Ehrlich und aufrichtig bleiben |
17.02.2009 16:47 Uhr |
<typohead type="3">Ehrlich und aufrichtig bleiben
Die Betreuung des depressiven Patienten erfordert die besondere Zuwendung sowie eine vorbehaltlose Aufrichtigkeit im Beratungsgespräch. Dies betonten die Referentinnen Anne Lange-Stricker, Telgte, und Dr. Katja Renner, Wassenberg, in ihrem Seminar »Der depressive Patient in der Apotheke«.
Sie verwiesen in diesem Zusammenhang auf die Bedeutung einer für den Patienten verständlichen, bildhaften Sprache. Es sei wichtig, dem Patienten die Wirkmechanísmen der einzelnen Antidepressiva zu erklären. Dies führe zur Stärkung der Compliance und zum Abbau von Angst vor Nebenwirkungen und Abhängigkeit.
Etwa vier Millionen Menschen in Deutschland leiden an depressiven Störungen. Als neurobiologische Ursache der Erkrankung wird zum einen ein Mangel an Botenstoffen im synaptischen Spalt (insbesondere von Noradrenalin und Serotonin), zum anderen eine reduzierte Sensibilität der zugehörigen postsynaptischen Rezeptoren der empfangenden Nervenbahnen angenommen. Offensichtlich führt diese Dysbalance zu einer veränderten Synthese von Rezeptoren und anderen Proteinen und somit zu plastischen Veränderungen des Gehirns.
Die heute zur Verfügung stehenden Antidepressiva greifen in den Stoffwechsel der Neurotransmitter, beziehungsweise in ihre Wechselwirkung mit den zugehörigen Rezeptoren ein. Die meisten hemmen selektiv oder nicht selektiv die Wiederaufnahme von Noradrenalin und/oder Serotonin aus dem synaptischen Spalt. Als weiterer Angriffspunkt gilt eine bei den einzelnen Wirkstoffen unterschiedlich starke Blockade von Neurotransmitter-Rezeptoren. Als Folge der pharmakologischen Intervention scheint sich die Rezeptordichte zu verändern, wodurch sich die Neurokommunikation normalisiert.
Die Auswahl des Medikaments durch den behandelnden Arzt erfordert große klinische Erfahrung. Die Wirksamkeit und Verträglichkeit der Medikamente ist den Referentinnen zufolge individuell verschieden. Dabei lassen sich Nebenwirkungen in der Regel als Folge der Effekte auf verschiedene Rezeptorsysteme verstehen.
Der Apotheker sollte vorsichtig im Gespräch mit dem Patienten die Krankheit erklären und die verschriebenen Medikamente besprechen. Da Nebenwirkungen wie Mundtrockenheit oder Übelkeit zu erwarten sind, sei es besser, diese vorher anzusprechen, rieten die Referentinnen. Hilfreich sei auch der Hinweis, dass diese in der Regel nur zu Beginn der Therapie auftreten. Zudem sollte der Apotheker im Vorfeld darauf hinweisen, dass Antidepressiva Zeit brauchen, bis sie wirken. So könne einer Enttäuschung und einem Vertrauensverlust in die Therapie vorgebeugt werden. Ängste vor einer potenziellen Abhängigkeit sollte der Apotheker mit einer klaren Aussage wie »Dieses Präparat macht nicht abhängig« ausräumen. Zweifel sollten erst gar nicht aufkommen können. »Helfen Sie dem Patienten im Umgang mit seiner Erkrankung und seinen Medikamenten – vergessen Sie aber nie, dass Sie sein Apotheker und nicht sein Psychologe sind«, resümierten Renner und Lange-Stricker.
Ein großes Problem in der Betreuung von depressiven Patienten ist die hohe Selbstmordrate. Etwa 15 Prozent von ihnen versterben durch einen Suizid. Dabei kann paradoxerweise die Suizidalität durch die Medikation angestoßen werden. Denn sie verbessert zwar den Antrieb, verändert jedoch nicht die negative Grundhaltung. »Daher werden selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) zu Therapiebeginn häufig mit sedierenden Präparaten kombiniert«, informierten die Referenntinnen. Da etwa 40 Prozent der Suizidtoten in der Woche vor dem Selbstmord einen Arzt aufgesucht haben, ist die Wahrscheinlichkeit recht groß, dass sie auch mit einem Apotheker in Kontakt kamen. Deshalb sei es in einem solchen Fall an diesem, Mut zu zeigen und den Patienten direkt anzusprechen. Im Verdachtsfall sollte der Apotheker ihm möglicherweise bekannte Angehörige und den behandelnden Arzt verständigen.