 8 °C unter Lichtschutz gelagert und der zweite Teil für 23 Stunden mechanischem Stress ausgesetzt, bevor auch dieser für 35 Tage bei 2 bis 8 °C lichtgeschützt gelagert wurde.
Es wurden Proben zu verschiedenen Zeitpunkten (0, 2, 4, 6, 23 h sowie 35 d) entnommen und mittels dynamischer Lichtstreuung und Micro-Flow-Imaging analysiert. Wiederum wurden in den gestressten Lösungen deutlich erhöhte Partikelzahlen insbesondere bei verdünnten, aber auch bei höher konzentrierten Bevacizumab-Lösungen beobachtet. Die Aufnahmen der Kamera konnte die Partikel als Proteinpartikel verifizieren. In den ungestressten Lösungen wurden weniger Partikel, das heißt Aggregate, gefunden. Fazit: Die Partikelbildung unter mechanischem Stress ist bei Bevacizumab zeit- und konzentrationsabhängig.
Ergänzend wurden die mechanisch nicht gestressten Proben einer Inline-Filtration durch einen 0,2 µm Inline-Filter unterzogen, um die Effektivität dieser Filtration bei der Zurückhaltung von gebildeten Partikeln zu untersuchen. Nach Inline-Filtration konnte im Gegensatz zu den anderen Bevacizumab-Lösungen bei niedriger Konzentration (2 mg/mL) keine Partikelreduktion, sondern – im Gegenteil - eine gewaltige Zunahme der Partikelzahlen beobachtet werden. Das heißt, dass eine Inline-Filtration, auch wenn gemäß Fachinformation für Bevacizumab ohnehin nicht vorgeschrieben, bei niedrig dosierten Bevacizumab-Infusionslösungen unbedingt vermieden werden sollte!
Da Ergebnisse der Studienphase 2 vermuten ließen, dass Partikel auch durch die Spritzen eingetragen werden könnten, wurde in Phase 3 der Studie am Beispiel von 0,9-prozentiger isotonischer Kochsalzlösung in 100 mL Infusionsbeutel der Einfluss der Verwendung von nicht silikonisierten Spritzen im Vergleich zu silikonisierten Spritzen nach keinem, einmaligen, zweimaligen und dreimaligen Spülen mit 10 mL Kochsalzlösung auf den Partikeleintrag untersucht. Dabei konnte eine erhöhte Partikelzahl bei Verwendung von silikonisierten Spritzen ohne vorherige Spülung im Vergleich zu nicht silikonisierten Spritzen beobachtet werden. Die Partikelzahl kann auf das Niveau der nicht silikonisierten Spritzen reduziert werden, wenn die Spritze vor der Entnahme des Antikörpers einmal mit 10 mL Kochsalzlösung gespült wurde.
Ein mehrfaches Spülen führte jedoch wiederum zu einer Zunahme der Partikelzahl. Daraus ergibt sich für die Praxis die Empfehlung, dass die Spritzen vor Gebrauch mit isotonischer Kochsalzlösung gespült werden sollten. Somit werden die durch die Spritze eingetragenen Silikonpartikel reduziert und die proteinogen Arzneistoffe nicht mit diesen Partikeln belastet.
Die Studie zeigt, dass die meisten individualisierten Lösungen monoklonaler Antikörper hinsichtlich der Partikelbildung und unter den gewählten Bedingungen/Analysemethoden stabil sind. Es kann jedoch nicht ausgeschlossen werden, dass unter realen Stress- und Transportbedingungen die applikationsfertigen Zubereitungen nicht doch Schaden nehmen können. Die Lösungen sollten zeitnah, möglichst vor Ort hergestellt und vorsichtig zum Patienten transportiert werden.