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Hirnforschung

Endocannabinoide als Schutz vor Reizüberflutung

Datum 27.04.2007  15:22 Uhr

Hirnforschung

<typohead type="3">Endocannabinoide als Schutz vor Reizüberflutung

Von Hannelore Gießen, München

 

Während Cannabis seit Jahrtausenden konsumiert wird, ist über körpereigene Cannabinoide erst wenig bekannt. Aktuelle Forschungsergebnisse wurden bei einem Workshop der Bayerischen Akademie für Suchtfragen (BAS) in München diskutiert.

 

Erst vor 20 Jahren seien die beiden Cannabinoid-Rezeptoren CB1 und CB2 entdeckt worden, erläuterte Professor Dr. Michael Koch vom Institut für Hirnforschung in Bremen. CB1-Rezeptoren sitzen vor allem im Gehirn, Rückenmark, in der Leber, im Fettgewebe und in den Blutgefäßwänden. Dagegen kommen CB2-Rezeptoren insbesondere auf Immunzellen sowie auf Zellen vor, die am Knochenauf- und -abbau beteiligt sind. Da nicht anzunehmen war, dass sich im Gehirn Rezeptoren allein für den Marihuanakonsum befinden, suchte man gezielt nach Botenstoffen, die wie die Inhaltsstoffe von Cannabis sativa wirken. 1992 bestätigte sich die Vermutung: Das Gehirn produziert eigene Cannabinoide. Die Substanzen Anandamid und 2-Arachidonylglycerol (2-AG) zum Beispiel sind endogene Liganden der Cannabinoid-Rezeptoren. »Wenn wir Cannabis rauchen, stimulieren wir die Rezeptoren, die eigentlich für Endocannabinoide bestimmt sind«, sagte Koch.

 

Den neuronalen Sturm verhindern

 

Doch welche Aufgaben die Endocannabinoide im Körper erfüllen, ist noch nicht vollständig geklärt. Sehr wahrscheinlich schützen sie das Gehirn vor Reizüberflutung. Das legen Zellkultur-Versuche wie auch Tierexperimente nahe: Unter bestimmten Bedingungen wie Stress oder Reizüberflutung steigt die Konzentration an körpereigenen Cannabinoiden, die die Reizübertragung durch Glutamat hemmen. Doch die Botenstoffe beeinflussen nicht nur das erregende Glutamat-, sondern auch das hemmende Gamma-Aminobuttersäure-Transmittersystem (GABA-System). Welcher Effekt die Oberhand gewinnt, hängt unter anderem davon ab, ob Endocannabinoide nur lokal oder auf größere Bereiche des Nervensystems einwirken.

 

Dabei könnte sich folgender Mechanismus abspielen: Zunächst bindet Anandamid oder 2-AG an präsynaptische CB1-Rezeptoren. Dies mindert die Signalübertragung via Glutamat, was die Nervenzelle vor einer Übererregung schützt. Hält die Aktivierung der Cannabinoid-Rezeptoren jedoch länger an und erfasst sie zudem auch andere Neuronen, kommt auch die Signalübertragung durch GABA zum Stillstand. Da dieser Transmitter jedoch dämpfend wirkt, steigt das Aktivierungsniveau wieder an und die erregenden Prozesse nehmen wieder zu.

 

Rezeptoren unter Stress

 

Die Zahl der CB1-Rezeptoren hängt auch vom Lebensalter ab: Sie nehme in der Jugend kontinuierlich zu, erreiche während der Pubertät ihren höchsten Stand, um dann wieder abzunehmen, sagte Koch. Seine Bremer Arbeitsgruppe ging der Frage nach, wie sich eine chronische Stimulation der CB1-Rezeptoren während der Pubertät auswirkt. Die Wissenschaftler stellten die Situation im Tierversuch nach und wandten dazu den Präpuls-Inhibitions-Test an, mit dem sich messen lässt, wie wirksam inadäquate sensorische und motorische Ereignisse unterdrückt werden. Nach einem lauten Knall zeigen Ratten eine deutliche Schreckreaktion. Wird kurz zuvor ein leiser Warnreiz gegeben, der sogenannte Präpuls, ist die Schreckreaktion stark abgeschwächt. Denn der Präpuls setzt einen Mechanismus in Gang, der die Verarbeitung von nachfolgenden Reizen unterdrückt. Die Forscher konnten in ihrem Versuch beobachten, dass die Präpuls-Inhibition wesentlich schwächer ausfällt, wenn die Tiere drei Wochen lang mit einem CB1-Agonisten behandelt wurden. Bei ihnen war also der Filterungsprozess gestört. Noch bis zu 100 Tage nach Gabe der Substanz hielt diese Wirkung an. Bei adulten Tieren trat dieser Effekt nicht auf. Vermutlich ist er auf eine Überfunktion des dopaminergen Systems zurückzuführen.

 

In einer anderen Versuchsanordnung erkannten die Tiere nach Stimulation der CB1-Rezeptoren Objekte, die ihnen gezeigt wurden, deutlich schlechter wieder. Auch diese Wirkung trat bei erwachsenen Tieren kaum auf. In anderen Tests strengten sich Ratten, die den CB1-Agonisten erhalten hatten, viel weniger an, um an ein besonderes Futter zu gelangen, als ihre nicht behandelten Artgenossen.

 

Koch folgerte aus seinen Untersuchungen, dass chronischer Konsum vermutlich auch bei Menschen die Hirnreifung in der Pubertät beeinflusst, was sich in kognitiven und Motivations-Defiziten niederschlägt. Dass ein Cannabiskonsum vor dem 16. Lebensjahr die kognitiven Funktionen beeinträchtigt, sei bereits vor einigen Jahren gezeigt worden, sagte Koch. Vor dem Hintergrund der aktuellen Untersuchungen sei eine Gabe sowohl des galenisch aufbereiteten Delta-9-Tetrahydrocannabinol Dronabinol als auch des zur Gewichtsreduktion zugelassenen CB1-Antagonisten Rimonabant bei Jugendlichen sehr sorgfältig abzuwägen.

Cannabinoide als Modulatoren

Endocannabinoide wurden deshalb erst spät entdeckt, weil sie genau andersherum arbeiten als andere Neurotransmitter: Normalerweise werden Signale immer von einem Neuron an das nachgeschaltete weitergeleitet, also von prä- nach postsynaptisch. Endocannabinoide verlassen umgekehrt das postsynaptische Neuron und docken an den CB1-Rezeptoren der vorgeschalteten Synapse an. Das führt zu einer ganzen Kaskade von Veränderungen in der präsynaptischen Nervenzelle, die darauf die Glutamat-Freisetzung drosselt oder gar beendet. Endocannabinoide modulieren offenbar den Signaltransfer und schützen die Neuronen vor zu starker Erregung. Dieser Schutz versagt möglicherweise bei Epilepsie-Patienten. So kann ein Mangel an Cannabinoid-Rezeptoren zu Epilepsie führen, wie Forscher bei Mäusen demonstrierten.

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