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Dank Trockenstress zum Hautpflegemittel

Datum 24.01.2006  15:04 Uhr

Kristall-Mittagsblume

<typohead type="3">Dank Trockenstress zum Hautpflegemittel

von Kristian Wende*, Greifswald

 

Die Kristall-Mittagsblume hat ihren Stoffwechsel perfekt an intensive Sonneneinstrahlung, Trockenheit und Salzstress angepasst. In der Regel wird sie nur als Salatpflanze angebaut. Möglicherweise steckt in ihr zudem pharmazeutisches Potenzial. Erste positive Erfahrungen bei Neurodermitis liegen bereits vor.

 

*) unter Mitarbeit von Rebecca Stolle und Ulrike Lindequist, Institut für Pharmazie der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald, sowie Marie-Annett Grünewald und Ulrich Meyer, WALA Heilmittel GmbH, Bad Boll/Eckwälden

 

Die Kristall-Mittagsblume (Mesembryanthemum crystallinum L.) wuchs ursprünglich nur in Südafrika (von Willert et al., 1985). Erst im 18. Jahrhundert wurde sie nach Europa und Amerika eingeschleppt. Seit dem 19. Jahrhundert wird die Pflanze auch auf den Kanarischen Inseln angebaut, um aus ihrer Asche Soda zu gewinnen. Daher auch ihr volkstümlicher Name »Sodapflanze«.

 

Der Gattungsname Mesembryanthemum stammt aus dem Griechischen: mesembria bedeutet Tagesmitte und anthemum Blüte. Die meisten Pflanzen dieser Gattung öffnen ihre Blüten nur bei extremer Sonneneinstrahlung in der Mitte des Tages. M. crystallinum gehört zur Familie der Aizoaceae (Mittagsblumengewächse). Zur Ordnung Caryophyllales zählend, wird die Familie in vier Unterfamilien aufgeteilt, von denen zwei auf die Mesembryanthemum-Gruppe entfallen (Mesembryanthemoideae und Ruschioideae). Einige Autoren fassen die beiden auch als eigene Familie (Mesembryanthemaceae) zusammen (Rowley, 1982). Neue Daten zu den molekularen Verwandtschaftsverhältnissen bestätigen aber die Zuordnung zur Familie der Aizoaceae. Auf Grund des Aufbaus der Frucht und anderer morphologischer Parameter wird die Familie heute in 136 Gattungen mit circa 2000 Arten aufgespalten.

 

Stark verzweigt und am Boden liegend, bedeckt die Pflanze eine Fläche von oft mehr als einem halben Quadratmeter. Die sukkulenten Blätter sind fleischig, spatelförmig bis oval und werden 2 bis 10 cm lang. Die radiär gebaute Blüte besteht aus zahlreichen weißen bis rötlichen Kronblättern, welche die kleineren Kelchblätter überragen. Der unterständige Fruchtknoten wird von den weiß-roten Staubblättern eingeschlossen. Die Pflanze bildet sehr kleine, glänzend schwarze Samen in einer gefächerten Kapsel (Schönfelder & Schönfelder, 1994).

 

Blätter, Stängel und Blüten sind mit auffälligen Blasenzellen übersät. Diese kugelförmigen, flüssigkeitsgefüllten Drüsenhaare sehen wie Eiskristalle oder gefrorener Tau aus. Im Volksmund wird die Pflanze daher auch Eiskraut genannt. Die Blätter färben sich bei intensiver Beleuchtung durch die Einlagerung von Betacyanen rot (Ibdah, 2002).

 

Überlebenskünstler

 

Viele Merkmale der Pflanze sind das Ergebnis der Anpassung an ein außerordentlich trockenes und heißes Klima (Xeromorphie) und salzhaltige Böden, wie sie in Küstennähe vorliegen (Tabelle1).

Tabelle 1: Stressfaktoren und entsprechende Schutzmechanismen von M. crystallinum L.

Stressfaktoren Morphologische Anpassung Physiologische Anpassung
osmotischer Stress (Wassermangel, Salzbelastung) Epidermis mit endständigen Blasenzellen, die in Vakuolen osmotisch aktive Substanzen einlagern können Akkumulation osmotisch aktiver Substanzen, z.B. NaCl, Mg2+, Prolin und Zuckeralkohole
hohe Lichtintensität, hohe UV-Belastung Blattsukkulenz CAM; Biosynthese UV-absorbierender Flavonoide und Betacyane

