Streikauftakt im Luxushotel |
24.01.2006 17:32 Uhr |
<typohead type="3">Streikauftakt im Luxushotel
von Thomas Bellartz, Berlin
Auch am »Tag der Ärzte« wollte die Ärzteschaft mit ihrem Streik der Öffentlichkeit bewusst machen, wie schlecht es den Medizinern geht. Aus Gründen der Glaubwürdigkeit startete die Demo in einem Berliner Luxushotel.
Da waren sie überrascht, die Vorsitzenden, Präsidenten und Führenden von mehr als 40 Organisationen und Verbänden der deutschen Ärzteschaft. Rund 20.000 Menschen waren den Aufrufen gefolgt und demonstrierten gegen zu viel Bürokratie, gegen die Politik der Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) und ganz besonders für eine gerechtere Honorierung ihrer Arbeit.
Überraschend deckungsgleich mit den Positionen der Ärzteschaft zeigte sich kurz vor dem Start der Versammlung die Ministerin selbst. Sie sei nicht nur für ein gerechteres Vergütungssystem, sondern auch für einen flächendeckenden Bürokratieabbau. Doch die Selbstverwaltung habe es nun in der Hand, diesen Weg zu beschreiten. An der Honortarverteilung innerhalb der Ärzteschaft könne die Regierung nichts ändern. Sie wisse, dass die Vergütung nicht gerecht sei. Aber auch hier forderte sie vor allem die Kassenärztlichen Vereinigungen auf, aktiv zu werden. Dies sei in einigen Regionen bereits der Fall, ebenso wie beim Bürokratieabbau. Der Ruf nach dem Gesetzgeber sei deplatziert.
Die Protestierenden ließen sich weder von den Einlassungen der Ministerin noch von den winterlichen Bedingungen in der Hauptstadt abschrecken. Nach einer lärmenden Aufwärmphase im noblen Mariott zogen Tausende Richtung Ministerium. Schmidt ließ sich freilich nicht blicken; und falls sie im Haus war, konnte sie den Protest allenfalls akustisch vernehmen. Von verbaler Abrüstung, wie sie beispielsweise dem Präsidenten der Bundesärztekammer (BÄK), Professor Dr. Jörg Dietrich Hoppe, aus Parteien und Ministerium geraten worden war, keine Spur. Hoppe machte die Politik für die Misere der Ärzteschaft verantwortlich und zeichnete ein düsteres Bild. So stehe ein Drittel der Praxen am Rande des wirtschaftlichen Ruins, ein Sechstel sogar »unter Bankcuratell«. Dies wollten Banken nicht bestätigen.
Während sich die Bevölkerung noch vor den Protesten in Umfragen verständnisvoll gezeigt hatte, schwand die Zustimmung in den vergangenen Tagen. Dies dürfte auch daran gelegen haben, dass das Ministerium Informationen über die Einkommenssituation deutscher Mediziner verbreitete. Und so finden drei Viertel der Bevölkerung, dass die Honorare von Ärzten nicht angehoben werden sollten.
Der Vollversammlung der Berliner Kassenärzte war die eine Demo nicht genug. Dort beschloss man unter tosendem Beifall, im Februar tagelang zu streiken und damit die Politik stärker als bislang unter Druck zu setzen. Auch in anderen Bundesländern sind weitere Streiks geplant. Die Aktionen hatten nicht nur in Berlin, sondern bundesweit zu Praxisschließungen geführt. Auch in den Parteien schwindet nach anfänglichem Verständnis für den Protest, die Bereitschaft, die Honorarforderungen der Ärzte wohlwollend zu prüfen. Trotzdem feierten Ärzteschaft, Abgeordnete und Medienvertreter auch in diesem jahr wieder den Neujahrsempfang der Mediziner. Einen Tag nach der Demonstration war der Proest vergessen, wenigstens für einige Stunden. Auch da stellte man Selbstbewusstsein und Selbstverständnis zur Schau: im siebten Stock des KaDeWe.