Avatar therapiert Adipositas |
Jennifer Evans |
04.12.2023 07:00 Uhr |
Verschränkung von Realitäten nutzen: Übergewichtige Menschen lassen sich nachgewiesenermaßen von sportlichen Avataren mitreißen. / Foto: Adobe Stock/Jacob Lund
Letztlich ist es ein uralter Wunsch des Menschen, die Realität hinter sich zu lassen und in eine andere Welt einzutauchen. Doch wenn es ums Metaverse geht, verschwimmen plötzlich die Grenzen zwischen Mensch und Maschine. Mit Virtual-Reality-Brillen und speziellen Haptik-Handschuhen können wir uns als Avatare frei in einem digitalen Parallel-Universum bewegen. Welche Folgen hat das für die Psyche? Unter anderem dieser Frage ging der Deutsche Ethikrat vor Kurzem bei seiner Tagung in Erfurt nach, wo die Experten über Chancen und Risiken des Metaverse diskutierten.
Da für Menschen speziell der Sinneseindruck sehr mächtig ist, erscheint die virtuelle Welt so real. Darauf machte Professor Dr. Carolin Wienrich von der Julius-Maximilians-Universität Würzburg aufmerksam. Sie forscht und lehrt zur Psychologie intelligenter interaktiver Systeme. Einen virtuellen Körper nehmen wir also als unseren eigenen wahr. Das bedeutet: »Wir binden ihn in unsere Selbstwahrnehmung ein«, so Wienrich.
Der Psychologin zufolge hat sich beispielsweise gezeigt, dass Menschen sich im Alltag sportlich motivierter fühlen, wenn ihr fotorealistischer Avatar athletisch aussieht. Dieser Effekt stellte sich demnach bereits ein, nachdem die Betrachter den Avatar 15 Minuten lang präsentiert bekamen, und er hielt noch für mehrere Wochen an. In der Folge achteten diese Personen stärker auf einen aktiven Lebensstil.
Dieses Phänomen lässt sich Wienrich zufolge für vielversprechende Mind-Body-Therapieansätze nutzen. Gemeint sind Körperbild-Störungen, wie sie etwa bei Adipositas oder Anorexie auftreten. Patienten könnten dann per Knopfdruck virtuelle Abbilder des eigenen Körpers verändern, um eine Vorstellung davon zu bekommen, wie sie mit mehr oder weniger Gewicht aussehen. Die Erfahrungen übertragen sie auf das tatsächliche Körper- und Selbstbild. Einem Avatar ist es also möglich, einen Zugang zum realen physischen Körper zu finden. Das gelinge unter anderem deshalb, weil mit den Erfahrungen im Metaverse ein hohes Gefühl von Präsenz einhergehe, so Wienrich. »Man erlebt die Dinge als plausibel.«
Ähnliches funktioniert auch in anderen Lebensbereichen. Wie die Psychologin berichtete, ließ sich nachweislich mit Avataren auch die Empathie steigern. Zum Beispiel, wenn jemand im Metaverse in einem Körper agierte, der eine andere Hautfarbe, ein anderes Geschlecht oder Lebensalter besaß. Nach Wienrichs Angaben war danach eine Verhaltensänderung in der Außenwelt deutlich und nachhaltig zu beobachten. Wenn Männer beispielweise virtuell in einen Frauenkörper schlüpften, hätten sie sich später weniger breitbeinig in eine U-Bahn gesetzt, so die Psychologin.
Als der Facebook-Gründer Mark Zuckerberg vor gut zwei Jahren ankündigte, Facebook jetzt zu Meta machen zu wollen, waren die Erwartungen groß. Doch diese neue Welt und ihre Regeln sind zum Teil noch sehr nebulös. Übrigens stammt der Begriff Metaverse ursprünglich nicht von Zuckerberg, sondern aus Neal Stephensons Science-Fiction-Roman »Snow Crash« von 1992.
In einem Vortrag zählte Wienrich zudem einige Gefahren auf: Was passiert, wenn der eigene fotorealistische Avatar gestohlen oder kopiert wird und dann in anderen virtuellen Situation rund um den Globus auftaucht, wo er mit anderen interagiert. Wie soll dann eine dritte Person wissen, welcher der echte Avatar ist? Wie schützt man also Identität? Und wie reagieren wir, wenn wir uns ständig selbst im Metaverse begegnen? Eine weitere Frage ist, was eigentlich mit unserer Konfliktfähigkeit geschehen wird. Virtuell lassen sich andere einfach ausschalten, wenn sie nerven. Blockieren statt diskutieren.
Fest steht nur eins: Das Metaverse ist für jeden Nutzer sehr real. »Wir erfahren die Dinge als der Mensch, der wir sind, weil es diese Rückkopplung auf den physischen Körper gibt«, fasst Wienrich erneut die Chancen und Risiken dieser Welt zusammen.