Die Intervention lohnt sich |
23.01.2006 12:15 Uhr |
<typohead type="3">Die Intervention lohnt sich
von Christiane Imhof und Thomas Haak, Bad Mergentheim
Hyperglykämie und Hypertonie zählen zu den gefährlichsten Feinden der Niere. Die glomeruläre Filtrationsleistung sinkt, die Albuminausscheidung steigt, systemische Erkrankungen treten auf. Die Nephropathie führt letztlich zur Niereninsuffizienz und zur Dialyse - eine schwere, aber durch Therapie vermeidbare Belastung für viele Typ-1- und Typ-2-Diabetiker.
Deutschland ist ein Land mit einer sehr hohen Prävalenz des Bluthochdrucks. In der Normalbevölkerung weisen 60 Prozent der Menschen ab 60 Jahren eine Hypertonie auf. Die Prävalenz des Typ-2-Diabetes liegt bei etwa 8 Prozent, dabei sind 80 bis 90 Prozent der Typ-2-Diabetiker zusätzlich Hypertoniker. Beide Krankheitsbilder begünstigen einen vorzeitigen Nierenfunktionsverlust mit und ohne Mikro- beziehungsweise Makroalbuminurie, sodass man heute von der diabetisch-hypertensiven Nephropathie spricht. Ein Drittel der Typ-1- und die Hälfte der Typ-2-Diabetiker entwickeln eine progrediente Nierenerkrankung.
Auf Grund der Häufigkeit beider Krankheitsbilder sind bis zu 10 Prozent der Bevölkerung chronisch niereninsuffizient (14). Die Niere, die zunächst durch Diabetes und/oder hohen Blutdruck geschädigt wird, steht zunächst in der »Opferrolle«, wird aber mit zunehmendem Funktionsverlust selbst zum »Täter«. Sie verursacht ihrerseits einen überaus schwer einstellbaren Hochdruck, der den Nierenfunktionsverlust vorantreibt und beschleunigt. Pathophysiologisch spielen die Permeabilitätssteigerung für Eiweiß sowie die zunehmende Kochsalz- und Wasserretention eine wichtige Rolle.
Das Allgemeinbefinden des Patienten ist in den Frühstadien der Nierenerkrankung nicht eingeschränkt. Später entwickelt er zunehmend Wassereinlagerungen, bevorzugt in den unteren Extremitäten, in fortgeschrittenen Fällen auch Lid- und Fingerödeme. Bis zu 5 kg Wassereinlagerung oder Gewichtszunahme durch Wasser sind äußerlich oft nicht sichtbar. Schon sehr früh kommt es zu einer fortschreitenden Atherosklerose der Gefäße des großen Körperkreislaufs mit dem Risiko von Herzinfarkt, peripheren Durchblutungsstörungen und Schlaganfällen.
Ein Drittel der Patienten verstirbt an kardiovaskulären Komplikationen vor Erreichen der Dialyse. Besonders hoch ist die Sterblichkeit an der Dialyse. Die 5-Jahres-Überlebensrate von dialysepflichtigen Typ-2-Diabetikern liegt lediglich bei 20 Prozent und ist somit ähnlich hoch wie bei einer prognostisch ungünstigen malignen Erkrankung.
In der Prävention spielt die Erkennung des Risikopatienten eine große Rolle. Zu den Prädiktoren für eine Nierenerkrankung zählen neben Hypertonie und schlecht eingestellten Blutzuckerwerten auch Rauchen, erhöhte Blutfettwerte, eiweißreiche Ernährung und familiäre Prädisposition (Angehörige unter 70 Jahren mit koronarer Herzkrankheit oder Dialysepflicht).
Rauchen erhöht den Blutdruck. Während des Rauchens der Zigarette steigt der Blutdruck um etwa 20 mmHg systolisch und 10 mmHg diastolisch an. Ab einem HbA1C-Wert über 8 Prozent erhöht sich das Risiko für Herz-, Gefäß-, Augen- und Nierenerkrankungen exponentiell. Insgesamt ist das Risiko für Diabetiker, die rauchen, gegenüber Nichtrauchern achtfach erhöht.
