Ratschläge für Risikopatienten |
06.06.2006 14:36 Uhr |
<typohead type="3">Ratschläge für Risikopatienten
von Irene von Majewski, Marburg
Eine fertig gepackte Reiseapotheke ist für Kunden und Apotheker durchaus praktisch. Besser ist aber eine Ausrüstung, die unter Berücksichtigung der gesundheitlichen Schwachpunkte des Patienten individuell zusammengestellt wird. Vor allem Risikopatienten wie Diabetiker suchen vor der Reise Rat in der Apotheke.
Im Urlaub sind Arzt und Apotheker unter Umständen weit entfernt, viele Arzneimittel gibt es im Ausland nicht oder sie tragen dort eine andere Handelsbezeichnung. Zudem kann es zu Verständigungsproblemen kommen. Für Patienten mit Dauermedikation ist es daher sinnvoll, die benötigten Arzneimittel für die gesamte Urlaubszeit in ausreichender Menge sowie zusätzlich eine Reserve (mindestens ein Drittel mehr als für die Reisezeit eigentlich notwendig) mitzunehmen. Falls ein Medikament dennoch verloren oder ausgehen sollte, ist die Gebrauchsinformation für die Beschaffung am Urlaubsort nützlich. Auch eine Kopie des letzten Arztbriefes könnte im Notfall hilfreich sein. Eine Medikamentenliste mit den Diagnosen und Gesundheitspässe wie Allergie-, Diabetiker- oder Marcumar- sowie selbstverständlich der Impfausweis gehören mit ins Reisegepäck. Für eventuelle Rückfragen im akuten Krankheitsfall sollte der Patient zudem die Telefonnummern seiner behandelnden Ärzte in Deutschland zur Hand haben.
Medikamente ins Handgepäck
Regelmäßig oder im Notfall einzunehmende Medikamente sollten unbedingt im Handgepäck mitgeführt werden. Für den Fall, dass der Koffer das Reiseziel nicht gleichzeitig erreicht, empfehlen sich sicherheitshalber mehrere Tagesdosen. Im akuten Bedarfsfall müssen beispielweise ein Nitrospray bei einem Angina-pectoris-Anfall oder abschwellende Nasentropfen bei Druckproblemen im Flugzeug griffbereit sein.
Risikopatienten | Erkrankung | Prophylaxe |
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Kinder, Senioren | Diarrhö, Emesis | orale Rehydratatioslösung |
Allergiker, Asthmatiker |
Asthma Pollen,- Insektengift- (Bienen-, Wespenstich) Nahrungsmittelallergie (Meeresfrüchte) |
H1-Antihistaminika, z.B. Cetirizin oder Loratadin Cromoglicinsäure Cortison β-Sypathomimetikum |
Diabetiker |
internationaler Diabetikerausweis 100-IE-Einmalspritzen bei Pen-Benutzern Traubenzucker, Jubin® Glukagon-Spritze Blutzuckermessgerät, Ersatzbatterien, Teststreifen, Stechhilfe, Desinfektionstücher, Ketonteststreifen |
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Herzpatienten | Angina pectoris | Nitroglycerin-Spray |
Adipöse mit BMI > 30 Schwangere (besonders postpartale Phase) Anwender von Ovulationshemmern oder Hormonersatzpräparaten Thrombophile: Patienten mit chronisch venöser Insuffizienz, größeren Varizen oder anamnestisch venöser Thromboembolie Patienten mit ruhiggestellter unterer Extremität > 60-Jährige Patienten mit Exsikkose |
Reise-Thrombose (Economy Class Syndrom) |
Kompressionsstrümpfe niedermolekulares Heparin ASS Rosskastanienpräparate |
Trekkingreisende |
bakterielle und virale Infektionen |
Natriumhypochlorit oder Präparate auf Silberbasis, z. B. Mikropur® zur Wasserdesinfektion sterile Nadeln und Spritzen |
Bergsteiger |
Höhenkrankheit |
ASS + Acetazolamid, z. B. Diamox® Theophyllin |
Taucher | Gehörganginfektion | Circa 3 Wochen vorher ohrenärztliche Kontrolle. Nach jedem Tauchgang Gehörgang mit sauberem Trinkwasser (z. B. Mineralwasser) spülen oder Essig-Lösung nach Ehm einträufeln, trocken föhnen und anschließend rückfetten (z. B. Oliven- oder Mandelöl, Paraff. subliqu.). |
BTM-Patienten | Attest nach dem Schengener Abkommen |
Diabetiker sollten daran denken, genügend Zubehör mitzunehmen. Einmalspritzen mit 100-I.E.-Einteilung ersetzen notfalls einen defekten Insulinpen. Um einer Unterzuckerung entgegenzuwirken, gehören schnell wirkende Kohlenhydrate wie Traubenzucker oder Jubin® ins Handgepäck. Viele Diabetiker haben auch eine Glukagon-Spritze dabei. Zur Blutzuckerkontrolle sollte ein Messgerät mit ausreichend Teststreifen, Ersatzbatterien, Stechhilfe sowie Ketonteststreifen und Desinfektionstücher mitgenommen werden.
