Intelligente Assistenzsysteme für Ältere |
02.02.2010 14:42 Uhr |
Von Werner Kurzlechner, Berlin / »Ambient Assisted Living« gilt als Wachstumsmarkt. Auch deshalb verdreifacht die Bundesregierung die Fördersumme für die Entwicklung neuer Technologien, die älteren Menschen länger ein selbstbestimmtes Leben zu Hause ermöglichen.
Bei euphorischen Zukunftsprognosen bleiben hierzulande skeptische Gegenstimmen selten aus. Von »Utopia« war mäkelnd die Rede während der Fragerunde beim Deutschen Ambient Assisted Living (AAL)-Kongress vergangene Woche in Berlin die Rede. Es wurde darauf hingewiesen, dass es in hiesigen Seniorenheimen sogar an gepolsterten Auflagen fehle, die Sturzverletzungen älterer Menschen abmildern könnten. Das war als Einwand gedacht gegen Hochtechnologie-Lösungen, wie sie unter dem Etikett AAL entwickelt werden.
Man dürfe kein Entweder-Oder konstruieren zwischen innovativer Forschung und einfacheren Antworten auf die bestehenden Mängel, konterten einhellig die Teilnehmer auf dem Podium.
Roboter bringt Frühstück
Mit dem Anglizismus AAL sind computergestützte Assistenzsysteme gemeint, die das Leben älterer oder behinderter Menschen erleichtern sollen. Das können zum Beispiel Roboter sein, die das Frühstück ans Bett servieren. Oder im Hinblick auf gefährliche Stürze Sensoren im Fußboden, die Alarm auslösen, wenn jemand längere Zeit regungslos an derselben Stelle liegt. Die Bundesregierung scheint vom Sinn derartiger Forschungsleistungen vollends überzeugt.
Das Bundesforschungsministerium stelle dafür in diesem Jahr 30 Millionen Euro bereit, verkündete Thomas Rachel (CDU), parlamentarischer Staatssekretär im Ministerium. Im vergangenen Jahr standen lediglich neun Millionen Euro zur Verfügung. »Wir machen ernst und sparen an anderer Stelle«, sagte Rachel.
Im Kern geht es dabei um zwei Dinge: einerseits um Technologie, die in einer alternden Gesellschaft die Möglichkeiten eines selbstbestimmten Lebens verlängert, andererseits um Exportchancen für die heimische Wirtschaft. Eindeutiges Ziel der Regierung sei es, dieses Feld zu einem Schlager für den Außenhandel zu entwickeln, so Rachel. Dass es sich dabei angesichts des demografischen Wandels um einen Wachstumsmarkt handelt, steht wohl fest. Dr. Hans Heinz Zimmer, Vorstandvorsitzender des Verbandes der Elektrotechnik, Elektronik und Informationstechnik (VDE), zitierte eine Studie des Marktforschungsinstitutes Datamonitor. Demnach soll das Marktvolumen in Europa und den Vereinigten Staaten von derzeit rund 3 Milliarden US-Dollar in zwei Jahren auf 7,7 Milliarden US-Dollar steigen. Nach eigenen Erhebungen sei Deutschland in den Bereichen Telemedizin und E-Health auf dem Weg zum »Innovationsführer«, Europa könne binnen fünf Jahren an den USA vorbeiziehen, sagte Zimmer. Deutlich wurde indes, woran in wirtschaftlicher Hinsicht der Durchbruch hängt. In den verschiedenen AAL-Bereichen liegen die deutschen Unternehmen zwar durchweg mit an der Spitze, aber nirgendwo ganz vorne. Entscheidend sei es, auch Konzerne vom Kaliber Siemens von einem Engagement in dieser Sparte zu überzeugen, sagte Professor Dr. Dr. Dieter Rombach, Leiter des Fraunhofer-Instituts für Experimentielles Software Engineering (IESE) in Kaiserslautern.
Während technologisch bereits viele Entwicklungen ausgereift sind und laut Zimmer derzeit die Vernetzung heimischer IT-Systeme auf dem Programm steht, gibt es in anderen Bereichen noch viele offene Fragen. Nicht zufällig soll das Fördergeld des Bundes in eine breit angelegte gesellschaftswissenschaftliche Begleitforschung fließen. Die ehemalige Bundesseniorenministerin und Altersforscherin Professor Dr. Ursula Lehr forderte, die Bedürfnisse der Anwender in der Entwicklung stärker zu berücksichtigen. »Auch ältere Menschen sollten lernen, mit moderner Technik umzugehen«, sagte Lehr. Dies könnte aber wesentlich besser gelingen, wenn beispielsweise Mobiltelefone mit größeren Tasten hergestellt würden. Jüngeren Menschen riet Lehr, das Handy einmal probeweise mit Handschuhen zu bedienen. Dann könnten sie nachfühlen, wie schwierig für Senioren diese Geräte zu benutzen seien.
Rombach berichtete, dass genau deshalb an seinem Institut seit einiger Zeit verstärkt erforscht werde, wie Gruppen älterer Menschen mit den Entwicklungen zurechtkämen. Zwei Dinge seien dabei inzwischen klar geworden. Erstens seien Senioren für jede Innovation dankbar, die das Weiterleben in den eigenen vier Wänden ermögliche. Zweitens gelte das nicht für alle Entwicklungen, die auf Kameraüberwachung basierten. Derartige Eingriffe in die Privatsphäre lehnen sie rundweg ab.
Ein derzeit ungelöstes Problem ist, wer die teuren Erleichterungen für das Alltagsleben bezahlen soll. Die Krankenkassen finanzieren derlei in der Regel nicht. Rombach äußerte dazu eine andere Idee. Man müsse Möglichkeiten finden, wie in seniorengerecht ausgerüsteten Wohnungen die helfende Informationstechnologie als zusätzlicher Posten der Nebenkosten bezahlt werden könne. Für Bauherren könnte es in einer zunehmend älteren Gesellschaft ein Wettbewerbsvorteil sein, in diesem Segment bezahlbare Lösungen zu entwickeln, sagte Rombach. /