Die Prävention beinhaltet folgende Maßnahmen: Vermeiden einer fett- und eiweißreichen Kost, nicht rauchen, viel Bewegung, Normal- oder Idealgewicht anstreben, besser noch erreichen und halten. Die medikamentöse Prävention wirkt synergistisch zu diesen Allgemeinmaßnahmen.
Leider sind nur 10 Prozent der Hypertoniker normotensiv eingestellt, das heißt auf Werte unter 130/80 mmHg. Ein Drittel ist unbehandelt, ein weiteres Drittel nicht diagnostiziert. Bei den Diabetikern beträgt die Latenz bis zur Diagnose der Zuckerstoffwechselstörung im Mittel acht Jahre, die Hälfte hat bereits Folgeerkrankungen bei der Erstdiagnose.
Berechnung der Nierenfunktion
Kreatinin ist ein Abfallprodukt des Muskelstoffwechsels, sodass muskelkräftige Patienten höhere Serumkreatininwerte aufweisen als muskelschwache Menschen. Die Kreatininkonzentration im Serum gibt die Nierenfunktion nur ungenau wieder. Das Serumkreatinin steigt bei den meisten Patienten erst an, wenn bereits 50 Prozent der Nierenfunktion verloren sind. Bei älteren Menschen und Frauen mit geringer Muskelmasse sogar erst dann, wenn bereits eine schwere Niereninsuffizienz vorliegt. Sensitiver in der Früherkennung ist die Kreatinin-Clearance, die nach der verkürzten MDRD-Formel (Modification of Diet Renal Disease) und der Cockroft-Gault-Formel berechnet werden kann (9).
Die Cockroft-Gault-Formel enthält das Körpergewicht im Zähler, sodass bei stark übergewichtigen Patienten die Clearance falsch hoch berechnet wird. Bei untergewichtigen Menschen fällt sie dagegen falsch niedrig aus. Für normal und leicht übergewichtige Patienten sind die Werte allerdings sehr zuverlässig. Einfache Rechenschieber sind hierfür verfügbar.
Die MDRD-Formel berücksichtigt das Alter des Patienten und den Serumkreatininwert. Eindeutig pathologisch sind Werte unter 60 ml/min, eindeutig normal über 90 ml/min. Bei schwer eingeschränkter Nierenfunktion ist die MDRD-Formel der Cockroft-Gault-Formel überlegen. Eine GFR (nach MDRD) unter 50 ml/min zeigt ein deutlich erhöhtes kardiovaskuläres Risiko an und gilt als der Laborparameter, der eng mit einer eingeschränkten Lebenserwartung korreliert (16).
Auf Albuminurie achten
Bei allen Formen der Niereninsuffizienz mit Eiweißverlust ist eine einfache Urinuntersuchung auf Eiweiß, zum Beispiel mit Teststreifen, die Früherkennung der Wahl. Daneben haben die Albuminbestimmung im Urin und die Mikroelektrophorese ihren Platz. Geringe Eiweißverluste bis 30 mg/24 Stunden beziehungsweise bis 20 mg/l gelten als normal. Die Mikroalbuminurie ist definiert als Albuminausscheidung von 20 bis 200 mg/l oder 30 bis 300 mg/24 Stunden. Die herkömmlichen Urinteststreifen (»Stixe«) zeigen eine Mikroalbuminurie nicht an (15).
Die Fachgesellschaften empfehlen folgendes Vorgehen:
Durchführung eines einfachen Urintests zur Erkennung der Makroalbuminurie, definiert als Albuminurie größer 300 mg/24 Stunden oder über 200 mg/l (Beispiel: Combur-10 Test M®, Roche).
Bei negativem Testergebnis (keine Verfärbung des normalen Urinteststreifens) Bestimmung des Mikroalbumins im ersten oder zweiten Morgenurin (Beispiel: Micraltest®). Der Mikroalbumintest ist nicht sehr spezifisch und kann bei einem Harnwegsinfekt, während der Periodenblutung oder bei stark überhöhten HbA1C-Werten (über 10 Prozent) falsch positiv ausfallen.
