Hilfe in der Krise |
02.02.2010 16:53 Uhr |
Von Ulrike Abel-Wanek / Trotz Heilungschancen und zunehmend guter Prognosen: Die Diagnose »Krebs« ist immer ein Schock für Betroffene und Angehörige. Hilfe bei der Krankheitsbewältigung kann die psychosoziale Onkologie bieten.
»Seelische Belastungen reduzieren, psychische Symptome wie Angst und Depression lindern, letztlich die Lebensqualität der Patienten und ihrer Angehörigen verbessern – das können Psychoonkologen leisten«, sagte Professor Dr. Peter Herschbach im Rahmen eines Roundtable-Gesprächs, das erstmals im letzten Jahr in Frankfurt am Main stattfand. Der Leiter der Abteilung Psychosoziale Onkologie am Klinikum rechts der Isar der TU München unterstützt gemeinsam mit Kollegen die 2009 ins Leben gerufene Initiative »Psyche hilft Körper«, die sich für eine stärkere psychosoziale Betreuung von Krebspatienten einsetzt.
Zweimal im Jahr treffen sich Experten verschiedener Fachdisziplinen und diskutieren über die Chancen, aber auch Grenzen ihrer Arbeit. Größter bisheriger Erfolg der Initiative ist das bundesweite Adressverzeichnis »Sprechstunde für die Seele«, das Psychoonkologen aus ganz Deutschland auflistet. Aufgrund der großen Nachfrage erscheint es ab März in Neuauflage in deutlich erweitertem Umfang.
Mehr als 400 000 Männer und Frauen werden jährlich mit der Diagnose Krebs konfrontiert. Die unheilvolle Mitteilung stellt die Betroffenen vor eine äußerst schwierige Aufgabe. Die Ängste vor dem Tod, vor Schmerzen und Siechtum sowie die Sorge um den Arbeitsplatz und die Angehörigen sind nicht leicht zu bewältigen. Ebenso wenig wie die Folgen teilweise gravierender operativer Eingriffe und die Begleiterscheinungen von Chemo- und Strahlentherapie. Ein Teil der Patienten kommt ohne Hilfe zurecht, aber nicht alle. Rund 30 Prozent der Krebspatienten sind so stark psychisch belastet, dass sie eine psychoonkologische Betreuung benötigen. Nur die Wenigsten, rund 25 Prozent dieser Gruppe, erhalten aber eine passende Behandlung. Viele Betroffene wissen gar nicht, dass es solche Angebote überhaupt gibt, und wenn, wie man einen geeigneten Psychoonkologen findet. Auch für den Arzt sei es häufig schwierig, den Patienten, der zusätzliche Hilfe braucht, überhaupt zu erkennen, sagt Herschbach.
Damoklessyndrom der Überlebenden
Hilfe benötigen immer mehr Menschen.Denn Krebs wird zunehmend zur chronischen Erkrankung. Viele der früher akut und tödlich verlaufenden Tumorleiden sind inzwischen langfristig behandelbar. Die Zahl der Krebskranken steigt deshalb stetig an. Eine längere Lebenszeit bedeutet aber auch: eventuell bleibende Behinderungen und Einschränkungen nach der Therapie und vor allem die Angst vor einem möglichen Rückfall. Dieses sogenannte Damoklessyndrom, unter dem viele Patienten leiden, bedarf einer spezifischen medizinischen und psychosozialen Behandlung. Der zunehmend gebräuchliche Begriff »psychosoziale Onkologie« betont im Vergleich zur »Psychoonkologie« stärker die wichtige Rolle des sozialen Umfeldes Betroffener. Denn wenn ein Mensch schwer erkrankt, beeinflusst das das Leben der ganzen Familie. Nicht nur, was die Neugestaltung des Alltags betrifft, sondern vor allem auch in Bezug auf die Gefühle und Gedanken aller Beteiligten.
Psychoonkologie beziehungsweise Psychosoziale Onkologie ist eine relativ neue interdisziplinäre Form der Psychotherapie. Sie befasst sich mit dem psychischen, sozialen und sozialrechtlichen Bedingungen, Folgen und Begleiterscheinungen einer Krebserkrankung.
Eine psychoonkologische Betreuung hat zum Ziel, die Belastungen, Sorgen und Ängste der Betroffenen zu reduzieren, bei der Bewältigung der Krankheit zu helfen und damit die Lebensqualität zu verbessern. Sie soll auch zur Entlastung bei Angehörigen führen.
