Acht Euro spalten die Politik |
02.02.2010 16:50 Uhr |
Von Daniel Rücker / Die Angst vor Zusatzbeiträgen sollte die Krankenkassen zur Ausgabendisziplin zwingen. Das Vorhaben ist gescheitert. Die Verantwortung dafür will aber niemand übernehmen. Die Regierung ist sich nicht einig, was sie von Zusatzbeiträgen hält.
Vor kaum mehr als einem Jahr führte die große Koalition den Gesundheitsfonds als vermeintlichen Kompromiss von Gesundheitsprämie und Bürgerversicherung ein. Der damit verbundene einheitliche Beitragssatz galt als Wettbewerbsbremse erster Klasse. Das wäre er wohl auch gewesen, hätten nicht SPD und Union gleichzeitig festgelegt, dass der Beitragssatz erst dann angehoben werden darf, wenn der Fonds weniger als 95 Prozent der Krankenkassenausgaben deckt. Die politisch gewollte Finanzierungslücke müssen finanzschwächere Krankenkassen nun über Zusatzbeiträge schließen. Ein Ziel dieser Regelung war eine größere Preistransparenz und damit mehr Wettbewerb unter den Kassen. Wer einen Zusatzbeitrag erhebt, muss seinen Versicherten ein Sonderkündigungsrecht einräumen und darüber auch noch umfassend informieren. Das Ziel hat die Politik offensichtlich erreicht. Feierlaune kommt jedoch nicht auf.
Womöglich hatte die damalige Bundesregierung vor einem Jahr nicht damit gerechnet, dass die Kassen so schnell und so zahlreich nicht mehr mit dem Geld aus dem Fonds auskommen werden. Am 22. Januar kündigten acht Kassen gemeinsam an, ihre Mitglieder müssten demnächst monatlich acht Euro mehr bezahlen. Rund 10 Millionen Versicherte seien betroffen. Mittlerweile erwarten viele Experten, dass zum Jahresende noch weit mehr Bundesbürger einen Zusatzbeitrag bezahlen müssen.
Zweifel an der Rechtmäßigkeit
Angesichts des doch überschaubaren Betrags von acht Euro ist es bemerkenswert, dass sich die Bundesregierung unmittelbar nach der Ankündigung der Kassen an die Spitze der Kritiker setzte, sich allerdings dabei niemals wirklich einig war. Die Reaktion von Verbraucherschutzministerin Ilse Aigner (CSU) fiel heftig aus. Sie bezweifelte die Rechtmäßigkeit, erste Zusatzbeiträge schon im Februar zu erheben. Die Kassen müssten ihren Versicherten eine ausreichende Frist einräumen. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) vermutete gar unerlaubte Absprachen zwischen den acht Kassen. »In anderen Fällen wäre das ein Fall für das Kartellamt«, soll Merkel laut »Handelsblatt« in einer Sitzung der CDU/CSU-Bundestagsfraktion gesagt haben. Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer kritisierte ebenfalls die Zusatzbeiträge. Aus der FDP war zunächst wenig zu hören. Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler wies darauf hin, die Kassen seien in der Pflicht, Zusatzbeiträge möglichst zu vermeiden. Das war noch recht unverdächtig. Am Montag dieser Woche wurden dann FDP-Chef Guido Westerwelle und sein Vize Andreas Pinkwart deutlicher. Die Regelung sollte abgeschafft, Zusatzbeiträge sollten verboten werden. Bemerkenswerterweise trat das Ministerium von Parteifreund Rösler auf die Bremse. Man solle jetzt nicht in Aktionismus verfallen, sagte eine Sprecherin der Deutschen Presseagentur. Sie verwies auf die geplante Regierungskommission, die in den nächsten Wochen ihre Arbeit aufnehmen soll. Kanzlerin Merkel ging Westerwelles Vorstoß ganz offensichtlich auch zu weit. Sie ließ nun über eine Sprecherin mitteilen, die Zusatzbeiträge seien geltende Rechtslage.
Merkels Vorwurf unrechtmäßiger Absprachen zwischen den acht Krankenkassen stand ohnehin von Beginn an auf ziemlich dünnem Eis. Zum einen unterliegen die Krankenkassen nicht dem Wettbewerbsrecht. Zum anderen erhalten sie aus dem Fonds dieselben Beträge pro Versichertem, sodass es nicht wirklich erstaunlich ist, dass sie auch dieselben Probleme und denselben zusätzlichen Finanzbedarf haben. Auch sind acht Euro der Maximalbetrag, den die Kassen ohne weiteren bürokratischen Aufwand von ihren Versicherten einfordern dürfen.
Weniger überraschend war die heftige Kritik der Opposition. SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach kritisierte den Zusatzbeitrag als kleine Kopfpauschale, mit denen die Menschen auf die große Pauschale à la FDP vorbereitet würden. Die gesundheitspolitische Sprecherin der SPD, Carola Reimann, sagte, die Zusatzbeiträge seien keine Erfindung der SPD, sondern ein Entgegenkommen ihrer Partei an die Union gewesen. Der ehemalige Vizekanzler Frank-Walter Steinmeier möchte ebenfalls keine Verantwortung für die mit der Union gemeinsam konzipierten Zusatzbeiträge übernehmen. Er gab dafür Gesundheitsminister Philipp Rösler (FDP) eine Mitschuld. Sich selbst sprach er davon frei. Die große Koalition habe die Einführung von Zusatzbeiträgen ja nicht zur Pflicht gemacht, sagte Steinmeier am vergangenen Sonntag im Deutschlandradio. Der Grüne Fritz Kuhn spielte auf ein Wahlkampfzitat der Kanzlerin an und warf der Regierung vor: »Jetzt gibt es weniger Netto.« Martina Bunge, Gesundheitsexpertin von Die Linke bezeichnete Zusatzbeiträge als »Ausdruck einer zutiefst unsozialen Politik«.