Neuerdings stehen auch Teststreifen zur Verfügung, in denen Mikroalbumin und Kreatinin gleichzeitig aus dem Urin bestimmt werden (Beispiel Clinitek®, Bayer). Der Quotient von Albumin zu Kreatinin im Harn zeigt mit Werten unter 20 mg/g einen Normalbefund an, mit Werten über 20 mg/g einen pathologischen Befund. Der wesentliche Vorteil besteht in der Verwendung von Spontanurin.
Leider werden auch bei Menschen mit Typ-2-Diabetes Mikro- und Makroalbuminausscheidung oft nicht gemessen oder nicht beachtet. Dies ist umso gravierender, da das Zeitintervall von der Makroalbuminurie bis zur Dialyse im Durchschnitt unbehandelt nur acht Jahre beträgt. Das Fortschreiten der Nephropathie bei Typ-1-Diabetes mellitus stellt die Tabelle 1 dar.
Ungefährer Zeitverlauf (Jahre) | Befund | Nachweisverfahren |
---|---|---|
5-15 | Mikroalbuminurie (> 30 mg/24 h; > 20 mg/l) | Micral-Test II, Mikroelektrophorese |
10-20 | Makroalbuminurie (> 300 mg/24h; > 200 mg/l) | Urinstix, Biuret-Analyse |
15-30 | Verlust glomerulärer Filtrationsleistung | Serumkreatinin, Clearance-Formeln |
Trotz der hohen Hypertonie- und Diabetesprävalenz in der Bevölkerung ist der Mikroalbumintest im Check-up der Krankenkassen nicht enthalten (15). Die Fachgesellschaften weisen zu Recht darauf hin, dass die diabetische Nephropathie der Retinopathie vorausgehen oder auch alleine auftreten kann. Neuere Untersuchungen zeigen sogar, dass bereits bei hoch normaler basaler Albuminausscheidung im Urin (20 bis 30 mg/Tag) sowohl bei Diabetikern als auch bei Nichtdiabetikern das renale und kardiovaskuläre Risiko steigt (12).
Gerade die unterschiedlichen Prädialyse-Zeiten von durchschnittlich 35 Jahren in der früh diagnostizierten und behandelten Gruppe gegenüber 15 Jahren bei nicht diagnostizierten, spät oder gar nicht therapierten Diabetikern belegen, wie wichtig die Früherkennung für den Patienten und seine Überlebenserwartung ist. Die Benefit-Studie (12) zur Bedeutung eines Nephrologie-Screenings für Interventionsbeginn und Therapieerfolg zeigte, dass 41 Prozent der Patienten mit schwerer Niereninsuffizienz dem Nephrologen erst dialysepflichtig mit hoher Übersterblichkeit zugewiesen wurden. Auch in den USA kennt die Hälfte der Patienten mit fortgeschrittener Nierenerkrankung ihre Diagnose nicht.
Die Stadien der diabetischen Nephropathie (Neu-Klassifikation) zeigt Tabelle 2. Im klinischen Alltag hat sich die beschreibende Stadieneinteilung mit Angabe der GFR (MDRD) und der Albuminurie pro 24 h durchgesetzt.
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* Diabetologische Klassifikation (5); in Klammern Internationale nephrologische Klassifikation (1)
Gezielt gegen die Hypertonie
Die Therapie der diabetisch-hypertensiven Nephropathie zielt auf eine möglichst gute Einstellung von Blutzucker und Blutdruck sowie Normalisierung der Blutfette ab (Tabelle 3). Raucher werden doppelt so schnell dialysepflichtig wie Nichtraucher, sodass die Nikotinkarenz in jedem Stadium der Niereninsuffizienz sinnvoll ist.
