Bayern macht Arzneimittelversorgung zur Chefsache |
Melanie Höhn |
17.07.2025 13:50 Uhr |
Das oberste Ziel für Bayerns Gesundheitsministerin Judith Gerlach (CDU) ist die Sicherstellung der Arzneimittelversorgung in Bayern. / © Imago/Political-Moments
Bayerns Gesundheitsministerin Judith Gerlach (CSU) und Bayerns Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (Freie Wähler) haben gestern beim 10. Bayerischen Pharmagipfel mit zentralen Akteuren aus Politik, Pharma und Gesundheit über die aktuellen Herausforderungen im Bereich der Arzneimittelversorgung und die Zukunft des Forschungs- und Entwicklungsstandorts Deutschland und EU diskutiert, wie das Bayerische Staatsministerium für Wirtschaft, Landesentwicklung und Energie (StMWi) in einer Mitteilung erklärte.
»Oberstes Ziel bleibt die Sicherstellung der Arzneimittelversorgung in Bayern. Die politischen Entwicklungen der letzten Jahre haben gezeigt, wie groß die Abhängigkeiten Europas von Staaten wie China oder Indien sind, wenn es um die Versorgung mit Arzneimitteln geht«, sagte Bayerns Gesundheitsministerin Judith Gerlach (CDU). Es brauche verlässliche Rahmenbedingungen und Anreize, um die Industrie vor Ort zu halten und auszubauen. Sie begrüßte daher die Bestrebungen der EU, den Pharmastandort Europa wieder attraktiver für Investitionen zu machen.
In Zusammenarbeit mit den Partnern des Bayerischen Pharmagipfels seien in den vergangenen zehn Jahren viele wichtige Impulse gesetzt worden. Bayern nehme hier bundesweit eine Vorreiterrolle ein, so Gerlach. »Zu den Erfolgen der vergangenen Pharmagipfel zählen unter anderem die starke Prägung des Medizinforschungsgesetzes und des Gesetzes zur Bekämpfung von Lieferengpässen bei patentfreien Arzneimitteln und zur Verbesserung der Versorgung mit Kinderarzneimitteln.« Daneben nehme Bayern aktiv Einfluss bei der Steuerung in der Forschungsförderung sowie bei der Zusammenführung von Krebsregisterdaten.
Um die Innovationskraft und Wettbewerbsfähigkeit der pharmazeutischen Industrie zu fördern, sei der Dialog weiterhin wichtig. »So können wir Probleme und Herausforderungen frühzeitig angehen und Chancen gemeinsam nutzen. Ein zentraler Punkt dabei ist, ein Umfeld zu schaffen, das unnötige Bürokratie vermeidet«, so Gerlach weiter.
Bei der Preisbildung von Arzneimitteln komme es darauf an, einen Ausgleich zu schaffen zwischen der Pharmaindustrie, die auf auskömmliche Preise angewiesen sei sowie den Gesetzlichen Krankenversicherungen und Beitragszahlern, die das System finanzieren müssen. »Nur auskömmliche Preise können Anreize für Forschung und Entwicklung liefern und Versorgungssicherheit gewährleisten«, machte die Ministerin deutlich.
Beim Thema Erstattungspreise sieht Bayerns Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger einen Hebel: »Wer beim Gesundheitssystem immer weiter den Rotstift ansetzt, spart am Ende das System kaputt. Fehler, die beim Umgang mit Generika gemacht wurden, dürfen sich nicht wiederholen.« Aiwanger weiter: »Die EU plant eine erweiterte Herstellerverantwortung bei der Kommunalabwasserrichtlinie. Wir brauchen uns nicht wundern, wenn dann weitere Arzneimittel nicht mehr verfügbar sind, weil sie wegen der höheren Kosten für Pharmaunternehmen nicht mehr wirtschaftlich sind.« Die Reform der Abwasserrichtlinie bürde den Herstellern von Arzneimitteln und Kosmetika mindestens 80 Prozent der Kosten für die Entfernung von Mikroverunreinigungen aus dem Abwasser auf.
