Automaten und Cannabisverkauf als Alternativen zur Apothekenreform |
| Lukas Brockfeld |
| 02.07.2024 18:56 Uhr |
Holger Seyfarth ist Vorsitzender des Hessischen Apothekerverbands und einer der Verfasser der Stellungnahme. / Foto: PZ/Isabel Weinert
Die Stellungnahme zum Apotheken-Reformgesetz wurde von sieben Einzelpersonen verfasst. Unter ihnen sind zwei Professoren und auch der Vorsitzende des Hessischen Apothekerverbandes (HAV) Holger Seyfarth. Unklar ist, für wen die Männer und Frauen, die sich selbst als »Expertenkreis« bezeichnen, genau sprechen. Sie selbst nennen sich »interessierte Branchenkundige aus Apothekenpraxis, Hochschule und Fachberatung« die sich zusammen getan haben, um »unbelastet von standespolitischen Verengungen des Diskursraums eine Skizze für die Rolle der Apotheken der Zukunft zu entwerfen«.
Seyfarth zählt zwar als HAV-Vorsitzender zum standespolitischen Kreis, fällt aber regelmäßig mit Alleingängen auf. So auch in der vergangenen Woche, als er unabgestimmt für Hessen zum Protest mit Apothekenschließungen aufrief.
Mit der Stellungnahme positioniert sich Seyfarth erneut gegen die ABDA, diese hatte das Apothekenreformgesetz grundsätzlich abgelehnt und auf eine detaillierte Stellungnahme verzichtet. Die Gruppe um den HAV-Vorsitzenden schreibt dagegen, dass der Referentenentwurf »einige für die zukünftige Positionierung der Vor-Ort-Apotheken im deutschen Gesundheitswesen durchaus sinnvolle Ansätze« aufweise. Andere Punkte seien jedoch noch abstimmungsbedürftig oder müssten vorerst abgelehnt werden.
Der »Expertenkreis« hat zahlreiche Ideen mit denen die Probleme des gegenwertigen Apothekensystems angegangen werden sollen.
Zur »Sicherstellung von Arzneimittel- und Grundversorgung in der Fläche« brauche es neben einer angemessenen Vergütung und Maßnahmen gegen den Fachkräftemangel auch ein erweitertes Apotheken-Aufgabenspektrum. Die vorgeschlagenen Aufgaben der Apotheken umfassen beispielsweise neue pharmazeutische Dienstleistungen (pDL) und die Einbindung der Offizinen in Präventionsprogramme. Außerdem könnten die Märkte erweitert werden. Das Papier schlägt unter anderem den Verkauf von Genuss-Cannabis in der Apotheke vor.
Die Ideen des Apothekenreformgesetzes zur Flexibilisierung und Entbürokratisierung stoßen überwiegend auf das Wohlwollen des »Expertenkreises«. Die Telepharmazie sei »proaktiv zu unterstützen«, es müsse aber sichergestellt werden, dass berufsfremde Kreise keine Fernberatung durchführen. Außerdem wünscht man sich eine »proaktive Nutzung der Automatisierung«, beispielsweise durch von niedergelassenen Apothekern aufgestellte Abgabeautomaten in unterversorgten Regionen.
Die hochumstrittenen PTA-Vertretung wird dagegen in der Stellungnahme klar abgelehnt. Dazu heißt es: »Wir halten einen solchen tiefgreifenden Einschnitt, der zu Ende gedacht die gesamte eigenverantwortliche Freiberuflichkeit der niedergelassenen Kolleginnen und Kollegen infrage stellen kann, in der Eile der Zeit für nicht geboten.« Die Idee sei »potentiell systemverändernd« und müsse daher ausführlich und angemessen diskutiert werden.
Im Positionspapier wird auch hervorgehoben, dass die Vor-Ort-Apotheken mehr finanzielle Planbarkeit und Sicherheit brauchen. Mit einer Korrektur des Skontourteil des Bundesgerichtshofes (BGH) dürfe nicht bis zum Inkrafttreten des ApoRG gewartet werden. Die ab 2027 geplante Verhandlungslösung zum Apothekenhonorar brauche einen Ordnungsrahmens mit festen Kriterien, um der unterschiedlichen Wirkmacht der Beteiligten Rechnung zu tragen.
Die Verfasserinnen und Verfasser der Stellungnahme wünschen sich auch für die Zukunft eine streng regulierte Apothekenlandschaft um die kaufmännischen Risiken der Betreiber zu minimieren. Eine Liberalisierung böte zwar auch Chancen, könnte aber zu einem grundlegenden Systemwandel hin zu einem durch Kapitalgesellschaften und Fremdbesitz bestimmten Apothekenwesens führen. Das müsse noch diskutiert werden.
In der Stellungnahme wird klargestellt, dass sich die Apotheken unter unmittelbarem wirtschaftlichen Druck befinden. Auch der Faktor Zeit und die Erschöpfung der personellen Ressourcen sei ein erhebliches Problem. Daher wird ein Sofortprogramm vorgeschlagen. Dieses soll unter anderem eine Anpassung der Rx-Fixkomponente um 1,20 Euro (netto) je Fertigarzneimittelpackung spätestens ab Anfang 2025 und eine Wiederzulassung der Skonti umfassen. Außerdem wünscht man sich die Etablierung eines Sicherstellungsfonds für unterversorgte Regionen (Startvolumen etwa 100 Millionen Euro) und ein Programm zur Entbürokratisierung.
Autoren der Stellungnahme sind neben Seyfarth Prof. Dr. Reinhard Herzog, Hochschullehrer und Lehrbeauftragter an der Hochschule Albstadt-Sigmaringen, Prof. Dr. David Matusiewicz, Dekan und Direktor an der Hochschule für Ökonomie & Management, Essen, Ulrich Ströh, Apotheker in Rente und Mitglied der Kammerversammlung Schleswig-Holstein, Apotheker Björn Kersting, Ex-Avie- und Ex-Linda-Manager Dominik Klahn sowie dessen Frau, die Juristin Daniela Klahn, die früher DocMorris beraten hat.