Parameter | Zielwerte |
---|---|
Blutdruckwerte (bei positiver Familienanamnese und Diabetes) |
unter 130/80 mmHg |
HbA1C | unter 6,5 Prozent |
Triglyzeride | unter 150 mg |
Gesamtcholesterol | unter 200 mg |
Der wichtigste Progressionsfaktor ist die arterielle Hypertonie. Multiple Metaanalysen zeigen ein exponentiell ansteigendes Risiko für die Dialyse und eine Vorverlegung des Dialysezeitpunkts in Abhängigkeit vom Blutdruck. Die nationalen und internationalen Fachgesellschaften stimmen darin überein, dass bei einer Proteinurie über 1 g/24 Stunden Zielblutdruckwerte unter 125/70 mmHg anzustreben sind. Bei Diabetikern sollten zur Prävention von Folgeerkrankungen generell Blutdruckwerte unter 130/80 mmHg erzielt werden, bei jungen Typ-1-Diabetikern sind Werte unter 120/70 mmHg anzustreben (5).
Basismaßnahmen haben dabei einen überaus großen Stellenwert. So konnte gezeigt werden, dass die normale mitteleuropäische Kost mit Wurst- und Käsebroten durch die hohe Salzzufuhr von etwa 10 g pro Tag die Wirkung der Blutdruckmedikamente, speziell der ACE-Hemmer, komplett aufhebt. Da 95 Prozent der proteinurischen Diabetiker salzsensibel sind (22), wird ihnen folgende Ernährungsumstellung empfohlen:
keine Fertiggerichte,
Bevorzugung von Müsli, Marmeladenbrot oder -brötchen, Quark mit Tomate, Gurke, Radieschen als Belag anstelle von Wurst und Käse,
natriumarmes Mineralwasser,
kein Salz ins Kochwasser, gezieltes sparsames Zusalzen bei Tisch erlaubt,
kein exzessives Trinken, nicht mehr als drei Liter pro Tag (7).
Die medikamentöse Therapie des Hochdrucks umfasst:
hohe Dosen von ACE-Hemmern,
Diuretika, oft sind lang wirksame Schleifendiuretika erforderlich,
lang wirksame Calciumantagonisten,
lang wirksame Betablocker,
Kombination mit AT1-Blockern bei Proteinurie über 500 mg, falls keine Hyperkaliämie vorliegt, oder statt ACE-Hemmern bei Reizhusten in hoher Dosierung,
gegebenenfalls zentral wirksame Antihypertensiva wie Moxonidin, eventuell
α1-Blocker (Vorsicht: Orthostaseprobleme).
Nur bei etwa der Hälfte der Patienten, vor allem bei den Ideal- und Normalgewichtigen bis leicht Übergewichtigen, werden die Zielblutdruckwerte erreicht. Eine Problemgruppe sind stark übergewichtige Patienten, bei denen oft Maximaldosen notwendig und dennoch nur Werte zwischen 140 bis 160 mmHg erreichbar sind. Aber auch diese Patienten profitieren durch eine Reduktion kardiovaskulärer Ereignisse und einen etwas günstigeren Verlauf ihrer Niereninsuffizienz.
Trotz des erwiesenen Nutzens der Blutdruckeinstellung kommt es in der Praxis immer wieder zu Fehlern. So werden Diuretika vom Arzt unzureichend (Furosemid nur einmal am Tag) oder unterdosiert verordnet und bewirken keine ausreichende Ödemausschwemmung. Häufig bekommen die Patienten auch blutdrucksteigernde Medikamente wie nicht steroidale Antirheumatika, Cortison oder überdosiertes Erythropoetin. Ein häufiger Fehler ist die ungenügende Kombination der Antihypertensiva. Die Patienten ihrerseits gefährden den Therapieerfolg durch schlechte Compliance, Gewichtszunahme, kochsalzreiche Kost oder zu hohe Trinkmenge.
Schlecht therapierbar ist die Gruppe der schwer Nierenkranken mit einer GFR unter 30 ml/min. Überwässerung mit hypertensiven Krisen (Risiko: Lungenödem) sowie ein Apoplex sollten ebenso vermieden werden wie eine zu starke Dehydratation. Wichtig ist auch, bei schwer Nierenkranken die Trinkmenge auf etwa 1,5 Liter täglich zu begrenzen, um gefährliche Überwässerungszustände zu vermeiden. Die volkstümliche Meinung, bei Nierenerkrankung sei eine hohe Trinkmenge sinnvoll, konnte durch Tierstudien und klinische Beobachtung nicht bestätigt werden. Die Progression wird dadurch nicht verzögert, sondern eher beschleunigt (7).
