»Bagatellpillen gibt es medizinisch nicht« |
»In der Arzneimittelversorgung sind Fehler gefährlich für Leib und Leben«, schreibt Gabriele Regina Overwiening, Präsidentin der Apothekerkammer Westfalen-Lippe, in einem Leserbrief an die »Frankfurter Allgemeine Zeitung«. / © AKWL
Der Autor des Kommentars in der »Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung« (FAS) lasse »mit einem Federstrich rund 160.000 sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze über die Klippe springen«, schreibt Gabriele Regina Overwiening, Präsidentin der AKWL. Ironisch merkt sie dabei an, dem Autor seien die Stellen egal, da sie überwiegend von Frauen besetzt sind.
»Wer seriös über Reformen sprechen will, sollte nicht den Eindruck erwecken, Arzneimittel ließen sich wie Bonbons vertreiben«, schreibt Overwiening. Das Gesundheitssystem brauche in den nächsten Jahren »genau diese niedrigschwellig erreichbaren Heilberuflerinnen und Heilberufler mit Lotsenfunktion im Gesundheitswesen und eine verlässliche Finanzierung der Gemeinwohlaufgaben.«
Selbstmedikation sei kein Selbstläufer und »Bagatellpillen« gebe es nicht, so Overwiening. Denn auch Ibuprofen oder Paracetamol könnten für manche Patientinnen und Patienten gefährlich sein. »In der Apotheke prüfen wir Kontraindikationen, Interaktionen und Doppelanwendungen im Kontext der individuellen Situation« schreibt sie. Die Apotheken würden »täglich Fehl- und Überanwendungen – niedrigschwellig, ohne Termin, ohne Hürde« verhindern.
Außerdem würden Apothekerinnen und Apotheker bei rezeptpflichtigen Arzneimitteln unter anderem Verordnungsfehler, Interaktionen bei Polymedikation, Dosierungs- oder Darreichungsfehler erkennen. Apotheken seien die letzte unabhängige Sicherheitsinstanz im Arzneimittelprozess. Denn bei Arzneimitteln könne eine falsche Dosierung tödlich enden. »Wer einen Kommentar schreibt, kann diesen am nächsten Tag verändern, zurückrudern oder ein öffentliches Gewitter an sich vorbeiziehen lassen. In der Arzneimittelversorgung sind Fehler gefährlich für Leib und Leben.«
Arzneimittel seien keine Konsumgüter. »Eine Verlagerung ins Ausland mag rechtliche Grauzonen ausnutzen, sie entzieht aber der deutschen Aufsicht, der Qualitätssicherung, der Arzneimittelsicherheit die Grundlage.« Versorgung ist laut der Präsidentin mehr als Logistik. Zentralisierung ersetze nicht »die wohnortnahe, sofort verfügbare Individualversorgung«. »Menschen, die mit diesen Bereichen arbeiten oder Angehörige haben, kämen nicht im Traum auf die Idee, sich über die Institution Apotheke dermaßen vernichtend zu äußern.«
Overwiening betont: »Beratung ist keine Verkaufsmasche, sondern gesetzlicher Auftrag und gelebte Verantwortung«. Für die Kammern sei unabhängige, evidenzbasierte Beratung Maßstab, »und wir sanktionieren Fehlverhalten«. Auch Preisargumente greifen für Overwiening zu kurz. »Prävention durch Beratung spart dem System Geld und Leid bei Patientinnen, Patienten und Angehörigen.«