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Antibiotikaresistenzen

Aus dem Stall in die Nase

10.05.2017  09:48 Uhr

Von Conny Becker, Berlin / Um die Entstehung und die Verbreitung von Antibiotikaresistenzen besser zu verstehen, müssen epidemiologische, molekulargenetische und pharmakologische Aspekte betrachtet werden. Zu diesem Konsens kommen die Verbünde Reset und Medvet-Staph, die im Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) in Berlin Ergebnisse aus sieben Jahren Forschung vorstellten.

Die beiden Forschungsverbünde Reset und Medvet-Staph wurden im Jahr 2010 vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gegründet und widmen sich der Verbreitung von Resistenzen und möglichen Transmissionswegen bei zoonotischen, das heißt zwischen Mensch und Tier übertragbaren Erregern. 

 

Der Verbund Medvet-Staph konzentriert sich auf die Bedeutung der Übertragung antibiotikaresistenter Staphylokokken einschließlich Methicillin-resistenter Staphylococcus aureus-Stämme (MRSA). Nachdem MRSA lange Zeit als klassischer Krankenhauskeim bekannt war, wurden in den vergangenen Jahren auch MRSA-Reservoire in landwirtschaftlichen Betrieben mit Nutztieren ausgemacht. Letztere sind im Fokus der Medvet-Staph-Wissenschaftler, insbesondere die Genotypen der klonalen Linie CC398.

 

»Es konnte epidemiologisch aufgezeigt werden, dass in Nutztier-reichen Regionen MRSA-Keime von Nutztieren beim Menschen angekommen sind«, sagte Dr. Robin Köck vom Institut für Krankenhaushygiene am Klinikum Oldenburg. Sein Team hatte beispielsweise 85 Landwirte auf 51 Schweinehöfen des Münsterlands untersucht und die multiresistenten Keime auf 49 Höfen gefunden. 85 Prozent der Probanden wiesen in nasalen Abstrichen MRSA CC398 auf, was auf den unmittelbaren Kontakt mit den Tieren zurückzuführen ist.

 

Auch Mensch-zu-Mensch-Übertragung

 

In einer prospektiven Kohortenstudie konnte Köck zeigen, dass MRSA in der regionalen Bevölkerung zwar insgesamt bei weniger als 1 Prozent vorkommt. Allerdings wurde bei einem Drittel der positiv Getesteten der Subtyp CC398 gefunden, was mit der direkten Nähe zu Tieren korrelierte. Weitere Untersuchungen ergaben, dass MRSA CC398 inzwischen auch bei Patienten nachgewiesen wurde, die keinen unmittelbaren Kontakt zu Tieren hatten, sodass von einer Mensch-zu-Mensch-Übertragung auszugehen sei, so Köck.

 

Der Zoonoseforschungsverbund Reset untersucht bei Mensch und Tier vorkommende Enterobakterien, die gegen Fluorchinolone resistent sind und ESBL (Extended Spectrum β-Lactamase) produzieren, wodurch neben Amino­penicillinen auch Cephalosporine der dritten und vierten Generation sowie Monobactame inaktiviert werden. Zu den Enterobakterien zählen Salmonellen, Klebsiellen und die im menschlichen Darm beheimateten Escherichia-coli-Bakterien, die Resistenzgene auch untereinander per horizontalem Gentransfer übertragen können. Darunter versteht man eine Übertragung von genetischem Material nicht von einer Generation zur nächsten, sondern von einem Organismus in einen bereits existierenden anderen hinein.

 

Als Infektionsquellen für den Menschen kommen neben einer direkten zwischenmenschlichen Übertragung auch die Umwelt und Tierkontakte oder Lebensmittel tierischer und sogar pflanzlicher Herkunft infrage. Forscher des Reset-Verbunds fanden etwa ESBL-produzierende E. coli in und an Pflanzenkeimlingen und konnten zeigen, dass Gemüse wie Weißkohl und Porree Antibiotika in geringen Konzentration aus belasteten Böden aufnehmen kann.