Blutdruckwerte zwischen 130 und 150 mmHg systolisch und 70 bis 90 mmHg diastolisch sind bei den schwerkranken Menschen akzeptabel. Ihr Wohlbefinden und die Vorbereitung auf die Dialyse stehen im Vordergrund.
Progressionsfaktor Proteinurie
Durch Schädigung der glomerulären Membranen wird das nachfolgende Tubulussystem mit großen Proteinmengen überflutet. Die Proteine führen zu einer Zerstörung des Tubulussystems und zunehmender Narbenbildung im Interstitium mit der Folge des rapiden Untergangs des Restparenchyms (4). Je größer die Eiweißzufuhr durch die Nahrung ist, umso ausgeprägter ist der Eiweißverlust und umso schneller verläuft der Nierenfunktionsverlust (10).
Grundpfeiler der Therapie ist daher die eiweißnormalisierte Kost mit 0,8 bis 1 g/kg Normalgewicht/Tag (3). Diese Kost entspricht der salzarmen Ernährung. Der Patient muss Wurst und Käse sowie Milchprodukte meiden; erlaubt sind etwa 100 Gramm Frischfleisch pro Tag. Pflanzliches Eiweiß sollte insgesamt bevorzugt werden.
Durch ACE-Hemmer und AT1-Blocker sowie durch Blutdrucksenkung wird die Proteinurie besonders in den Frühstadien deutlich gesenkt. Ziel ist eine renale Ausscheidung von maximal 500 mg pro Tag. Durch einfache Urintests, bei denen das Eiweiß semiquantitativ gemessen wird, lässt sich der Rückgang eindrucksvoll dokumentieren.
Progressionsfaktor Diabetes
Eine schlechte Blutzuckereinstellung fördert die Permeabilitätssteigerung der Basalmembranen der Gefäßschlingen und die »Verzuckerung« von Eiweißstrukturen. Daher stellt eine Hyperglykämie einen weiteren Progressionsfaktor dar. Jüngere Patienten sollten HbA1C-Werte unter 6,5 Prozent erzielen, für ältere Patienten gelten Werte unter 7 Prozent als Ziele.
Bei der Auswahl der oralen Antidiabetika für Patienten mit nachlassender Nierenfunktion sind einige Besonderheiten zu beachten.
Biguanide, die die Insulinresistenz herabsetzen, sind ab einer GFR unter 60 ml/min, also ab dem Stadium der mittelgradig eingeschränkten Nierenfunktion kontraindiziert.
Sulfonylharnstoffe können Hypoglykämien gerade auch bei älteren Patienten verursachen. Gliquidon wird nur zu 5 Prozent renal eliminiert, verursacht seltener Hypoglykämien und ist als einziges Sulfonylharnstoffderivat auch bei schweren Nierenfunktionsstörungen (GFR unter 30 ml/min) zugelassen.
Glitazone wie Pioglitazon und Rosiglitazon verbessern die Insulinresistenz. Weiterhin werden günstige Effekte auf die Albuminurie und Gefäßfunktion beschrieben. Problematisch ist die Neigung zur Flüssigkeitsretention, sodass eine engmaschige Gewichtskontrolle und eine gute Überwachung des Patienten erforderlich sind. Für Pioglitazon ist die Studienlage günstig. Für Rosiglitazon wird wegen fehlender Studien von Seiten der Deutschen Gesellschaft für Diabetologie keine Therapieempfehlung ausgesprochen (5).
Die Glinide wie Repaglinid und Nateglinid bewirken wie die Sulfonylharnstoffe eine endogene Insulinausschüttung und sollten im Bereich der mittelgradigen Niereninsuffizienz dosisreduziert eingesetzt werden (Nateglinid: bei fehlenden Studien keine Empfehlung; 5). Die schwere Niereninsuffizienz gilt als Kontraindikation, ebenso der gleichzeitige Einsatz von Fibraten, da insbesondere die Plasmaspiegel von Gemfibrozil erhöht werden und das Rhabdomyolyserisiko steigt (13).