Attest für Grenzkontrolle
Dem Betäubungsmittelgesetz unterliegende Medikamente dürfen nur reisebegleitend, ausschließlich für den eigenen Bedarf mitgeführt werden und erfordern eine mehrsprachige Bescheinigung (www.bfarm.de/nn_683960/DE/Bundesopiumstelle/BtM/rechtsgrund/hinweise-auslandsreisen.html). Bei Reisen bis zu 30 Tagen in Mitgliedstaaten des Schengener Abkommens (Deutschland, Belgien, Dänemark, Finnland, Frankreich, Griechenland, Island, Italien, Luxemburg, Niederlande, Norwegen, Österreich, Portugal, Schweden und Spanien) kann dies mit einer vom Arzt ausgefüllten Erklärung erfolgen, die durch die oberste Landesbehörde oder eine von ihr beauftragte Stelle beglaubigt werden muss. Das Formular können Interessierte auf der oben angegebenen Internetsite des BfArM aufrufen und ausdrucken.
Erkrankung | Prophylaxe | |
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Magen-Darmbeschwerden | Diarrhö: Prophylaxe |
Saccharomyces boulardii Medizinische Kohle |
Diarrhö: Therapie |
orale Rehydratationslösung Medizinische Kohle Gerbstoffe Pektin Loperamid Uzarawurzel Gyrasehemmer, z.B. Ciprofloxacin Enkephalinase-Inhibitor, z.B. Racecadotril (Tiorfan®) |
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Emesis | orale Rehydratationslösung | |
Flatulenz |
Simethicon Fenchel, Anis, Kümmel |
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Sodbrennen |
Antacida H2-Antihistaminika |
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Obstipation |
Bisacodyl, Natriumpicosulfat Rectiolen mit Glycerol oder Sorbitol |
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Motilitätsstörung, Übelkeit |
Metoclopramid Bittere Schleifenblume (Iberogast®) |
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Kolik | Butylscopolamin | |
Infektionen mit Bakterien, Viren, Pilzen | Fieber |
Paracetamol ASS |
Halsschmerzen |
Salbei Emser Salz Desinfizienz, z.B. Chlorhexidin oder Dequaliniumchlorid Lokalanästhetikum, z.B. Lidocain oder Polidocanol Flurbiprofen |
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Husten |
Antitussivum, z.B. Clobutinol oder Dextromethorphan Expektorans, z.B. Ambroxol oder Aceltylcystein Thymian-, Efeupräparate |
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Schnupfen | Imidazolderivate, z.B. Xylometazolin | |
Augenentzündung |
künstliche Tränen, z.B. Hyaluronsäure Antibiotika-haltige Augentropfen |
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Harnwegsinfektion |
Bärentraubenblätter Orthosiphonblätter Butylscopolamin Paracetamol Antibiotikum |
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Scheidenpilz | Clotrimazol | |
Fußpilz |
Bifonazol Clotrimazol |
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Insektenstiche, Zeckenbisse | Prophylaxe |
Moskitonetz + Permethrin Zanzarin® Diethyltoluamid (DEET), Bayrepel |
Therapie |
Desinfektionsmittel Antihistaminika-, Cortison-haltige Creme |
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Schmerzen | Kopf, Zahn-, Gelenkschmerzen | Paracetamol, ASS, Ibuprofen, Diclofenac |
Ohrenschmerzen |
ASS, Ibuprofen Ohrentropfen, z.B. Otalgan® abschwellende Nasentropfen |
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Regelschmerzen |
