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Amyotrophe Lateralsklerose

Viren im Genom als möglicher Auslöser

20.10.2015  16:12 Uhr

Von Christina Hohmann-Jeddi / Endogene Retroviren im menschlichen Genom könnten der Auslöser der amyotrophen Lateralsklerose (ALS) sein. Diese Hypothese zur Entstehung der Erkrankung stellen US-amerikanische Forscher nun vor. Ihnen zufolge könnten die schlafenden Viren-Überreste im Genom reaktiviert werden und zu Schäden in Neuronen führen.

Bei humanen endogenen Retroviren handelt es sich um Viren, die vor Millionen Jahren die Vorfahren des Menschen infizierten und es schafften, ihr Erbgut in die Keimbahn zu schleusen, sodass es mitvererbt wird. Insgesamt 8 Prozent des menschlichen Genoms machen diese viralen Gene aus. Die meisten von ihnen sind durch eine Reihe von Mutationen funktionslos geworden. Einige sind aber noch intakt und könnten reaktiviert werden. Ihre Rolle in der Entstehung von Krankheiten sei bislang nicht gut untersucht, schreiben Forscher um Wenxue Li im Fachjournal »Science Translational Medicine«.

 

Schlafende Viren im Genom

 

Seniorautor Dr. Avindra Nath, der das US-amerikanische National Institute of Neurological Disorders and Stroke leitet, vermutet, dass eine Reaktivierung dieser schlafenden Viren in der ALS-Pathogenese eine Rolle spielen könnte. »Die viralen Gene werden auch als DNA-Müll bezeichnet«, sagt Nath. »Unsere Ergebnisse lassen vermuten, dass sie bei ALS aktiviert werden.« Bei ALS werden fortschreitend Motorneurone zerstört, die die Muskelbewegung kontrollieren. Dadurch gehen nach und nach die Fähigkeiten zu sprechen, zu gehen, zu schlucken und zu atmen verloren. Die Erkrankung führt innerhalb von drei bis fünf Jahren zum Tod. Aufmerksamkeit erlangte die Erkrankung, für die es keine Therapiemöglichkeiten gibt, im vergangenen Jahr durch die sogenannte Ice Bucket Challenge.

 

ALS-ähnliche Symptome wie Muskelschwäche zeigen in seltenen Fällen auch HIV-Infizierte. Bei vielen Patienten verschwinden diese aber durch die Gabe von antiretroviralen Medikamenten wieder. Bei HIV handelt es sich auch um ein Retrovirus, wenn auch kein endogenes. Es benutzt die Reverse Transkiptase (RT), um sein Genom in DNA umzuschreiben. Im Blut von ALS-Patienten, die nachweislich HIV-negativ waren, war dieses Enzym ebenfalls gefunden worden. Daher beschlossen Nath und seine Kollegen, die Rolle der endogenen Retroviren bei ALS genauer zu untersuchen.

 

Die Forscher untersuchten die Gehirne von verstorbenen Patienten mit sporadischer ALS und stellten fest, dass in diesen alle drei Gene des humanen endogenen Retrovirus K (HERV-K) exprimiert werden – und zwar in einem deutlich stärkeren Ausmaß als bei Kontrollpersonen ohne ALS. Eines davon ist das env-Gen, dessen Genprodukt vor allem in den kortikalen und spinalen Neuronen von ALS-Patienten nachgewiesen wurde, berichten die Forscher (DOI: 10.1126/scitranslmed.aac8201). Um die Auswirkungen der HERV-K-Expression zu untersuchen, fügten sie sowohl das gesamte Genom als auch das env-Gen allein in eine humane neuronale Zelllinie ein. Das Ergebnis: Die Zellzahl nahm ab, was eine Neurotoxizität des env-Proteins nahelegt.

 

Dies konnten die Forscher in Untersuchungen an Mäusen belegen, die gentechnisch so verändert sind, dass sie das env-Gen exprimieren. Die Tiere starben früher als ihre Artgenossen und zeigten zudem Schwierigkeiten mit Balance und Fortbewegung. Bei der Sektion der Tiere stellten die Forscher fest, dass ausschließlich die Motorneurone zerstört waren, während andere Nervenzellen intakt blieben. »Die Motorneurone scheinen anfällig für eine Aktivierung der viralen Gene bei einer ALS zu sein«, vermutet Nath.

 

An der Expression des HERV-K-Genoms ist das DNA-bindende Protein TDP-43 beteiligt, wie die Forscher zeigen konnten. TDP-43 bindet an die als long terminal repeats (LTR) bezeichneten Domänen, die das virale Genom umgeben und dessen Expression steuern. Wenn die Forscher die TDP-43-Aktivität in menschlichen Neuronen hochregulierten, stieg auch die Expression der HERV-K-Gene. Mutationen im Gen für TDP-43 wurden schon früher mit ALS in Verbindung gebracht. Außerdem steuert es die Replikation von HIV mit.

 

Therapie mit HIV-Präparaten?

 

Sollten Retroviren zumindest für einen Teil der ALS-Erkrankungen verantwortlich sein, könnten antiretrovirale Medikamente eine mögliche Therapie darstellen. Das Team plant nun, in Zusammenarbeit mit der Johns Hopkins University die Wirksamkeit der HIV-Therapeutika bei ALS-Patienten zu testen. Vor acht Jahren war eine klinische Untersuchung mit neun ALS-Patienten, die Indinavir erhalten hatten, negativ ausgefallen (»Neurology«, DOI: 10.1212/01.wnl.0000263188.77797.99). Möglicherweise könnten größere Studien mit Patienten, die auf HERV-K-Aktivität getestet werden, andere Ergebnisse bringen. /

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