Stiller Killer |
16.02.2010 17:19 Uhr |
Was haben Churchill, Roosevelt und Stalin gemeinsam? Alle drei starben an den Folgen der Hypertonie, dem gefährlichsten Risikofaktor für zerebro- und kardiovaskuläre Ereignisse. Welche dazu zählen, welche Zielwerte erreicht werden sollten und welche Rolle der sogenannte Pulse Pressure spielt, erklärte ein Experte von der Charité Berlin.
»Rund 30 Millionen Menschen in Deutschland leiden an Bluthochdruck«, informierte Professor Dr. Jürgen Scholze. Bei den Über-60-Jährigen sei sogar jeder Zweite betroffen. Der optimale Blutdruck liege bei 120/80 mmHg. »Wer diesen Wert hat, hat eine große Chance, alt zu werden«, sagte der Mediziner. Schon Patienten mit leicht erhöhten Werten von 130 bis 139 mmHg systolisch beziehungsweise 85 bis 89 mmHg diastolisch haben demgegenüber ein deutlich höheres Krankheitsrisiko. Als Hypertonie, egal in welchem Alter, gelten Werte ab 140/90 mmHg. Das Fatale an der Hypertonie: Es ist eine Erkrankung ohne Leidensdruck.
Foto: Tanaka Juuyoh
Einen Grund für das gehäufte Auftreten zu hoher Blutdruckwerte in unserer Gesellschaft sieht Scholze im Übergewicht. Fast zwei Drittel aller Menschen in Deutschland sind übergewichtig, 20 bis 25 Prozent adipös. »Viszerales Fett ist nicht nur wie beim Kamel Speichermasse, sondern das Kraftwerk des Bösen«, sagte Scholze. So aktivierten Stoffwechselprodukte daraus, etwa Hormone und Botenstoffe, zum Beispiel das sympathische Nervensystem und sind an Entzündungsreaktionen beteiligt. Der Mediziner präsentierte die Ergebnisse einer Metaanalyse, wonach die Senkung des Blutdrucks mit der Abnahme von Schlaganfällen, kardiovaskulären Ereignissen und Todesfällen einherging. So reduzierte eine Senkung von »nur« 2 mmHg das Auftreten ischämischer Herzkrankheit um 7 Prozent. Die Hyvet-Studie zeigte zudem, dass Patienten bis ins hohe Alter von einer antihypertensiven Therapie profitieren. Schon eine moderate Blutdrucksenkung um 15/6 mmHg bei Ausgangswerten von durchschnittlich 173/91 mmHg senkte die Gesamtmortalität um 28 Prozent. Das Herzinsuffizienz-Risiko wurde um mehr als 70 Prozent und das für Schlaganfälle um fast ein Drittel reduziert.
Apropos Schlaganfall: Während in der Normalbevölkerung Herzinfarkte weitaus häufiger auftreten als Schlaganfälle, ist das bei Hypertonikern genau umgekehrt. Der Apoplex ist die häufigste Komplikation. Durchschnittlich jeder fünfte Hypertoniker erleidet einen Schlaganfall, 15 Prozent einen Herzinfarkt, so Scholze.
»Die Hypertonie ist wie ein Haifisch, den man weder hört noch sieht, der aber irgendwann urplötzlich angreift.« |
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Als Bluthochdruck des Alters bezeichnete der Mediziner die isolierte systolische Hypertonie. Während der systolische Blutdruckwert im Laufe des Lebens ansteigt, erreicht der diastolische Wert zwischen dem 55. und 65.Lebensjahr sein Maximum und fällt danach wieder ab. Scholze nannte einen Grund dafür: Die Pulswelle wird in einem versteiften arteriellen Gefäßsystem an den Aufzweigungen stärker und früher reflektiert. Diese Reflexionswelle lagert sich der systolischen Druckwelle auf, der systolische Druck nimmt zu, der diastolische ab. Die Folge: Die Differenz zwischen Systole und Diastole, der sogenannte Pulse Pressure (Blutdruckamplitude), steigt. Scholze sprach von einer dritten Blutdruckgröße, die mit zunehmendem Alter einen immer wichtigeren Risikomarker für kardiovaskuläre Komplikationen darstellt. Steigt der Pulse Pressure zum Beispiel von 60 auf 70, so bedeutet das ein drei- bis vierfach erhöhtes Herzinfarkt- und Todesrisiko innerhalb von zehn Jahren. »Werte von 170/110 sind im hohen Alter also besser als 170/90«, gab Scholze ein Beispiel.
Durch den Untergang von Glomeruli führt die Hypertonie zudem zu Niereninsuffizienz. Den Beginn einer hypertensiven renalen Schädigung signalisiert eine Mikroalbuminurie. Da diese darüber hinaus auch als Marker für eine beginnende Gefäßschädigung (endotheliale Dysfunktion) gilt, sollten Scholze zufolge Ärzte diesem Marker einen höheren Stellenwert beimessen.
Etwa 10 Prozent aller Hypertoniker werden dem Referenten zufolge niereninsuffizient. Scholze schätzte, dass etwa jeder Zweite von ihnen vor einer Dialysebehandlung bewahrt werden könnte, wenn der Blutdruck konsequent normalisiert würde. Doch nur maximal jeder fünfte Bluthochdruck-Patient werde so eingestellt, dass er im Normbereich liegt. Neben den Ärzten hätten hier auch die Apotheker eine wichtige Aufgabe. »Helfen Sie mit, die Compliance des Patienten zu erhöhen, indem sie ihn von der Notwendigkeit der Einnahme überzeugen.«