Lange Perioden extremer Sonneneinstrahlung und Dürre können so überlebt werden. M. crystallinum hat sich an die extreme Sonneneinstrahlung und den dadurch verursachten Stress mit ihrem Stoffwechsel angepasst. So kann sie unter Wassermangel vom normalen C3- zum CAM-Metabolismus umschalten (CAM = Crassulacean Acid Metabolism) (von Willert, 1979). In der Nacht nimmt die Mittagsblume Kohlendioxid auf und fixiert dieses durch die Carboxylierung von Phosphoenolpyruvat zu Oxalacetat, das schließlich zu Malat reduziert wird. Die C4-Dicarbonsäuren werden in den Vakuolen der Pflanze gespeichert. Am Tag, nach der Bereitstellung von Energie in Form von ATP und NADH über die Lichtreaktion der Photosynthese, wird das Kohlendioxid wieder freigesetzt und in den Calvin-Zyklus zum Aufbau von Triosephosphaten eingeschleust. Aus diesen werden schließlich Reservekohlenhydrate und Sauerstoff gebildet. Auf Grund der zeitlichen Trennung von C4-Dicarbonsäureweg und Calvin-Zyklus können die Spaltöffnungen am Tag geschlossen bleiben. Damit wird der Wasserverlust im Vergleich zu C3-Pflanzen um 90 Prozent gesenkt (Osmond & Holtun, 1981).

 

Natürliche Feuchthaltefaktoren

 

Durch Speicherung von osmotisch aktiven Substanzen, wie Fruchtsäuren, Prolin, Zuckeralkoholen und mineralischen Bestandteilen, unter anderem stark wasserbindenden Magnesiumionen, in den Vakuolen der Blasenzellen, kann die Mittagsblume geringste Wassermengen aus der Luft fixieren. Die Wasseraufnahme aus dem Boden spielt dagegen eine geringere Rolle. Der vergleichsweise hohe Prolingehalt ist für Halophyten charakteristisch, da die Prolin-Biosynthese durch Salz- oder Trockenstress induziert wird (Stewart & Lee, 1974). Auch die Bildung osmotisch aktiver Zuckeralkohole ist durch Salzstress bedingt (Ishitani et al., 1996). Auf Grund ihrer hohen osmotischen Aktivität beeinflussen diese Substanzen den Wasserhaushalt der Pflanze positiv und erhöhen den Zellturgor. Selbst nach der Ernte bleiben die Pflanzen noch über Wochen feucht. Durch ihre Fähigkeit, mit geringsten Wassermengen auszukommen, übt die Mittagsblume auf andere Pflanzen einen hohen Konkurrenzdruck aus. Zudem wird das im Jahresverlauf gespeicherte Salz beim Absterben der Pflanze wieder freigesetzt. Die daraus resultierende lokale Versalzung des Bodens ermöglicht ein schnelles Auskeimen der eigenen Samen. Das Wachstum von Konkurrenten wird dadurch aber verhindert.

 

Für Pflanzenphysiologen und Molekularbiologen ist M. cristallinum ein Paradebeispiel im Umgang mit Licht-, Salz- und Wasserstress. Wirken diese abiotischen Stressfaktoren auf die Mittagsblume ein, reagiert sie mit äußerst komplexen Veränderungen: Eine Signaltransduktionskette wird aktiviert, die zur Expression zahlreicher stressrelevanter Gene führt (Scheel, 1998). Diese codieren für unterschiedliche Proteine (Proteinkinasen, Hitzeschockproteine, Enzyme), die sehr schnell gebildet werden. Die Biosynthese von Hitzeschockproteinen erfolgt zum Beispiel in weniger als zehn Minuten (Vierling, 1991). Das induziert die Umschaltung des Metabolismus von C3 auf CAM und die verstärkte Abwehr von oxidativem Stress. Die Stressfaktoren führen zudem zur Bildung der als Lichtschutzfilter dienenden Flavonoide und Betacyane.

 

Inhaltsstoffe

 

Anstelle von Anthocyanen enthält Mesembryanthemum Betalaine zur Blütenpigmentierung (Kimler et al., 1970). Zur Analyse der Inhaltsstoffe eignen sich wässrig-ethanolische Extrakte aus der frischen beziehungsweise getrockneten Pflanze. Da die Mittagsblume einen hohen Anteil hydrophiler polarer Substanzen enthält, erhöht sich die Ausbeute mit steigendem Wasseranteil des Extraktionsmittels (Stolle, 2004).

 

Im Vergleich zu anderen Pflanzen enthält die Pflanze sehr hohe Mengen an Mineralsalzen, vor allem Natrium- und Magnesiumsalze (Stolle, 2004). Angesichts des schon beschriebenen Prinzips der Wasseraufnahme verwundert dies nicht. Überschüssiges Salz wird in die Vakuolen der Blasenzellen sezerniert und dient dort der Fixierung von Luftfeuchtigkeit. Tabelle 2 gibt eine Übersicht über die enthaltenen Inhaltsstoffe.

