Die Last mit dem Leiden |
29.08.2011 08:29 Uhr |
Von Ulrike Abel-Wanek, Frankfurt am Main / Hypochonder gelten im Allgemeinen als Jammerer und Simulanten. Doch die Befürchtung, krank zu sein oder zu werden, ist ein ernst zu nehmendes Leiden. Wie man es lindern kann, untersuchen Wissenschaftler zurzeit im Rahmen einer Studie an der Goethe-Universität in Frankfurt.
»Zu uns kommen Menschen, die sehr starke Beeinträchtigungen im Alltag haben. Sie können sich nicht mehr konzentrieren, ihr Beruf und ihre Partnerschaft leiden, weil sich alles nur noch um Krankheitsängste dreht«, sagt Diplom-Psychologin Julia Neng. Sie koordiniert in Frankfurt die Hypochondrie-Studie, die zurzeit 30 Patienten umfasst. Etwa 80 sollen es werden, weitere Teilnehmer werden noch gesucht.
Jede Übelkeit wird zum Magenkrebs, hinter Kopfschmerzen steckt vielleicht ein Tumor, ein beschleunigter Puls kündigt den drohenden Herzinfarkt an. Befürchtungen, die fast jeden im Leben einmal plagen, steigern sich beim Hypochonder zur Obsession. Die Betroffenen beobachten und kontrollieren ihren Körper exzessiv – häufig über viele Stunden am Tag. Kleinste Anzeichen wie ein normaler Verdauungsvorgang nach dem Essen werden als Krankheitssymptome gewertet und wecken starke Angst. Die Angst wiederum verstärkt die Symptome. Auch die meisten Gespräche haben nur noch ein Thema: Ich könnte eine schlimme Krankheit haben oder bald bekommen. »Komm mal runter und beschäftige dich lieber mit anderen Dingen«, fordern genervte Freunde und Kollegen. »Und dann merken Betroffene, dass sie das gar nicht können«, so Neng. Im Schnitt dauere es zehn Jahre, bis sie sich in psychologische Behandlung begäben, so die Studienkoordinatorin. Bis dahin hätten sie unzählige ärztliche Untersuchungen hinter sich, aber nie fand sich eine körperliche Ursache der Beschwerden. Dauerstress in der Familie, Rückzug, Vereinsamung, Depression und Arbeitsunfähigkeit können Folgen einer unbehandelten Hypochondrie sein.
Niemand wird als Hypochonder geboren. Aber es gibt typische Risikofaktoren, um ausgeprägte Ängste zu entwickeln. Chronische Erkrankungen oder Todesfälle in der Familie, ein Klinikaufenthalt in Kindertagen, ärztliche Fehldiagnosen, aber auch »Dr. Google« und die Flut von Medieninformationen über immer neue Symptome und Krankheiten spielen eine Rolle. »Und vor allem, was man von den Eltern mitbekommen hat«, sagt die Psychologin. Wie Eltern mit ihrem Körper und dem Thema Krankheit umgingen, übertrage sich auf die Kinder. So können eine überbehütete Erziehung und ängstlich besorgte Mütter und Väter Hypochondrie fördern. »Viele Patienten, die zu uns kommen, sorgen sich darum, dass sie das, was sie selber erlebt haben, an ihre Kinder weitergeben könnten«, so die Psychologin. Auch genetische Faktoren spielen bei der Ausbildung von Ängsten eine Rolle.
Die Erforschung von Krankheitsangst steckt noch in den Kinderschuhen. Wie oft sie beispielsweise vorkommt, wissen die Wissenschaftler nicht genau. »Die Diagnose Hypochondrie gibt es nicht so häufig, man schätzt, dass 0,4 Prozent der deutschen Bevölkerung betroffen sind«, sagt Neng. Jedoch auf die Frage: »Haben Sie Angst, eine schwere Krankheit zu bekommen?«, antworten 7 Prozent der Deutschen mit »ja«. Dabei trifft Krankheitsangst Männer wie Frauen gleichermaßen. Sie werden belächelt und sind Gegenstand vieler Witze – und doch sind die »eingebildeten Kranken« keine Simulanten, sondern empfinden ihre Angst auslösenden Beschwerden tatsächlich. »Aber die Angst steht nicht in Relation zum Risiko, das ist das Problem«, fasst Neng zusammen.
Offiziell gilt die Hypochondrie als »somatoforme Störung«, viele Experten zählen sie jedoch zu den Angsterkrankungen. »Unsere Therapieschemata sind entsprechend auch an die Behandlung von Angsterkrankungen angelehnt«, so die Frankfurter Psychologin. Da Hypochondrie häufig mit anderen ausgeprägten Ängsten assoziiert sei, achte man bei der Studie sehr da-rauf, primär Patienten einzubeziehen, bei denen die Hypochondrie im Vordergrund stehe. Ihr sind die Frankfurter Wissenschaftler nun auf der Spur. Lange Zeit galt sie als schwer therapierbar. Jetzt zeigen erste Ergebnisse der Studie, dass die zwei Behandlungskonzepte nach der kognitiven Therapie und der Konfrontationstherapie dieses Leiden lindern können.
Die kognitive Therapie nimmt die Bewertungen ins Visier. Krankheitsängstliche Menschen, die befürchten, Magenkrebs zu haben, bewerten jedes Gurgeln im Bauch als Indiz für die Krankheit. Mithilfe der Therapie lernen sie, ihre Bewertungen kritisch zu überprüfen und auch alternative Erklärungen gelten zu lassen: »Es ist keine Krankheit, sondern vielleicht nur Stress.« Bei der Konfrontation oder Exposition gehe es eher darum, sich seinen Befürchtungen zu stellen und dadurch wieder Kontrolle über seine Ängste zurückzugewinnen, sagt Studienleiter Dr. Florian Weck. Beide Behandlungsansätze sind bisher gleichermaßen Erfolg versprechend.
Nach ausführlicher Diagnostik folgt eine drei bis vier Monate andauernde Therapie mit Nachsorgeterminen und abschließender Befragung nach einem und drei Jahren. Viel Arbeit liege auch zwischen den einzelnen Sitzungen, so die Psychologen, denn bei der Verhaltenstherapie bekommen die Patienten »Hausaufgaben«: Funktioniert das für mich, was ich mit den Therapeuten erarbeitet habe? An welcher Stelle klappt es noch nicht?
Ohne Therapie suchen Hypochonder immer wieder das Gespräch in der trügerischen Hoffnung, sich von ihren Ängsten befreien zu können. »Die Rückversicherung, dass alles in Ordnung ist, bekommen sie dabei am liebsten von Fachleuten, die Know-how in Sachen Krankheit haben«, weiß Neng aus Patientengesprächen. Dazu zählen Ärzte ebenso wie Apotheker. Für mehr Aufmerksamkeit hinsichtlich hypochondrischer Patienten hat das Psychologenteam deshalb bereits Faltblätter in Frankfurter Apotheken verteilt. Interessenten erhalten weitere Informationen unter www.psychotherapie-ambulanz-frankfurt.de. /
Verhaltenstherapie-Ambulanz
Institut für Klinische Psychologie
Johann-Wolfgang-Goethe-Universität, Frankfurt am Main
Julia Neng
Telefon 069 798-23994
E-Mail: neng(at)psych.uni-frankfurt.de