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Studium

Kleine Schritte für Esra

Datum 01.02.2010  15:19 Uhr

Von Julia Schulters / Als Esra zur Welt kommt, ändert sich für Meryem Ipek alles. Sie tauscht Kittel gegen Kinderwagen und synthetisiert Möhrenbrei statt Paracetamol. Nie aber ohne ihr Ziel aus den Augen zu verlieren: Heute steht die Pharmaziepraktikantin und Mutter einer zehnjährigen Tochter kurz vor dem Dritten Staatsexamen.

Es ist eine bewusste Entscheidung, damals, als Meryem Ipek (38) nach dem ersten Semester Pharmazie in Düsseldorf schwanger wird. »Mein Mann und ich haben uns immer vor meinem 30. Geburtstag ein Kind gewünscht«, sagt sie. Nach einer abgeschlossenen Ausbildung zur Krankenschwester, einigen Jahren Berufserfahrung als Nachtwache in einer Essener Klinik und dem anschließenden Abitur an einem Gymnasium im Ruhrgebiet begibt sie sich trotz Studiumsstress schließlich in das Spannendste aller Abenteuer: Esra.

Mit ihr wird alles anders. Als sie am 29. Juli 1999 das Licht der Welt erblickt, hat Meryem die Enttäuschung über erste vergeigte Analysen und anfängliche Salben-Katastrophen im Arzneiformen­lehrepraktikum längst vergessen. Esra ist Meryems Zukunft. Und in diesem Moment zählt nichts anderes. Dass sie die ersten bestandenen Scheine an der Uni sorgfältig abgeheftet hat, vergisst sie aber trotzdem nie. Es soll weitergehen mit dem Studium. Irgendwann wenn Esra ein bisschen größer ist.

 

Bis dahin will Meryem für ihre Tochter da sein. Sie schreibt die letzten Klausuren im zweiten Semester und legt eine dreijährige Pause ein. »Karriere war für mich wichtig, aber nicht um jeden Preis«, sagt sie heute. In den ersten drei Jahren gehöre ein Kind nach Hause zur Mutter. »Für kein Studium der Welt hätte ich Esra in dieser Zeit in fremde Hände gegeben«, ist sie auch heute noch überzeugt.

 

Mit Kind zur Vorlesung

 

Als Esra in den Kindergarten kommt, packt Meryem Ipek erneut der Ehrgeiz. Sie staubt ihre alten Analytik-Bücher ab, hängt das Periodensystem wieder an die Wand und stöbert in ihren alten Aufzeichnungen über Redoxitrationen und Komplexgeometrie. Meryem schnuppert zum ersten Mal nach langer Zeit wieder Uni-Luft. Und kann nicht mehr aufhören. Sie will weitermachen mit dem Studium. Wohl wissend, dass sie nur in kleinen Schritten vorankommen kann.

 

Und selbst das ist nicht immer ganz einfach. »Irgendwann hat Esra beschlossen, nicht mehr in den Kindergarten zu gehen«, erzählt Meryem. Statt jeden Morgen die tränenüberströmte Tochter der Kindergärtnerin anzuvertrauen, findet sie eine andere Lösung. Esra und Mama nehmen kurzerhand im Hörsaal des pharmazeutischen Institutes in Düsseldorf nebeneinander Platz. Und während Meryem konzentriert Strukturformeln abmalt und sich in das komplizierte Reaktionsverhalten organischer Verbindungen einarbeitet, puzzelt Esra unter der Hörsaalbank Benjamin-Blümchen-Puzzles, blättert in bunten Bilderbüchern und beobachtet mit ihren großen, neugierigen Kinderaugen die Kommilitonen. Und die schließen Esra gleich in ihr Herz. »Die Jungs haben in den Pausen Esra immer den Ball zugeworfen«, erzählt Meryem. Und auch Esra (10) kann sich noch gut an die Zeit in der Uni erinnern »Weißt du noch, als ich dir bei deinem Vortrag geholfen habe, Mama?« fragt sie und lächelt gewitzt.

 

Und ob Meryem das noch weiß. »Esra hat während unseres Referates über Säure-Base-Eigenschaften die Folien auf den Overhead-Projektor gelegt«, erzählt sie schmunzelnd. »Da war sie der Star im Hörsaal.«

 

Aber nicht immer ist für Esra in der Uni Platz. Während der Laborpraktika, von denen Meryem Ipek nur eines pro Semester absolviert, nimmt Ehemann Habib Urlaub oder bringt das Töchterchen bei Freunden und Verwandten unter.

 

»Am allerwichtigsten war für uns beide, dass Esra nicht zu kurz kommt und dass sie glücklich ist«, so Ipek. Nach Esra sei für sie alles andere zweitrangig geworden, sagt  sie.

 

Und deshalb bleibt Meryem im Notfall manchmal zu Hause. »Wenn Esra krank war oder niemand auf sie aufpassen konnte, haben meine Freunde Anja, Fabian und Hayat mich mit allen notwendigen Unterlagen versorgt und nach der Uni abends angerufen«, erinnert sich Meryem. Für diesen Freundschaftsdienst ist sie ihren ehemaligen Kommilitonen noch heute dankbar. »Ich weiß nicht, wie ich es ohne meine Freunde geschafft hätte«, sagt sie.

