Toleranzentstehung entschlüsselt |
16.02.2010 17:28 Uhr |
Bei der Therapie der koronaren Herzkrankheit haben Nitro-Donatoren zwar an Bedeutung eingebüßt, vor allem zur symptomatischen Behandlung der stabilen Angina Pectoris kommen sie aber weiter zum Einsatz. Erst seit wenigen Jahren weiß man genauer, wie sie wirken und wie es zur Nitrattoleranz kommt. Daraus ergeben sich auch Chancen für die Arzneistoffsuche.
Nitrate haben an Stellenwert in der Therapie der koronaren Herzkrankheit (KHK) verloren, weil sie im Gegensatz zu anderen Arzneistoffen, etwa Betablockern, ACE-Hemmern oder Statinen, keinen Einfluss auf die Progression der Grunderkrankung haben. Darauf wies Professor Dr. Rainer H. Böger vom Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf hin. Ein evidenzbasierter Nutzen zeige sich nur im Rahmen der symptomatischen Behandlung bei Angina Pectoris.
Nitro-Donatoren wirken, indem sie Stickstoffmonoxid (NO) freisetzen. NO wird auch im gesunden Gefäßendothel aus der Aminosäure Arginin gebildet. Das hochreaktive Radikal diffundiert zur glatten Gefäßmuskulatur, wo es eine Reaktionskette in Gang setzt, die mit der Relaxation und Vasodilatation endet. Daneben hat NO noch viele weitere Funktionen wie Böger deutlich machte. So hemmt es zum Beispiel die Thrombozytenaggregation und die Proliferation glatter Gefäßmuskelzellen.
Bei KHK-Patienten ist die endogene NO-Produktion vermindert. Früher ging man davon aus, dass Nitro-Donatoren das fehlende NO ersetzen. Das hat sich aber nicht bewahrheitet. Denn endogenes NO wird vorwiegend arteriell gebildet, Nitro-Donatoren tragen aber vor allem über eine Vorlast-Senkung, also eine venöse Vasodilatation, zur Entlastung des Herzens bei.
Typische Vertreter aus der Klasse der Nitro-Donatoren sind Glyceroltrinitrat (Nitroglycerin), Isosorbiddinitrat (ISDN), Isosorbidmononitrat (ISMN), Pentaerithrityltetranitrat (PETN) und Molsidomin. Für die Akuttherapie eignet sich Böger zufolge zum Beispiel Glyceroltrinitrat. Oral sei es so gut wie gar nicht bioverfügbar, deshalb werde es entweder sublingual oder transdermal appliziert. Als Spray wird es direkt auf die Mundschleimhaut gesprüht; Zerbeißkapseln wirken innerhalb von 30 Sekunden nach Einnahme. Allerdings ist die Wirkdauer mit 15 bis 30 Minuten begrenzt. Der Wirkeintritt beim Nitroglycerin-Pflaster liegt bei einer Stunde, die Wirkdauer bei 24 Stunden. »Weisen Sie darauf hin, dass das Pflaster zur Nacht entfernt wird, da- mit es nicht zur Nitrattoleranz kommt«, gab Böger einen Beratungshinweis. Das nitratfreie Intervall sollte acht bis zehn Stunden betragen. Um diese Nitratpause zu überbrücken, verordnen Ärzte häufig den Wirkstoff Molsidomin. Böger wies darauf hin, dass es nicht automatisch gegeben werden sollte, sondern nur bei Patienten, die tatsächlich nachts Angina-Pectoris-Anfälle haben. Die Tendenz zur Toleranzentwicklung ist bei Molsidomin im Vergleich zu den anderen Nitro-Donatoren deutlich schwächer ausgeprägt.
»NO hat einen zentralen Stellenwert in der Atherogenese.« |
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Böger erklärte, woran das liegen könnte: Demnach spielt das mitochondriale Enzym Aldehyddehydrogenase-2 (mALDH2) eine zentrale Rolle bei der Entstehung der Nitrattoleranz. Nitrate mit enzymatischer NO-Freisetzung wie Glyceroltrinitrat sind zur Bioaktivierung auf dieses Enzym angewiesen, Substanzen mit nicht enzymatischer NO-Freisetzung wie Molsidomin dagegen nicht. Durch die Bildung reaktiver Sauerstoffspezies wie Peroxynitrat durch die Reaktion mit NO bei einer Nitratdauertherapie wird mALDH2 inaktiviert. Infolgedessen kommt es zur Nitrattoleranz. Böger betonte, dass das noch nicht alles sei. »Multiple Mechanismen tragen zur Nitrattoleranz bei«, so der Mediziner. Im Falle von PETN habe zum Beispiel auch die Aktivierung des Enzyms Hämoxygenase-1 eine Bedeutung für die Entstehung der Nitrattoleranz.
Interessant ist, dass mALDH2 offenbar auch eine Rolle in der kardialen Protektion spielt. So haben Wissenschaftler der Stanford-Universität herausgefunden, dass die Aktivierung des Enzyms bei Ratten mit reduzierten ischämischen Herzschäden, zum Beispiel nach einem Herzinfarkt, korreliert. »Das macht das Enzym zum therapeutischen Target«, so Böger. Mit ALDA-1 haben Wissenschaftler bereits eine Substanz gefunden, die mALDH2 aktiviert. Sie befindet sich in der präklinischen Entwicklung.
Wie anfangs erwähnt, haben die heute auf dem Markt befindlichen Nitro-Donatoren keinen positiven Einfluss auf die Progression der Grunderkrankung. Ein Grund dafür könnte darin liegen, dass manche von ihnen das Enzym mALDH2 inaktivieren und dessen protektive Eigenschaften somit eliminieren. Das verbesserte Verständnis der molekularen Prozesse kann Böger zufolge nun dazu führen, dass neue Nitro-Donatoren mit einer günstigeren Nutzen-Risiko-Relation auf den Markt kommen. Einige Substanzen seien bereits in der präklinischen Entwicklung.