Der Fall des Wiktor Juschtschenko |
02.02.2010 11:47 Uhr |
Von Anna Sonnenburg und Ralf Stahlmann / Die Vergiftung des ukrainischen Oppositionsführers Wiktor Juschtschenko ist wohl der prominenteste Fall einer schweren Dioxin-Intoxikation. Es war sein Wunsch, dass sein Fall dazu beiträgt, das Wissen über Dioxin-Intoxikationen zu verbessern.
Der Politiker klagte nach einem Essen mit dem damaligen Chef des ukrainischen Geheimdienstes am 5. September 2004 über gastrointestinale Beschwerden, Rückenschmerzen und andere Symptome. Vier Tage später wurde er in das Wiener Rudolfinerhaus eingeliefert. Erst im Dezember 2004 wurde offiziell bekannt gegeben, dass der Präsidentschaftskandidat an einer Dioxin-Intoxikation litt.
Ende Dezember 2004 wurde Juschtschenko Patient im Universitätsklinikum Genf. Dort stellten die Wissenschaftler um Jean Saurat im Januar 2005 bei ihm eine Konzentration von 108 000 pg 2,3,7,8-Tetrachlorodibenzo-p-dioxin (TCDD)/g Blutfett fest. Dieser Wert liegt etwa 50 000-fach höher als die Normalbelastung der Bevölkerung Mitteleuropas. Nun wurden Details der analytischen Untersuchungen veröffentlicht. Danach wurden erstmals Metaboliten des TCDD beim Menschen nachgewiesen (1, 2).
TCDD ist unter den polychlorierten Dioxinen und Furanen die Substanz mit der höchsten toxischen Potenz. Der Stoff entsteht vor allem bei der Verbrennung organischer Materialien und ist ubiquitär verbreitet. Aufgrund der hohen Lipophilie akkumuliert die Verbindung im Fettgewebe, die Elimination erfolgt nur langsam und ganz überwiegend in unveränderter Form mit dem Stuhl. Die toxische Wirkung von TCDD wird auf seine hohe Affinität für den intrazellulären Arylhydrocarbon-Rezeptor (AhR, auch »Dioxin-Rezeptor« genannt) zurückgeführt. Die Bindung an AhR verursacht zwar eine Induktion der Phase-I-Enzyme, wie die Cytochrom-P450-abhängigen Monooxygenasen CYP1A1, CYP1A2 und CYP1B1, die lateral angeordneten Chlorsubstituenten von TCDD verhindern beziehungsweise verlangsamen jedoch die Bildung von polaren Metaboliten durch Oxidation und damit die Exkretion über den Harn.
Bei hoher Exposition rasche Elimination
Die Wissenschaftler beobachteten über drei Jahre die Elimination von TCDD und den Metaboliten bei Juschtschenko, indem sie kontinuierlich Proben von Blutserum, Fettgewebe, Fäces, Haut, Urin und Schweiß gaschromatographisch und massenspektrometrisch untersuchten. Während der Untersuchungsperiode nahm die Konzentration von TCDD in den Serumlipiden von 66 000 pg/g auf 38 000 pg/g ab, die Gesamtmenge im Körper wurde von 990 µg auf 740 µg reduziert. Aus ihren Daten errechneten die Autoren eine Eliminationshalbwertszeit von 15,4 Monaten. Die Elimination erfolgte also deutlich schneller als bei niedrig-exponierten Personen, bei denen die Halbwertszeit bei fünf bis sieben Jahren liegt, wie ein Selbstversuch des Schweizer Toxikologen H. Poiger bereits vor einigen Jahrzehnten zeigte (3).
Die Autoren der Publikation diskutieren dafür zwei Gründe. Zum einen wurde der Patient während der Dauer der Untersuchungen mehr als 20-mal kosmetischen Operationen unterzogen, um die Auswirkungen der stark ausgebildeten Chlorakne zu mildern. In den so gewonnenen Hautproben konnten die Wissenschaftler hohe Konzentrationen TCDD nachweisen, womit dieser »chirurgische Eliminationsweg« in die Betrachtungen einbezogen werden muss. Zum anderen stellten sie fest, dass neben hohen Konzentrationen von TCDD in den Fäces des Patienten zwei von fünf möglichen hydroxylierten Metaboliten vorhanden waren (Abbildung). Die Konzentration der Metaboliten war im Stuhl deutlich höher als in den Blutproben. Dies wird als Hinweis darauf gewertet, dass die Abbauprodukte im Organismus des Patienten entstanden sind und nicht zusammen mit dem TCDD aufgenommen wurden. Bisher konnte die Metabolisierung von TCDD beim Menschen nicht nachgewiesen werden, sodass die Wissenschaftler davon ausgehen, dass für die Metabolisierung durch die Enzyme CYP1A1, CYP1A2 und CYP1B1, deren erhöhte Aktivität sie in der Haut und im Blutserum des Patienten nachweisen konnten, sehr hohe Dosen von TCDD erforderlich sind. /
Literatur
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Sorg, O. et al.,Lancet 2009; 374:1179-1185
McKee, M., Lancet 2009; 374:1131-1132
Poiger, H., Schlatter, C., hemosphere 1986; 15:1489-1494
Quelle
Toxikologie Aktuell
Anschrift der Verfasser:
Professor Dr. Ralf Stahlmann
Charité Universitätsmedizin
Campus Benjamin Franklin
Institut für Klinische Pharmakologie und Toxikologie
Garystraße 5
14195 Berlin