Insulin bei schwer Nierenkranken
Besonders beim insulinempfindlichen Typ-1-Diabetiker sinkt der Insulinbedarf ab dem Stadium der mittelgradig eingeschränkten Niereninsuffizienz. Die Wirkdauer und Wirkintensität des subkutan applizierten Insulins nehmen bei verzögerter renaler Elimination zu. Damit steigt das Risiko für Hypoglykämien. In der Praxis ist vor allem die schwere Niereninsuffizienz gefährlich, bei der steigende Harnstoffwerte Übelkeit, Erbrechen, Appetitlosigkeit und verringerte Nahrungsaufnahme auslösen. Die Hypoglykämien können bis zu Bewusstlosigkeit und Krämpfen führen. Typ-1-Diabetiker mit schwerer Niereninsuffizienz, die sich durch Bagatellinfektionen der oberen Atemwege, Harnwegsinfektionen und Brechdurchfall akut verschlechtern, sind intensiv zu überwachen. Die Dialyse sollte bei diesen Patienten nicht zu spät begonnen werden.
Beim dialysepflichtigen Typ-1-Diabetiker stellt die Dialyse, ähnlich wie ein Ausdauersport, eine große Kreislaufbelastung dar. Daher ist in der Regel eine Dosisreduktion um etwa 30 bis 50 Prozent vor der vier- bis fünfstündigen Dialysezeit erforderlich. Bei der Peritonealdialyse liegen 1,36- bis 3,86-prozentige Glucoselösungen im Dialysat vor. Die erhöhte Glucoseresorption (etwa 70 Prozent der Gesamtglucose) macht eine Steigerung der Insulindosis erforderlich.
Statine bei Hyperlipidämie
Nach Metaanalysen zeigen Statine positive Effekte auf Inflammation und fibrotische Prozesse und haben in den Frühformen der diabetisch-hypertensiven Nephropathie einen festen Stellenwert. Bei Dialysepatienten hat allerdings die 4D-Studie (1255 Patienten, 20 mg Atorvastatin gegen Placebo) keine Reduktion der Letalität, der Herzinfarkte und Apoplexrate gezeigt, obwohl das LDL-Cholesterol von 121 auf 72 mg/dl gesenkt werden konnte (18). Die Behandlung dieser schwerstkranken Patienten mit hoher Sterblichkeit erfolgte offensichtlich zu spät.
Korrektur der Anämie
In der Niere wird das Hormon Erythropoetin gebildet, das im Knochenmark die Erythropoese stimuliert. Ab dem Stadium der mittelgradigen Niereninsuffizienz entwickeln viele Patienten eine zunehmende Anämie. Häufig liegt auch ein Eisenmangel vor, wobei über gastrale Erosionen chronisch okkult Blut verloren geht und die Anämie weiter verstärkt wird. Ab Hämoglobin(Hb)-Werten unter 11 g/dl nimmt die Belastbarkeit der Patienten ab, die Wandstärke der Herzwände und die kardiale Ereignisrate nehmen zu. Die Substitution mit rekombinantem Erythropoetin ist bei Hb-Werten unter 11,0 g/dl indiziert (6). Häufig muss auch Eisen substituiert werden. Dabei sind Zielferritin-Werte von 200 bis 500 µg/dl anzustreben.
Calciumphosphat reduzieren
Ab dem Stadium der mittelgradig eingeschränkten Nierenfunktion kommt es häufig und im Stadium der schwer eingeschränkten Nierenfunktion sowie bei Dialysepatienten regelmäßig zu einem Anstieg von Serumphosphat und später des Calciumphosphat-Produkts. In fortgeschrittenen Stadien erleiden die Patienten Frakturen, Sehnenabrisse und Knochenschmerzen und verlieren an Körpergröße (8). Während früher allein der Knochenstoffwechsel im Vordergrund des medizinischen Interesses stand, finden heute die Calciumphosphat-Ablagerungen im Lumen der Gefäße und in der Media, die die kardiovaskuläre Letalität erhöhen, mehr Beachtung.