Wenig Zustimmung kam auch von den Sozialverbänden. Der Paritätische Wohlfahrtsverband lehnt Zusatzbeiträge als unsozial ab. Der Präsident des Sozialverbandes Deutschland, Adolf Bauer, sieht darin einen »Verstoß gegen die Beitragsparität«. Als »bittere Pille für Arbeitnehmer und Rentner« bezeichnete die Präsidentin des Sozialverbands VdK, Ulrike Mascher, die Zusatzbeiträge. »Ausgerechnet diejenigen, die durch Lohneinbußen und Rentennullrunden ohnehin Kaufkraftverluste hinzunehmen haben, werden durch die Kostensteigerungen im Gesundheitswesen überproportional belastet. Arbeitgeber bleiben außen vor«, sagte die VdK-Präsidentin. Für Rentner, so der VdK, seien acht Euro Zusatzbeitrag im Monat viel Geld.
Sozial oder unsozial?
Auch wenn Bundesgesundheitsminister Rösler an den aktuellen Finanzproblemen der Krankenkassen nur sehr bedingt Schuld trägt, hat er mit seinem Verhalten in den vergangenen Tagen das Thema aber sicher größer werden lassen als nötig. So bezeichnete er die Beiträge als ersten Schritt auf dem Weg zu einer Kopf- oder Gesundheitsprämie.
Die Diskussion über Zusatzbeiträge wurde so mit der von Rösler favorisierten Prämie verquickt. Sie ist ein maximal emotional aufgeladenes Thema. Reduziert auf die Schlagworte »sozial« und »unsozial« führen hier Politiker jeglicher Couleur einen ideologischen Krieg, weit jenseits vom tatsächlichen Kern des Problems. Dabei verlaufen die Gefechtslinien mitten durch die Koalition. Während Minister Rösler, aber auch der CDU-Gesundheitspolitiker Jens Spahn, einkommensunabhängige Prämien zur Finanzierung der Gesetzlichen Krankenversicherung für sinnvoll halten und mit Verweis auf einen damit verbundenen Sozialausgleich über Steuern auch für sozial, halten die drei Oppositionsparteien und die CSU Kopfprämien für den Anfang des Endes vom Sozialstaat. Nur wenige der Prämiengegner beeindruckt es dabei, dass namhafte Ökonomen wie die Professoren Eberhard Wille und Günter Neubauer, sie für eine demografiefeste Option halten (siehe dazu GKV-Finanzierung: Zankapfel Gesundheitsprämie).
Umstrittenes Sparpaket
Einen zweiten Angriffspunkt hat Rösler seinen Kritikern geboten, indem er sich mit Verweis auf eine große Reform im nächsten Jahr lange gegen ein Sparpaket zulasten der Pharmaindustrie gewehrt hatte. Die Opposition interpretierte dies als übergroße Nähe zur Pharmaindustrie. Diese Flanke hat Rösler nun zu schließen versucht, indem er Krankenkassen und Pharmaherstellern Gespräche über Kostensenkungen bei Arzneimitteln anbot. Die Pläne sind bislang noch vage. Rösler hat die großen Pharmahersteller im Auge. »Wir müssen die teuren patentgeschützten Arzneimittel in den Blick nehmen und schauen, wie man hier kurzfristig nennenswert sparen kann«, sagte Spahn der Zeitung »Die Welt«.
Doch die Generika-Hersteller sollten sich nicht in Sicherheit wähnen. Bei den patentfreien Präparaten ließen sich 3,4 Milliarden Euro einsparen, würden die gleichen Preise gelten wie in Großbritannien oder Schweden, sagte der Pharmakologe Professor Ulrich Schwabe. Die Regierung wäre sich aber nicht treu, wenn die FDP-Vorschläge nicht direkt aus Bayern infrage gestellt würden. Bayerns Gesundheitsminister Markus Söder (CSU) will laut Tageszeitung »Die Welt« kein Spargesetz auf Kosten der Pharmaindustrie. Er setzt auf einen »fairen Dialog« mit den Herstellern«.
Rösler stehen nun harte Zeiten bevor. Der Spagat zwischen liberaler und sozial ausgewogener Politik fällt ohnehin schon schwer. In einer emotional so heftig aufgeladenen Stimmung und mit einer starken intrakoalitionären Opposition aus Bayern, ist er um seine Aufgabe noch weniger zu beneiden. Der Koalition scheint zurzeit die Geschlossenheit zu fehlen, ein so unpopuläres Feld wie die Finanzierung der GKV konstruktiv zu bearbeiten. Die Mitglieder der geplanten Arbeitsgruppe sind in jedem Fall nicht zu beneiden. /