Babys weinen mit Akzent |
Jennifer Evans |
02.04.2024 12:00 Uhr |
Schreien ist nicht willkürlich: Seit Jahrzehnten untersucht das UKW die Laute von Babys auf fast allen Kontinenten. Und jedes Kind weint anders. / © Adobe Stock/Rawpixel.com
Weinen und andere Lautäußerungen dienen Säuglingen und Babys dazu, Gefühle und Bedürfnisse auszudrücken. Professor Dr. Kathleen Wermke bezeichnet diese vorsprachlichen Äußerungen als »musikalischen Urgesang«, den alle Babys auf der Welt beherrschen. Er ähnele dem Gesang mancher Tiere. Allerdings entwickelten nur Menschen daraus eine gesprochene Sprache, so die Verhaltensbiologin und medizinische Anthropologin, die am Universitätsklinikum Würzburg (UKW) das Zentrum für vorsprachliche Entwicklung und Entwicklungsstörungen leitet.
Schon bei den Neugeborenen machen sich kulturelle Unterschiede bemerkbar, sobald sie die ersten Laute formen. Der Babygesang folge unterschiedlichen Melodien, Intervallen oder rhythmischen Akzentuierungen und trage charakteristische Spuren der Muttersprache, berichtet die Verhaltensbiologin.
Französische Babys weinen tatsächlich mit Akzent, wie Wermkes Team herausfand. Ihre Melodiekontur verläuft demzufolge von tief nach hoch, während Babys deutschsprachiger Mütter mit fallender Melodiekontur weinen, also von hoch nach tief. Im Vergleich dazu weinen japanische und schwedische Neugeborene deutlich komplexer. Die Sprachmelodie ist also abhängig von der Umgebungssprache, weil die Variationen laut der Forscherin nicht durch Unterschiede in der Anatomie des Kehlkopfes oder der Physiologie der Stimmproduktion zu erklären sind.
Noch deutlicher zeigt sich der Unterschied europäischen Babygesangs im Vergleich zu Sprachen wie beispielsweise Mandarin, in denen unterschiedliche Tonhöhen die Bedeutung der Wörter bestimmen. Die Lamnso-Sprache der Nso in Kamerun hat acht Tonhöhen plus spezifische Tonhöhenverläufe, das Babyweinen gleicht dort laut dem UKW-Bericht einem Singsang. Der Abstand zwischen dem tiefsten und dem höchsten Ton ist bei ihnen demnach deutlich größer als bei Neugeborenen deutschsprachiger Mütter. Auch das kurzzeitige Auf und Ab der Töne sei intensiver.