Die Pharmaindustrie sei nicht irgendeine Branche, so Aiwanger. »Sie ist nicht nur eine zentrale Säule unseres Wirtschaftsstandorts mit rund 5 Milliarden Euro Bruttowertschöpfung, sondern ein Garant für die Gesundheit unserer Bevölkerung und damit auch der Arbeitskräfte«, so Aiwanger. Bayern biete der Pharmaindustrie »hervorragende Voraussetzungen«: eine »exzellente Forschungslandschaft, starke Hochschulen und innovative Clusterstrukturen.«
Laut Wirtschaftsminister Aiwanger sind die aktuellen Investitionen der Pharmaindustrie eine Bestätigung für die gute Zusammenarbeit zwischen Industrie und Politik: »Die Pharmaunternehmen haben in den letzten Jahren umfangreich in bayerische Standorte investiert. Genau dieses Engagement brauchen wir, um unsere Wettbewerbsfähigkeit zu sichern, Innovationen aus Bayern in die Welt zu bringen und unsere Unabhängigkeit bei der Verfügbarkeit von Arzneimitteln zu stärken.«
Mit dem Pharmapaket und dem Critical Medicines Act habe Europa die Chance, seine Versorgung resilienter und den Standort wieder attraktiver für Investitionen zu machen, sagte Professor Karl Broich, Präsident des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM). »Jetzt kommt es auf die Umsetzung an.« Patientinnen und Patienten müssten sich auf eine sichere Arzneimittelversorgung verlassen können. »Deshalb werden wir Künstliche Intelligenz und Big Data auch gezielt gegen Lieferengpässe einsetzen«, so Broich weiter.
Dass der wahre Wert von Gesundheit weit über klinische Ergebnisse hinausgehe, betonte Malina Müller, Head of Health Economics vom Unabhängigen Wirtschaftsforschungsinstitut (WifOR): »Jeder Euro, den wir heute in Prävention und moderne Gesundheitsversorgung investieren, trägt morgen zur wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Stabilität bei. Durch die enge Zusammenarbeit zwischen Akteuren aus Industrie, Politik und Wissenschaft können wir die Bedeutung von Gesundheit sichtbar machen, Investitionen gezielt steuern – und so die Grundlage für langfristiges Wachstum und gesellschaftlichen Zusammenhalt schaffen«.
Deutschland habe eine starke Gesundheitswirtschaft, dürfe sich aber nicht darauf ausruhen, erklärte Heinrich Moisa, Vorsitzender der Geschäftsführung Novartis Deutschland und vfa-Landesvorsitzender Bayern. »Eine widerstandsfähige Gesundheitsversorgung beginnt mit einer starken und innovativen Arzneimittelentwicklung in Deutschland und Europa. Dafür sind stabile und wettbewerbsfähige Rahmenbedingungen nötig«.
Aus Sicht des Verbands Pro Generika habe der Bayerische Pharmagipfel die richtigen Fragen gestellt: »Was ist Gesundheit wert? Wohin steuert die Versorgung angesichts stetiger Kostendämpfung? Wie kann der europäische Pharmastandort in geopolitisch unsicheren Zeiten widerstandsfähiger werden?«, hieß es in einer Mitteilung des Verbands.
Zwei zentrale Themen des diesjährigen Gipfels – die Preisbildung bei Arzneimitteln und die Widerstandsfähigkeit des Standortes Europa – würden für den Verband untrennbar zusammengehören. »Denn: Wenn Generika-Preise in den Keller gedrückt werden, gefährdet das nicht nur die Versorgung mit bezahlbaren Medikamenten. Es riskiert auch die wirtschaftliche Grundlage von Unternehmen, die in Europa produzieren«, hieß es weiter. »Beide Fragen sind in Wahrheit eine«, erklärt Bork Bretthauer, Geschäftsführer von Pro Generika. »Wenn wir Generika immer billiger machen, gefährden wir die Versorgungssicherheit – und verlieren Produktionskapazitäten in Europa.«
Dies betreffe zunehmend auch Biosimilars. Diese biotechnologisch hergestellten Nachahmer-Arzneimittel sollen künftig wie Generika behandelt werden. »Ein Schritt, den Bayerns Staatsministerin für Gesundheit, Pflege und Prävention Judith Gerlach massiv ablehnt und vor dem sie Ministerin Warken in einem Brief gewarnt hat«, so Bretthauer. »Sofern das Gesundheitsministerium nicht mehr eingreift, droht sich dieselbe Abwanderungs- und Destabilisierungs-Geschichte wie bei Generika zu wiederholen«, kritisierte er.
»Der Bayerische Pharmagipfel hat die Spur legt – jetzt ist der Bund am Zug«, fordert der Verband und drängt auf den Start des von Bundesgesundheitsministerin Nina Warken (CDU) angekündigten Pharmadialogs. Die Herausforderungen seien immens – und sie brauchen nationale Antworten.