 

In einem sehr hohen Anteil landwirtschaftlicher Betriebe mit Nutztieren fanden die Forscher Proben mit ESBL- oder AmpC-β-Lactamasen-produzierenden E. coli (100 Prozent bei Masthuhnhaltung, 85 Prozent bei Schweinehaltung, 85 Prozent bei Milchvieh- und 70 Prozent bei Rindermasthaltung). AmpC-β-Lactamasen vermitteln eine Resistenz gegen Penicilline, Cephalosporine der zweiten und dritten Generation sowie Cephamycine. ESBL- oder AmpC-bildende Bakterien kommen auch bei vielen Heimtieren, etwa Hunden, Katzen oder Pferden, vor und können so auf den Menschen übertragen werden. In Lebensmitteln werden sie besonders häufig im Masthuhnfleisch nachgewiesen; aber auch in Puten-, Rind- und Schweinefleisch sowie pflanzlichen Lebensmitteln sind sie zu finden.

 

Hygiene als A und O

 

In welchem Ausmaß diese resistenten Keime in Nutztieren und Lebensmitteln zu Infektionen beim Menschen beitragen, kann laut BfR nicht exakt quantifiziert werden. Dennoch gilt die Übertragung als gesichert. Das Risiko einer Infektion können Verbraucher in gewissem Umfang selbst beeinflussen, indem sie Hygienestandards beim Zubereiten von Lebensmitteln einhalten, sodass resistente Keime nicht von einem zum anderen Lebensmittel übertragen werden. Mangelhafte Hygiene im Krankenhaus, in Tierstall und Haushalt wird von den Experten als ein Grund für die Verschleppung der Keime gesehen. Ihr Tenor: weniger Antibiotika, dafür Infektprophylaxe durch Hygiene.

 

»Im Sinne einer One-Health-Strategie ist interdisziplinäre Forschung durch Veterinär- und Humanmediziner sowie Molekularbiologen und Epidemiologen notwendig«, betonte BfR-Präsident Professor Dr. Andreas Hensel. Die Ergebnisse der unterschiedlichen Forschungsgebiete fließen bei Reset in eine gemeinsame Datenbank ein, in der Informationen zu allen untersuchten Bakterienstämmen gesammelt werden. Des Weiteren validierten Forscher des Verbundes Nachweismethoden von Resistenzen und entwickelten ein modernes Verfahren der Plasmid- und Genom­sequenzierung, um Resistenzgene schneller lokalisieren und analysieren zu können. Mithilfe dieser umfassenden Datensammlungen konnten Reset-Gruppen auch Carbapenemase-bildende E. coli und Salmonella bei deutschen Nutztieren finden und das Colistin-Resistenzgen MCR-1 in E. coli nachweisen. /

Antibiotikaverbrauch halbiert

Die Antibiotikamenge, die zwischen 2011 und 2015 pro Jahr an deutsche Tierärzte abgegeben wurde, hat sich von 1706 auf 805 t mehr als halbiert. 2015 sank die Gesamtmenge der abgegebenen Antibiotika gegenüber dem Vorjahr um 433 t oder 35 Prozent. Laut einer Richtigstellung des BfR sind die Abgabemengen für Antibiotika mit besonderer Bedeutung für den Menschen nicht – wie zunächst ermittelt – angestiegen, sondern leicht gesunken. Die Menge der abgegebenen Fluorchinolone ging erstmals um 15 Prozent auf 10,6 t zurück, die der Cephalo­sporine der dritten und vierten Generation um 3 Prozent auf 3,6 t. Hauptsächlich wurden nach wie vor Penicilline (299 t) und Tetracycline (221 t) abgegeben, gefolgt von Colistin (82 t), Sulfonamiden (73 t) und Makroliden (52 t).

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