Die Therapie kann ein Einzel-, Paar- oder Gruppenangebot sein. Sie kann Entspannung oder die aktive Auseinandersetzung mit der Krankheit durch Gespräche zum Inhalt haben.
Psychoonkologische Therapien werden in Krankenhäusern, Rehabilitationskliniken und von niedergelassenen Psychotherapeuten angeboten.
Viele Therapeuten haben eine klassische Psychotherapieausbildung absolviert und besitzen eine staatliche Genehmigung . Seit einigen Jahren gibt es spezielle Fortbildungskurse auch mit Zertifikaten. Damit will man den besonderen Anforderungen bei der Behandlung von Krebspatienten gerecht werden.
Das Adressverzeichnis »Sprechstunde für die Seele«, das Psychoonkologen aus ganz Deutschland auflistet, kann unter www.gsk-onkologie.de heruntergeladen werden.
Aus wissenschaftlicher Sicht entstand die psychosozial orientierte Medizin im 19. Jahrhundert. Die Begriffe »Psychosomatik« und »Sozialmedizin« wurden in dieser Zeit geprägt, letzterer speziell im Zuge der bürgerlichen Revolution, der Industrialisierung und Verarmung großer Bevölkerungsgruppen. Infektionskrankheiten wie Cholera, Typhus und Tuberkulose, ernährungsbedingte Leiden, aber auch viele Unfälle in den neuen Produktionsstätten zwangen zum sozialpolitischen Handeln. Es war Rudolf Virchow, der den Zusammenhang zwischen Krankheit und sozialer Lage erkannte und an die Öffentlichkeit brachte. Schon damals galt Krebs als »Geißel der Menschheit« und hatte, ähnlich wie heute, ein schlechtes Image. Krebserkrankungen wird nach wie vor das höchste Bedrohungspotenzial unter den Krankheiten zugemessen. Angst und Vorurteile belegten die Krankheit schon früh mit einem Tabu. Selten wurden Patienten über ihre Krankheit detailliert aufgeklärt. Erst in den 50er-Jahren des 20. Jahrhunderts fanden die Befürworter eines offenen Gesprächs zwischen Arzt und Patient mehr Gehör.
In den 1970er-Jahren, mit der Gründung der Deutschen Krebshilfe (1974), bekamen die Überlegungen, dass Krankheitsverlauf und psychosoziale Prozesse eng ineinandergreifen, weitere Unterstützung. Große Konferenzen folgten, auf denen Onkologen eine deutlich stärker psychosozial und patientengerecht ausgerichtete Medizin forderten. Die Selbsthilfebewegung entstand, und das psychoonkologische Programm der Deutschen Krebshilfe führte unter anderem dazu, dass sich 1979 die erste bundesdeutsche psychosoziale Nachsorgeeinrichtung für Tumorpatienten in Heidelberg gründete. Zentren in Hamburg, München und Köln folgten.
Doch trotz des Engagements vieler Ärzte, Verbände und Betroffener: Im Klinik-alltag sucht man ausgebildete Psychoonkologen heute meistens noch vergeblich. »Eine direkte Vermittlung psychoonkologischer Beratung in der Klinik ist nicht leicht«, berichtete Professor Dr. Petra Feyer, Direktorin der Klinik für Strahlentherapie, Radioonkologie und Nuklearmedizin am Vivantes-Klinikum Berlin-Neukölln im Rahmen des zweiten Expertentreffens Ende letzten Jahres in Frankfurt. »80 Prozent unserer Patienten werden beispielsweise ambulant behandelt. Das macht es schwierig, sie psychoonkologisch zu begleiten.«
Ein strukturelles Problem, aber nicht das einzige. Nach wie vor existiert eine tiefe Kluft zwischen einem vorwiegend technischen Medizinverständnis vieler Ärzte und den emotionalen Bedürfnissen der Patienten. Die Basis einer erfolgreichen Therapie ist jedoch eine vertrauensvolle Arzt-Patient-Beziehung. Dabei sollte die menschliche Beziehung ebenso wichtig sein wie die bestmögliche medizinische Versorgung. Kommunikation zwischen Arzt, Psychoonkologen und Patient ist dabei das A und O. »Rechtzeitig zu Behandlungsbeginn muss der Patient über Wirkungsweise, Nutzen und Risiken der vorgeschlagenen Therapie informiert werden«, sagte Brigitte Overbeck-Schulte, Bundesvorsitzende der Frauenselbsthilfe nach Krebs und Mitglied der Initiative »Psyche hilft Körper«. »Wenn ich weiß, was ich zu erwarten habe, kann ich auch mit den Nebenwirkungen umgehen«, so Overbeck-Schulte. Im weiteren Verlauf können psychotherapeutische Maßnahmen helfen. »Das hat die Forschung der letzten 30 Jahre gezeigt,« sagte Herschbach.
