Virtueller Markt, reale Risiken |
02.02.2010 16:49 Uhr |
Von Bettina Sauer, Hannover / Der illegale Versandhandel mit gefälschten Medikamenten blüht und bringt große Gesundheitsrisiken mit sich, hieß es bei einer Pressekonferenz der Apothekerkammer und des Landesapothekerverbandes Niedersachen. Zoll und Polizei teilen diese Einschätzung.
»Die organisierte Kriminalität hat den Ver-sandhandel mit Medikamenten für sich entdeckt«, sagte Wolfgang Schmitz, Sprecher des Zollkriminalamts. »In Deutschland und Europa nimmt die Zahl der Arzneimittelfälschungen dramatisch zu.« So habe der deutsche Zoll vor zehn Jahren noch »so gut wie keine« gefälschten Tabletten und Pillen sichergestellt, im Jahr 2005 dagegen über 531 000, im Jahr 2008 sogar knapp 4,8 Millionen Stück. »Wir warten noch auf die offizielle Bestätigung der Zahlen für 2009«, sagte Schmitz. »Doch ich kann schon verraten: Die Tendenz ist ungebrochen.« Zudem spüre der Zoll wohl nur einen Bruchteil der gefälschten Ware auf, die tatsächlich in Deutschland anflute.
Ein lukratives Geschäft
Den Anstieg führte Schmitz hauptsächlich auf die hohen Gewinnspannen zurück. »Das Geschäft mit Viagra ist etwa zehnmal so lukrativ wie das mit Heroin«, bestätigte Harald G. Schweim, Professor für »Drug Regulatory Affairs« an der Universität Bonn. »Längst werden nicht mehr nur Lifestyle-Präparate gefälscht, sondern auch lebenswichtige Medikamente wie Antibiotika und Impfstoffe. Als neueste Entwicklung beobachten wir eine Zunahme im Bereich der Nahrungsergänzungsmittel, der pflanzlichen Präparate sowie bei den Arzneimittelvorstufen.« Die Fälschungen stammten aus Firmen und Privatlabors überall auf der Welt, insbesondere aus Ländern mit einer unzureichenden Arzneimittelüberwachung; als Haupthandelsroute diene das Internet.
Erhebliche Risiken für Verbraucher
Seit 2004 dürfen in Deutschland Apotheken mit einer behördlichen Erlaubnis Versandhandel betreiben. Allerdings tummeln sich Schmitz zufolge im Internet auch unseriöse Anbieter ohne entsprechende Genehmigung, die sich behördlichen Kontrollen entziehen und oft kaum von legalen Anbietern unterscheiden lassen. »Hinter einer höchst professionell gestalteten Website können sich Betreiber verbergen, denen Sie nie etwas abkaufen, ja nicht einmal die Hand geben würden«, sagte Schmitz. Viele seien dem Zollkriminalamt schon bekannt: als Zigarettenschmuggler, aber auch als Menschenschleuser, Rauschgift- oder Waffenhändler. »Erwarten Sie also nicht, dass diese Leute bei ihren Geschäften Rücksicht auf Ihre Gesundheit nehmen.«
»Arzneimittelfälschungen bergen erhebliche Risiken für die Anwender«, bestätigte Magdalene Linz, Präsidentin der Apothekerkammer Niedersachen. »Oft sehen sie zwar dem Original täuschend ähnlich, unterscheiden sich aber in der Zusammensetzung erheblich.« Möglicherweise enthielten sie keine, beziehungsweise zu hoch oder zu niedrig dosierte Wirkstoffe sowie Beimischungen anderer, mitunter giftiger Substanzen.