 

Abc-Lernen mit MC-Fragen

 

Als es an die Vorbereitung für das Erste Staatsexamen geht, ist Esra immer dabei. Die Histologie und Morphologie von Pflanzen erkundet Meryem einen Frühling lang am Beispiel von Gänseblümchen auf dem Spielplatz. Physikalische Formeln und organische Namensreaktionen lernt sie auf der Parkbank. Und beim Fragen-Klicken der Multiple-Choice-CDs lernt Esra ganz nebenbei das Alphabet.

 

Als Meryem das erste Staatsexamen in der Tasche hat und Esra eingeschult wird, geht vieles leichter. »Das Hauptstudium habe ich deshalb als viel weniger stressig und anstrengend empfunden als die ersten vier Semester«, sagt sie. Und trotzdem nimmt sie sich wieder viel Zeit für ihre Tochter und macht weiterhin nur ein Laborpraktikum pro Semester. Während Esra das schriftliche Addieren übt, paukt Mama am Schreibtisch nebenan Arzneistoffanalytik und analysiert Teedrogen. Letztere erkennt Esra am Ende ohne Probleme. »Ich habe Mama ja immer abgefragt und die lateinischen Namen vorgelesen«, erinnert sie sich.

 

Nach dem Zweiten Staatsexamen, das Meryem Ipek auf Anhieb besteht, beginnt für Mutter und Tochter ein neuer Lebensabschnitt. Esra geht auf das Gymnasium, Meryem in die Apotheke. Wieder sucht sie nach der familiengerechtesten Lösung und wird fündig. »Ich habe bei dem zuständigen Landesprüfungsamt in Düsseldorf einen Antrag auf Verlängerung des Praktischen Jahres gestellt«, so Ipek. Statt 40 Stunden in der Woche arbeitet sie nur 30. Das PJ verlängert sich um drei Monate.

 

Hilfe vom Landesprüfungsamt

 

Eine Anfrage, die Sachbearbeiter Manfred Thenhausen vom Landesprüfungsamt in Düsseldorf immer mal wieder bekommt. »Es gibt zwar für solche Fälle keine gesetzliche Regelung, aber wir bemühen uns, Lösungen für junge Mütter zu finden und entsprechende Ausnahme-Anträge zu genehmigen«, so Thenhausen. Dies sei aber auch individuell vom Fall abhängig und liege stets im Ermessensbereich des jeweiligen Landesprüfungsamtes. »Wir sind in der Regel aber immer bemüht, jungen, eingespannten Pharmaziepraktikantinnen mit Kind keine Steine in den Weg zu legen«, sagt Thenhausen.

 

Auch Apotheker Carsten Gleiß, Inhaber der Duden-Apotheke in Wesel, muss nicht lange überlegen, als Meryem Ipek ihm ihre Situation schildert und um eine verlängerte PJ-Stelle mit abweichenden Arbeitszeiten bittet. »Kein Studium der Welt kann jemandem das Know-how einer Mutter vermitteln«, sagt er. Die persönliche Erfahrung mit Kindern könne jede Beratung in der Apotheke nur bereichern. »Eine Mitarbeiterin, die sich in das Wohl und Wehe besorgter Eltern hineinversetzen kann, ist in der Praxis Gold wert«, ist er überzeugt.

 

Und auch Meryem hat gemerkt, wie ihr die Erfahrungen aus dem Alltag mit Esra im Arbeitsleben zugute kommen. »Viele Situationen, viele Ängste, viele Krankheiten habe ich mit meiner Tochter ja schon selber durchlebt«, sagt sie. Oft seien ein einfühlsames Gespräch und ein Tipp von Mutter zu Mutter mehr wert, als das Wirkstoffverzeichnis im Lehrbuch.

 

Ein ungemeiner Vorteil, auf den Meryem nicht mehr verzichten will. Auch wenn der Weg zum Ziel nie einfach war. »Ich hatte das große Glück, Freunde zu haben, die immer für mich da waren und die mich unterstützt haben«, sagt sie. Zeit und Geduld seien die beiden Dinge, die sie in den vergangenen Jahren am meisten gebraucht habe. »Ein Pharmaziestudium ist für eine Mutter nur in Etappen und kleinen Schritten möglich«, weiß sie. Schon während der Schwangerschaft sei die Teilnahme an vielen Veranstaltungen in der Uni unmöglich.

 

Das kann auch Dr. Herbert Lahl, Sicherheitsbeauftragte des Pharmazeutischen Instituts in Münster, nur bestätigen. »Wir halten Schwangere aus den chemischen Praktika komplett heraus«, so Lahl. In ganz wenigen Bereichen, zum Beispiel in der Technologie, gebe es einige Ausnahmen. »In der Regel aber muss eine schwangere Studentin aufgrund des teratogenen Potenzials vieler Chemikalien und Arzneistoffe mit dem Studium pausieren«, sagt Lahl.

 

Hindernisse, die Meryem Ipek wohl wissend in Kauf genommen hat. Wenn Esra sie heute ansieht, weiß die angehende Apothekerin, dass sie alles richtig gemacht hat. Die Entscheidung, ein Kind während des Studiums zu bekommen, bereut sie trotz aller Hürden und Schwierigkeiten nicht. Im Gegenteil. Wenn ihr eines bewusst geworden ist, dann das: Mit Esra wurde alles besser. / 

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