Win-win-Situation für alle
Dr. Stefan Fuxius arbeitet als niedergelassener Onkologe in einer Gemeinschaftspraxis in Heidelberg. 80 Prozent seiner Patienten, die meistens eine schwere Operation hinter sich haben, nehmen eine Überweisung an einen Psychiater oder Psychoonkologen zunächst gar nicht an, so die Erfahrung des Facharztes für innere Medizin. Eine Umfrage unter seinen Patienten ergab: Am wichtigsten sind zunächst Informationen über die Krankheit und darüber, wie sie therapiert wird, gefolgt von der Frage, wie man es schafft, Behandlung und Arztbesuche in den Alltag zu integrieren. An dritter Stelle steht häufig die Frage: Wie kriege ich meine Arbeit hin? Gerade zu Beginn ist der Wunsch nach psychologischer Betreuung eher untergeordnet. Dies ändert sich aber oft im weiteren Verlauf der Erkrankung. Die Heidelberger Praxis bietet entsprechende Sozialberatung an – allerdings unter einem erheblichem Finanzierungsdruck. »In der praktischen Umsetzung ist die Frage der Finanzierung ein Riesenproblem«, sagt Fuxius. Mehr wissenschaftliche Arbeiten, Studien und Veröffentlichungen seien deshalb dringend nötig. »Wir brauchen etwas in den Händen, um die Krankenkassen davon zu überzeugen, dass die psychosoziale Betreuung den Patienten hilft und darüber hinaus Kosten an anderer Stelle spart.«
Viele Psychoonkologen mit klassischer Psychotherapieausbildung und Approbation qualifizieren sich zusätzlich mit einer speziellen Fortbildung zur Behandlung von Krebspatienten (zum Beispiel »Weiterbildung Psychosoziale Onkologie«: WPO). Ihr Know-how kommt dabei nicht nur den Patienten, sondern auch den behandelnden Ärzten zugute. »Wir sind keine Psychoonkologen und eigentlich inkompetent«, sagt Fuxius. »Wir brauchen dringend Unterstützung. Wenn wir die bekämen, hätten wir eine Win-win-Situation für alle. Wir Ärzte würden entlastet und der Patient hat einen kompetenten Ansprechpartner.«
Es gibt keine Krebspersönlichkeit
Eine offene Arzt-Patient-Situation, ein funktionierendes soziales Umfeld und psychotherapeutische Unterstützung erleichtern die Krankheitsbewältigung. Hinzu kommt, dass jeder Patient seine ganz persönlichen Coping-Strategien (to cope: bewältigen) finden muss, um mit der neuen Situation umzugehen. Die meisten Patienten reagieren ähnlich, wie schon in früheren belastenden Situationen. Dem einen hilft es, jede Information über seine Krankheit zu sammeln, der andere lenkt sich beispielsweise lieber ab. Viele stellen sich jedoch als Reaktion auf die Diagnose auch die Schuldfrage. »Habe ich mich falsch verhalten, Raubbau mit meinen Kräften getrieben? Habe ich Krebs bekommen, weil ich immer alles in mich reingefressen habe?« Obwohl wissenschaftliche Studien dagegen sprechen, hält sich die Annahme, die Krankheit vielleicht selbst verursacht zu haben, hartnäckig.
Die Vorstellung von der »Krebspersönlichkeit« geht bis in die Antike zurück. »Melancholie« und »Depression« sollten schon nach damaliger Auffassung dem malignen Zellwachstum den Boden bereiten. Die Diskussion über die »depressive Krebspersönlichkeit oder den »Typus Carcinomatosus« (Typ C) hält sich bis heute. Die Ergebnisse zahlreicher Studien sprechen jedoch dagegen. Ob man glücklich ist oder nicht, fröhlich oder depressiv: Eine Krebserkrankung entwickelt sich unabhängig davon. Optimismus heilt den Krebs nicht. »Optimismus kann aber dabei helfen, die Folgen einer Behandlung besser zu verarbeiten und schneller zu einem normalen Leben zurückzufinden«, ist Herschbach überzeugt. /
Deutsche Arbeitsgemeinschaft für psychosoziale Onkologie e. V. (dapo)
Arbeitsgemeinschaft für Psychoonkologie e. V. (PSO)