Ibuprofen Butylscopolamin |
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Beschwerden infolge Sonneneinwirkung | Sonnenallergie |
Hydrocortison-Creme Antihistaminkum |
Sonnenbrand |
Dexpanthenol-Lotion Cortison-haltige Salbe |
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Sonnenschutz | UV-A + -B-Filter, für Kinder und Hautempfindliche mit mineralischem Filter | |
Herpes labialis | Aciclovir | |
Verletzungen | Wunden, Verbrennungen |
Mullbinde, sterile Kompresse, Pflaster, Desinfektionsmittel Dexpanthenol-Salbe antibiotische Salbe |
Prellungen/Verstauchungen |
Kühlkompresse, elastische Binde Diclofenac Heparinsalbe |
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Allgemeine Reisebeschwerden | Jet-Lag | eventuell Schlafmittel |
Schlafstörungen |
Baldrianwurzel, Hopfen, Melisse Doxylamin oder Diphenhydramin Ohrstöpsel gegen Lärm |
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Herz/Kreislauf |
Weißdorn Sympathomimetikum, z.B. Effortil® oder Carnigen® |
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Trockenes Auge | künstliche Tränen, z.B. Hyaluronsäure | |
Kinetose |
Ingwerwurzelstock Antihistaminika, z.B. Dimenhydrinat-haltiges Präparat Scopolamin-Pflaster (Scopoderm® TTS), Cinnarizin (Arlevert®), Flunarizin (z. B. Sibelium®) oder Meclozin (z. B. Postadoxin®) |
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Flugangst | Beruhigungsmittel, eventuell Benzodiazepin |
Bei Reisen in andere Länder sollte der Patient eine beglaubigte Kopie der ärztlichen Verschreibung oder ein ärztliches Zertifikat (möglichst in englischer Sprache) mit sich führen, das Angaben über die Einzel- und Tagesdosis enthält. Dies soll eine Abschätzung ermöglichen, inwiefern die mitgeführten Betäubungsmittel der Dauer der Reise angemessen sind. Ein entsprechendes Formular in englischer Sprache steht ebenfalls auf der Internetsite des BfArM zum Download zur Verfügung. Ferner ist dem Patienten anzuraten, die Rechtslage in dem Urlaubsland vor Antritt der Reise jeweils individuell zu klären und sich eventuell erforderliche Genehmigungen für das Mitführen der Betäubungsmittel von der entsprechenden Überwachungsbehörde des Reiselandes zu beschaffen. Auskünfte dazu kann die jeweilige diplomatische Vertretung des Ziellandes in Deutschland erteilen.
Auch Spritzen im Gepäck irritieren Zollbeamte häufig. Die Vorlage einer entsprechenden Erklärung, zum Beispiel (internationaler) Diabetikerausweis, erleichtert die Formalitäten.
Reisethrombose vorbeugen
Langes und unbewegliches Sitzen während einer Auto-, Bus- oder Flugreise, häufig verbunden mit mangelnder Flüssigkeitszufuhr, kann zu einer Venenthrombose führen. Das Risiko dafür ist bei bestimmten Vorerkrankungen erhöht. Dazu zählen Übergewicht, Varicosis, Schwangerschaft, Einnahme von estrogenhaltigen Präparaten (Ovulationshemmern, Hormonersatztherapie in der Menopause), Blutgerinnungsstörungen, Thrombosen in der Vorgeschichte, gelenkübergreifende Ruhiggestellung der unteren Extremitäten, fortgeschrittene Krebs-, Lungen- und Herzerkrankungen, kurz zuvor durchgeführte Operationen sowie andere Akuterkrankungen.