Therapeutisch wichtig ist die phosphatarme Diät, bei der Käse und Milchprodukte gemieden werden. Zur Phosphatbindung im Darm wird bei noch normalem oder niedrigem Calcium in Serum Calciumacetat zu jeder Mahlzeit eingesetzt, häufig in Kombination mit aktiviertem Vitamin D. Die Therapie muss vom Nephrologen überwacht werden, da Hypercalcämien auftreten können. Bei hypercalcämischen Patienten wird Sevelamer, ein nicht resorbierbares Polymer, als Phosphatbinder eingesetzt (1). Alternativ kann Cinacalcet, ein neues Calcimimetikum, verwendet werden. Die ersten Veröffentlichungen zeigen überaus günstige Effekte auf alle Parameter des Calciumphosphat-Stoffwechsels, Langzeitstudien stehen aber noch aus (8).
Resümee
Die Niereninsuffizienz ist ein Krankheitsbild, bei dem die Früherkennung besonders wichtig ist. Alle Maßnahmen zur Progressionshemmung sind in den Frühstadien der Niereninsuffizienz viel wirksamer als bei spät diagnostizierten und/oder spät behandelten Patienten. Therapeutische Ziele sind vor allem die Blutdrucksenkung mit Zielwerten unter 130/80 mmHg, bei großem Eiweißverlust unter 125/70 mmHg, die negative Salz- und Wasserbilanz, die hoch dosierte Gabe von ACE-Hemmern und/oder AT1-Blockern, die Drosselung des Proteinverlusts durch alle diese Maßnahmen und eine salz- und eiweißarme Kost.
Die Apotheker sind ausdrücklich aufgerufen, durch Bestimmung von Mikroalbumin im Urin, Blutdruckkontrollen, Bestimmung von Lipiden, Blutfarbstoffen und Serumkreatinin mittels Laborkleingeräten die Versorgung dieser Patienten in Zusammenarbeit mit Haus- und Fachärzten zu verbessern. Auch die Hinterlegung der MDRD-Formel durch entsprechende Softwareprogramme und die dadurch verbesserte Früherkennung eines Nierenfunktionsverlusts mit und ohne Proteinurie hat für den Patienten therapeutische und prognostische Bedeutung.
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Christiane Imhof studierte Medizin an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster, wurde 1984 promoviert und ist seitdem klinisch tätig. Sie ist Fachärztin für Anästhesie und Innere Medizin sowie Diabetologin (DDG). Von 1998 bis Mitte 2000 arbeitete Dr. Imhof in einer kardiologisch-angiologischen Praxis, bevor sie als Oberärztin an das Diabetes-Zentrum Mergentheim in die kardiologisch-angiologische Diagnostik am Farbdoppler wechselte. Ihre Hauptaufgaben sind die Betreuung von Patienten mit schwer einstellbarer Hypertonie, die Risikostratifizierung asymptomatischer Menschen sowie die kardiologische und angiologische Diagnostik und Therapie symptomatischer Patienten.
Thomas Jürgen Haak studierte Humanmedizin in Mainz und Frankfurt am Main und erhielt 1994 die Anerkennung als Facharzt für Innere Medizin, 1996 die Schwerpunktbezeichnung Endokrinologie und Diabetologie. Nach der Habilitation für Innere Medizin arbeitete er bis 2000 als Oberarzt des Diabetes-Schulungszentrums Frankfurt und wechselte dann als Chefarzt an die Diabetes-Klinik in Mergentheim. 2001 wurde Haak zum Professor für Innere Medizin an der Universität Frankfurt ernannt. Er ist Vorsitzender der Diabetes-Akademie Mergentheim sowie Mitglied mehrerer Fachgesellschaften. Seine wissenschaftlichen Schwerpunkte sind die klinische Grundlagenforschung in der Endokrinologie und bei Stoffwechselstörungen, Mikrozirkulation sowie die Lebensqualität bei chronischen Erkrankungen.
Anschrift der Verfasser:
Dr. Christiane Imhof und Professor Dr. Thomas Haak
Diabetes-Zentrum Mergentheim
97980 Bad Mergentheim
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