Tabelle 2: Inhaltsstoffe von M. crystallinum

Substanzklasse Primär- und Sekundärstoffe Quelle
Fruchtsäuren Zitronensäure, Fumarsäure, Äpfelsäure, Oxalsäure, Bernsteinsäure, Weinsäure, Ascorbinsäure Stolle (2004)
Flavonoide Mesembryanthin Ibdah (2002)
Betacyane Betanin, Betanin-Feruloylderivate, Betanidin-5-O-di- und -triglucoside Ibdah (2002)
Aminosäuren L-Glycin, L-Leucin, L-Isoleucin, L-Phenylalanin, L-Serin, L-Tyrosin, L-Arginin, L-Threonin, Hydroxy-L-Prolin, L-Prolin Stolle (2004)
Mono- und Disaccharide Glucose, Fructose, Galactose, Glucuronsäure, Rhamnose, Saccharose Stolle (2004)
Polysaccharide methylierte Rhamnogalacturonane M’Sakni (2005)
Zuckeralkohole Myo-Inositol, Ononitol, Pinitol Stolle (2004)

Therapeutische Bedeutung

 

Äußerlich angewendete Auszüge der Mittagsblume wirken pflegend und beruhigend auf die Haut. Sie lindern Juckreiz, Schmerz, Schwellung und Rötung. Am Gemeinschaftskrankenhaus Herdecke werden Neurodermitiker seit einigen Jahren erfolgreich mit einer Mittagsblumencreme in der Basispflege behandelt (Marscheke 1998).

 

Die Creme soll die Hautfeuchtigkeit erhöhen und die Haut glätten. Vergleicht man die Inhaltsstoffe der Mittagsblume mit der wasserlöslichen Fraktion der niedermolekularen natürlichen Feuchthaltefaktoren der Haut (»natural moisturizing factors«; Pascher et al., 1957; Jacobi, 1959; Pugh, 1976), lassen sich Parallelen finden, welche die feuchtigkeitsspendende Wirkung der Mittagsblumenextrakte erklären könnte. Eine Gegenüberstellung zeigt Tabelle 3.

Tabelle 3: Vergleich osmotisch aktiver Substanzen in M. crystallinum mit Bestandteilen der „natural moisturizing factors“

Osmotisch aktive Substanzen in M. crystallinum „natural moisturizing factors“ bestehen u.a. aus
Prolin und Hydroxyprolin Pyrrolidoncarbonsäure
diverse Aminosäuren Aminosäuren
Fruchtsäuren Harnstoff
Mono- und Disaccharide, Polysaccharide Glykoproteinen
Zuckeralkohole

Die in der Pflanze in vergleichsweise großen Mengen vorkommenden Aminosäuren Prolin und Hydroxyprolin sind direkte Vorstufen der Pyrrolidoncarbonsäure. Diese sind auch Bestandteil der »natural moisturizing factors« der Haut. Durch Dehydrierung kann aus Hydroxyprolin die Pyrrolidoncarbonsäure gebildet werden. Zudem tragen methylierte Polysaccharide (Gelbildner) zu einer gesteigerten Wasserbindung in den oberen Hautschichten bei.

 

Zubereitungen aus M. crystallinum scheinen somit einen positiven Einfluss auf die Barrierefunktion der Haut auszuüben und erhöhen die Hautfeuchtigkeit. Aus diesem Grund werden die Extrakte auch in Sonnenschutzpräparaten eingesetzt, die neben dem Lichtschutz die Haut vor dem Austrocknen schützen sollen.

 

Unbedenklichkeit

 

Analysen von wässrig-alkoholischen Extrakten aus M. crystallinum ergaben mittels Dünnschichtchromatographie und Gaschromatographie/Massenspektrometrie keinen Hinweis auf Alkaloide (Müller, 2005). In Gewächshäusern gemäßigter Breiten wird M. crystallinum als Gemüse gezüchtet. Die Blätter der Pflanze schmecken salzig und werden als Salat oder zubereitet wie Spinat gegessen (Vogel, 1995). Der Gehalt an Oxalsäure, der von einigen Mesembryanthemum-Arten beschrieben ist (Teuscher & Lindequist, 1994), könnte nur bei übermäßigem Verzehr gesundheitsschädlich sein. Die in einigen Ländern als aggressiver Neophyt geschmähte Pflanze könnte daher über den Einsatz bei Neurodermitis hinaus weiteres Potenzial als Heilpflanze besitzen.

Literatur

... bei den Verfassern

 

Anschrift für die Verfasser:

Professor Dr. Ulrike Lindequist

Institut für Pharmazie der Ernst-Moritz-Arndt-Universität

17487 Greifswald

lindequi@uni-greifswald.de

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