Bei Venenschwäche eignen sich Kompressionsstrümpfe, die jedoch individuell angepasst sein sollten und nicht zu Stauungen im Kniebereich oder in der Leiste führen dürfen. Bewegung, insbesondere Venengymnastik, beugt einem Blutstau vor. Zudem verhindert die ausreichende Flüssigkeitszufuhr eine Dehydratation. Besonders gefährdete Patienten können auf Heparinspritzen hingewiesen werden, die vom Arzt verordnet werden müssen. Das Anschwellen der Beine nach langem Sitzen hat übrigens nichts mit einer Thrombose zu tun.
Bei interkontinentalen Flugreisen muss gegebenenfalls der Einnahmerhythmus von Antidiabetika, hormonellen Kontrazeptiva und Antikoagulantien geändert werden. Beträgt die Zeitverschiebung mehr als sechs Stunden, benötigt der Körper bis zu eine Woche, um sich an die neue Zeitzone zu gewöhnen. Gegen den »Jetlag« kann ein Schlafmittel hilfreich sein.
Montezumas Rache
Trotz aller Vorsichtsmaßnahmen leiden viele Urlauber in fernen Ländern an Reisedurchfall. Das kann viele Ursachen haben. Auch wenn die Diarrhö zu 80 Prozent selbstlimitierend ist, ist eine orale Rehydratationstherapie mit Elektrolyten, Glucose und Flüssigkeit zumeist angezeigt. Von einer Dehydratation gefährdet sind vor allem Säuglinge, Kleinkinder und Senioren. Besonderen Beratungsbedarf haben auch Patienten mit Morbus Crohn und Colitis ulcerosa. Entzündliche Darmerkrankungen können sich nämlich auf einer Tropenreise verschlimmern. Frauen sollten zudem wissen, dass die kontrazeptive Wirkung der Pille bei Durchfall oder Erbrechen, aber auch bei Antibiotika-Therapie unsicher ist. Patienten, die Protonenpumpenhemmer einnehmen, reagieren auf Reisen empfindlicher gegen enterotoxische Krankheitserreger . Denn die verminderte Magensäureproduktion sorgt dafür, dass pathogene Keime nur bedingt abgetötet werden.
Lichtschutzpräparate müssen mindestens eine halbe Stunde vor dem Sonnenbad aufgetragen werden. Kleinkinder sowie hellhäutige Menschen sollten Produkte mit ausreichend hohem UV-B- und UV-A- oder auch mineralischem Filter verwenden, welcher einen sofortigen Schutz vermittelt. Bei Neigung zur »Mallorca-Akne« empfiehlt sich zudem ein emulgatorfreies Produkt. Auch die Lippen, vor allem bei Herpes labialis in der Vorgeschichte, müssen ausreichend vor Sonneneinstrahlung geschützt werden.
Wichtig für die Beratung: Viele Arzneistoffe, beispielsweise aus der Gruppe der Antibiotika und Antidiabetika sowie Antihypertonika, Diuretika, Psychopharmaka und oralen Kontrazeptiva können photoallergische oder phototoxische Reaktionen auslösen. Eine Übersicht geben folgende Internetseiten: www.uni-duesseldorf.de/WWW/AWMF/ll/013-035.htm und www.ssk.de/pub/volltext/i06.pdf, Anlage Seite 53 bis 56. Sonnenschutzmittel bieten in diesem Fall nicht immer einen ausreichenden Schutz. Kann die Medikation nicht auf ein anderes Arzneimittel umgestellt werden, sollte der Patient intensive Sonnenbestrahlung meiden. Auch bei manchen Hauterkrankungen wie aktinischer Keratose, atopischer Dermatitis, Rosacea oder Akne vulgaris ist Zurückhaltung angezeigt.