Punkte statt Euro |
24.01.2006 17:36 Uhr |
<typohead type="3">Punkte statt Euro
von Daniel Rücker, Eschborn
Die Kassenärzte demonstrieren gegen Bürokratie und sinkende Einkommen. Beim Kampf gegen die immer größere Flut von Formularen und Vorschriften können sie auf die Unterstützung der Versicherten zählen. Die Klage der Mediziner über sinkende Einkommen stößt kaum auf Unterstützung. Auch weil die Angaben darüber schwanken.
In manchen Ferienclubs wird mit Muschelgeld bezahlt. Das kann der Urlauber an der Kasse gegen Euro erwerben und auch wieder in Euro umtauschen. Bei den Ärzten ist es ähnlich. Sie erhalten für ihre Leistungen auch keine Euro sondern Punkte. Die Krankenkassen tauschen diese Punkt dann in echtes Geld. Im Gegensatz zu den Muscheln unterliegen die Punkte jedoch heftigen Kursbewegungen.
Diese Schwankungen werden verursacht von einem Honorarsystem, das zumindest in Deutschland seinesgleichen sucht und mit einem marktwirtschaftlichen System wenig gemein hat. Die 16 Kassenärztlichen Vereinigungen handeln mit den Krankenkassenverbänden die Gesamtvergütung für ein Kalenderjahr aus. Im Jahr 2004 waren dies rund 23 Milliarden Euro. Dieses Geld wird über einen von den Kassenärztlichen Vereinigungen festgelegten Schlüssel an die Ärzte verteilt. Dazu wurden die ärztlichen Leistungen nach dem einheitlichen Bewertungsmaßstab (EBM) mit Punktwerten versehen. Diese Punktwerte können sich von Bundesland zu Bundesland unterscheiden.
Honorar durch Leistung
Unterscheiden können sich auch die Wechselkurse von Punkten in Cent zwischen verschiedenen Krankenkassen. Da das ärztliche Honorar zwischen Kassen und KVen vereinbart ist, steht der Wert, den ein Punkt hat, erst zum Jahresende endgültig fest. Er errechnet sich aus dem Quotient des Gesamthonorar, das ein Krankenkassenverband mit einer KV vereinbart hat, und der sich aus der Summe der erbrachten Leistungen ergebenden Punktzahl. Im vergangenen Jahr lag der Wert eines Punktes in vielen KV-Bezirken um oder knapp über 4 Cent. Mit ihrer Forderung nach einem festen Betrag von 5,11 Cent pro Punkt konnten sich die Kassenärzte bislang nicht durchsetzen. Allerdings macht sich nun auch Ministerin Ulla Schmidt für einen festen Betrag pro Punkt stark.
Dass der aktuelle Wert eines Punktes unter den von Ärzten gewünschten 5,11 Cent liegt, hat verschiedene Gründe. Neben der rigiden Sparpolitik der Krankenkassen trägt auch die Ausweitung der Leistungen dazu bei. Das aktuelle System belohnt die Ärzte finanziell, die die meisten Punkte aufschreiben. Gleichzeitig nehmen die Punktesammler den sparsamen Ärzten noch einen Anteil ihres Honorars weg. Hinzu kommt, dass jeder neue Arzt wiederum möglichst viele Punkte machen muss und damit den durchschnittlichen Punktwert weiter drückt. In einem solchen System kann sich kein Arzt Zurückhaltung beim Punktesammeln leisten. Wie bei jeder Inflation führt diese Mengenausweitung zwangsläufig zu einer Entwertung.
Angesichts der komplizierten Berechnung der Leistungsvergütung wundert es auch nicht, dass Angaben über die durchschnittlichen Einkommen der Kassenärzte stark voneinander abweichen. Zudem sind die Angaben stark abhängig von den Interessen der Quelle. So spricht die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) davon, dass rund ein Drittel der niedergelassenen Ärzte mit einem monatlichen Nettoeinkommen von 1600 bis 2000 Euro auskommen müssten. Die Jahreseinkünfte schwankten je nach Praxis zwischen 20.000 und 70.000 Euro.
Nach den Zahlen des Bundesgesundheitsministeriums (BMG) stellt sich die Lage ganz anders dar. Laut BMG erwirtschafteten die westdeutschen Ärzte im Jahr 2003 einen durchschnittlichen Praxisüberschuss von 84.976 Euro. Im Osten waren es 78.268 Euro. Dabei liegen die westdeutschen Internisten mit einem Praxisüberschuss von 137.016 Euro an der Spitze, das Schlusslicht markieren die ostdeutschen Hausärzte, die mit 62.892 nur knapp die Hälfte erwirtschaften. Die Zahlen des BMG errechnen sich aus den Einnahmen der Ärzte über die GKV sowie zwischen 16 und 33 Prozent Einnahmen durch Privatpatienten. Die BMG-Zahlen liegen damit deutlich über den OECD-Zahlen vom Dezember 2005, in denen deutschen Hausärzten ein Einkommen von rund 70.000 bescheinigt wird.
Überraschenderweise liegen die durchschnittlichen Einkünfte von Krankenhausärzten gar nicht so weit unter denen ihrer niedergelassenen Kollegen. Nach den Angaben des Statistischen Bundesamtes verdient ein Krankenhausarzt insgesamt durchschnittlich 66.000 Euro pro Jahr. Wobei die Spanne zwischen einem Assistenzarzt (55.000 Euro) und leitenden Ärzten (275.000 Euro) immens ist.
In jedem Fall sind die Zahlen nicht geeignet, größeres Mitleid bei den Deutschen auszulösen. Nach Angaben des BMG verdienten deutsche Arbeitnehmer 2004 im Durchschnitt 32.834 Euro und auch das durchschnittliche Akademikergehalt liegt unter dem eines Mediziners. Und auch die Zahl der Insolvenzen hält sich bei Ärzten und Zahnärzten trotz eines deutlichen Anstiegs in Grenzen. Rund 240 Praxen haben im vergangenen Jahr in Deutschland Insolvenz angemeldet. Dies berichtete die Wirtschaftsauskunftei Creditreform. Gegenüber 2004 ist dies zwar ein Anstieg um 54,8 Prozent. Bezogen auf jeweils 10.000 Praxen haben nach Creditreform-Angaben bundesweit lediglich 24 ihre Zahlungsunfähigkeit erklärt. Der Durchschnitt aller Unternehmen liegt bei 130 Insolvenzen pro 10.000 Betriebe.
Es wundert deshalb kaum, wenn viele Versicherte zwar Sympathie für den Kampf der Ärzte gegen die überbordende Bürokratie haben, gleichzeitig aber höhere Kassenbeiträge für eine Gehaltserhöhung der Weißkittel ablehnen. Nach einer Forsa-Umfrage im Auftrag der Techniker Krankenkasse (TK) würden 71 Prozent der 1003 Befragten keine Beitragserhöhung akzeptieren, um den protestierenden Ärzte ein höheres Einkommen zu finanzieren.