Sie stützte sich bei dieser Einschätzung auf Analysen des Zentrallabors Deutscher Apotheker (siehe dazu ZL: Warnung vor illegalem Handel im Internet, PZ 39/2009). Dieses hat seit 2004 Testkäufe bei rund 80 unseriös wirkenden Internetanbietern durchgeführt, wie Mitarbeiterin Dr. Mona Tawab berichtete. Ihre Bilanz: »50 bis 60 Prozent der gelieferten Medikamente waren gefälscht. Bei der Begutachtung stellten wir nicht nur pharmazeutische Qualitätsmängel fest, sondern vielfach auch das Fehlen wichtiger Angaben auf der Verpackung sowie deutschsprachiger Beipackzettel fest. Und wir bekamen sämtliche verschreibungspflichtigen Medikamente ohne Vorlage eines Rezepts.«
Große Missstände zeigten sich auch vergangenen November bei »Pangea II«, einer konzertierten Aktion der Arzneimittel-, Polizei- und Zollbehörden aus 24 Ländern (siehe dazu Arzneimittelsicherheit: Weltweiter Schlag gegen Fälscher, PZ 48/2009). Dabei wurden nach Angaben von Interpol 751 Websites mit illegalen Geschäftstätigkeiten überprüft, 72 davon vom Netz genommen. Zudem laufen nun gegen 22 Personen Strafverfahren, sechs davon in Deutschland, unter anderem wegen des Handels mit nicht zugelassenen Medikamenten sowie der Abgabe verschreibungspflichtiger Präparate ohne Rezept.
Fälschungssichere Strichcodes
Volker Kluwe, Abteilungsleiter im Landeskriminalamt Niedersachsen, der den Journalisten Pangea II vorstellte, forderte grundsätzlich eine weit strengere Überwachung des Arzneimittelmarktes. Als mögliche sinnvolle Ansätze nannte er die Einführung von elektronischen fälschungssicheren Strichcodes auf sämtlichen legalen Arzneimittelpackungen sowie die Einrichtung einer Clearingstelle, die das Internet fortlaufend nach unseriösen Anbietern durchforstet.
Auch das Deutsche Institut für Medizinische Dokumentation (DIMDI) bemüht sich um Sicherheit im virtuellen Arzneimittelmarkt. Seit April 2009 veröffentlicht es auf seiner Homepage (www.dimdi.de) eine regelmäßig aktualisierte Liste aller Apotheken, die über eine in Deutschland gültige Versandhandelserlaubnis verfügen. Die aufgeführten Apotheken können ein Qualitätssiegel auf ihrer Homepage veröffentlichen, das wiederum mit der Liste des DIMDI verlinkt ist. Allerdings erbrachten Schweim und seine Universitätsmitarbeiter schon wenige Tage nach der Einführung des Systems den Beweis, dass es sich austricksen lässt. »Wir konnten das Siegel ziemlich leicht fälschen und auf der Homepage unserer sogenannten ›Fake-Apotheke‹ platzieren«, berichtete Schweim. Diese betreibt er, um zu veranschaulichen, wie schwer sich seriöse von unseriösen Websites unterscheiden lassen. Aufgrund der aus seiner Sicht nie ganz zu schließenden Sicherheitslücken forderte Schweim die neue Bundesregierung auf, den Versandhandel mit Medikamenten wieder zu verbieten. »Er macht in Deutschland ohnehin nicht wirklich Sinn. Schließlich gibt es hier ein engmaschiges Netz von Apotheken, die jedes Medikament innerhalb weniger Stunden besorgen.«
»Zudem bietet die Apotheke am Ort beim Einkauf von Medikamenten die höchstmögliche Sicherheit«, sagte Ina Bartels aus dem Vorstand des Landesapothekerverbands Niedersachen. Das liege nicht nur an den überwachten Vertriebswegen der Präparate, sondern auch an der persönlichen Beratung der Kunden. »Auf dieser Basis wählen wir das individuell wirksamste und verträglichste Präparat aus oder empfehlen gegebenenfalls den Arztbesuch. Zudem informieren wir über Wirkungen, Anwendung und Risiken von Medikamenten und achten auf mögliche arzneimittelbezogene Probleme. All das dient der Patientensicherheit. Im Internet ist sie wohl kaum zu bekommen.« /