Pharmakologische Angriffspunkte im Gerinnungssystem |
16.02.2010 17:28 Uhr |
Akutes Koronarsyndrom: Pharmakologische Angriffspunkte im Gerinnungssystem
Unter dem Überbegriff »akutes Koronarsyndrom« werden unmittelbar lebensbedrohliche Durchblutungsstörungen des Herzens zusammengefasst. Dazu zählen die instabile Angina Pectoris sowie alle Formen des akuten Myokardinfarkts. Welche Arzneistoffe heute bereits zum Einsatz kommen und welche diese Indikation anstreben, erklärte Professor Dr. Susanne Alban von der Universität Kiel.
In vielen Fällen unterziehen sich Patienten mit akutem Koronarsyndrom (ACS) einer Katheterintervention. Dabei handelt es sich um einen operativen Eingriff, bei dem verengte Koronararterien geöffnet werden. In der Mehrzahl der Fälle wird zudem ein Stent gesetzt, der dazu dient, die Blutgefäße offen zu halten und zu stützen. Alban wies darauf hin, dass neben der Koronar-intervention die medikamentöse antithrombotische Therapie heute der Grundpfeiler in der Behandlung des ACS ist. »Als Optionen stehen Plättchenhemmstoffe, Antikoagulanzien und Thrombolytika zur Verfügung«, informierte die Apothekerin.
Der Stellenwert der letztgenannten Arzneistoffklasse hat sich der Referentin zufolge in den vergangenen Jahren jedoch zugunsten der Stent-Implantation reduziert. Zur Auflösung des Thrombus kommen rekombinante Formen des humanen Gewebsplasminogenaktivators (TPA, tissue-type Plasminogenaktivator) wie Alteplase, Reteplase und Tenecteplase zum Einsatz. Sie wirken als direkte Plasminogenaktivatoren, das heißt sie führen zur Umwandlung von Plasminogen in Plasmin, welches dann Fibrin aufzulösen vermag. Als indirekter Plasminogenaktivator wirkt das Streptokokken-Stoffwechselprodukt Streptokinase. »Es ist altbekannt, aber billig«, wertete Alban. Einer seiner Nachteile sei zum Beispiel die Induktion von Antikörpern.
Die Plättchenhemmstoffe lassen sich in drei Gruppen einteilen: Hemmstoffe des ADP-Rezeptors P2Y12, GPIIb/IIIa-Inhibitoren und den COX-1-Hemmer ASS. Der Aspirin-Wirkstoff antagonisiert die durch Thromboxan A2 (TxA2) vermittelte Thrombozy-tenaktivierung, indem er die TxA2-Synthese durch irreversible COX-1-Hemmung blockiert.
Hinter der erstgenannten Klasse verbergen sich die Wirkstoffe Clopidogrel und Prasugrel. Auch Ticlopidin, das heute wegen möglicher Blutbildveränderungen nicht mehr gebräuchlich ist, gehört in diese Substanzklasse. Durch die irreversible Blockade des Rezeptors P2Y12 hemmen die Substanzen die ADP-vermittelte Aktivierung der Thrombozyten. »Sowohl Clopidogrel als auch Prasugrel sind Prodrugs«, informierte Alban. Allerdings gebe es bei der Bioaktivierung deutliche Unterschiede. Durch die irreversible Blockade des P2Y12-Rezeptors haben beide Stoffe eine lang anhaltende Wirkung. In Kürze wird es mit Ticagrelor vermutlich den ersten reversiblen P2Y12-Hemmer auf dem Markt geben. In der sogenannten PLATO-Studie hat sich, so Alban, Ticagrelor als wirksamer erwiesen als Clopidogrel. Aus Compliance-Gründen könnte es ihr zufolge aber ein Nachteil sein, dass Ticagrelor zweimal täglich einzunehmen ist. Ein weiterer reversibler P2Y12-Hemmer in der Pipeline heißt Cangrelor. Er ist jedoch ausschließlich für den intravenösen Einsatz im Krankenhaus vorgesehen. »In der sogenannten CHAMPION-Studie hat er sich aber nicht Champion-like verhalten«, kommentierte Alban. Eine Überlegenheit gegenüber Clopidogrel konnte nicht gezeigt werden.
Thrombus im Fluoreszenzmikroskop
Foto: Roche
Eine andere Möglichkeit, die Thrombozytenaggregation zu hemmen, bieten GPIIb/IIIa-Inhibitoren. Dazu gehören Abciximab, Tirofiban und Eptifibatid. »Ihr Einsatz beschränkt sich aber vor allem auf die Anwendung im Krankenhaus«, sagte Alban. Alle drei hemmen kompetitiv die Bindung von Fibrinogen, von-Willebrand-Faktor und adhäsiver Proteine an das aktivierte Integrin αIIbβ3 (GPIIb/IIIa). Damit verhindern sie zum einen die Bildung loser Thrombozyten-Aggregate und zum anderen die Stabilisierung des Aggregats durch Fixierung loser Fibrinogen-Brücken.
Die Hemmung des Thrombin-Rezeptors PAR-1 auf Thrombozyten stellt eine neue Strategie zur Plättchenhemmung dar. Alban informierte, dass sich mit dem selektiven, nicht peptidischen, reversiblen PAR-1-Antagonisten SCH 530348 ein potenzieller neuer Arzneistoffkandidat in der klinischen Entwicklung befindet. Der Himbacin-basierte Wirkstoff, der aus der Rinde von Galbulimima baccata extrahiert wurde, befindet sich derzeit in Studien der Phase-III.
Als dritte Arzneistoffklasse, die beim ACS zum Einsatz kommt, stellte Alban die Antikoagulanzien vor. Eine Zulassung bei ACS besitzen unfraktioniertes Heparin, das niedermolekulare Heparin Enoxaparin, das synthetische Pentasaccharid Fondaparinux und das synthetische Hirudin-Analogon Bivalirudin. Die ersten beiden Vertreter bezeichnete Alban als multivalente Biomodulatoren (unter anderem indirekte Faktor-Xa- und Thrombinhemmung), die anderen beiden als selektive Inhibitoren. So ermögliche Fondaparinux eine selektive indirekte Faktor-Xa-Hemmung und Bivalirudin eine selektive direkte Thrombinhemmung. Das erkläre auch, warum derzeit die direkten Faktor-Xa-Hemmer Rivaroxaban und Otamixaban sowie der direkte Thrombinhemmer Dabigatranetexilat in der Therapie des ACS untersucht werden.