Anleitung zur Verwirklichung eines Traums |
23.01.2006 16:56 Uhr |
<typohead type="3">Anleitung zur Verwirklichung eines Traums
von Kathrin Schersch, München
Die meisten Studenten verbringen ihr Praktisches Jahr komplett in der Apotheke, fast alle bleiben in Deutschland. Es geht aber auch anders.
Ich habe die zweite Hälfte meines Praktischen Jahres bei Bayer HealthCare in Peking verbracht. Für mich war schon lange klar, dass ich die Hälfte des Praktischen Jahres unbedingt im Ausland verbringen wollte. Da ich die sechs Monate in Deutschland auf jeden Fall in einer Apotheke arbeiten würde, wollte ich im Ausland die Industrie kennen lernen. Ganz leicht fiel mir die Entscheidung nicht. Ich hätte es auch sehr interessant gefunden, den Apotheken-Alltag in einem anderen Land kennen zu lernen. Das halbe Jahr in China gehört zu meinen schönsten Erfahrungen. Ich habe nicht nur sehr viel über dieses interessante Volk und seine Kultur gelernt, sondern auch eine Menge über mich selbst.
Lange Vorbereitung
Schon relativ früh, bereits nach dem ersten Staatsexamen, habe ich begonnen, mich über ein Praktikum im Ausland zu informieren. Natürlich ist eine so lange Vorlaufzeit nicht unbedingt nötig, aber sie bietet die Gelegenheit, sich ohne Zeitdruck über alle Optionen zu informieren, deren Vor- und Nachteile gegeneinander abzuwägen. Das Wichtigste ist aber, sich darüber klar zu werden, was man selbst möchte. Wer damit früh beginnt, hat auch noch genug Zeit, gegebenenfalls alles bisher geplante umzustoßen und einen anderen Weg einzuschlagen.
Eine gute erste Anlaufstelle, um etwas über die Praktikums-Möglichkeiten in einem Land herauszufinden, sind kulturelle Vertretungen der Länder in Deutschland, wie das Amerika-Haus oder das Institut Culturel Francais. Auch das Akademische Auslandsamt der Universität und der DAAD oder Organisationen wie IASTE bieten Informationen an.
Leider konnten mir diese Organisationen nicht viel weiterhelfen, denn Pharmazeuten fallen nicht wirklich unter eines der angebotenen Programme. Das liegt auch daran, dass sie zum Zeitpunkt des Praktikums meist nicht mehr immatrikuliert sind, auf der anderen Seite aber auch noch kein abgeschlossenes Studium haben. Dennoch ist das ein guter Einstieg, um ein bisschen mehr über das Land und ein mögliches Praktikum zu erfahren. Am meisten Erfolg verspricht aber der direkte Kontakt mit den Firmen, Universitäten oder Apotheken im gewünschten Land.
Da für mich klar war, dass ich in die Industrie wollte, begann ich also im Internet zu recherchieren, welche Firma wo vertreten ist und welche Arbeitsgebiete mich interessieren würden. Dann wollte ich mich telefonisch bei den deutschen Dependancen der Unternehmen über Auslandspraktika informieren. Doch hier wurde die Sache kompliziert. In der Regel konnten die deutschen Standorte keine Praktikanten an ausländische Standorte vermitteln.
Sinnvoller ist es, sich direkt im Ausland zu informieren, entweder per E-Mail oder noch besser telefonisch. Telefonisch ist deshalb ein Vorteil, weil ausländische Unternehmen, Apotheken oder Universitäten mit dem Begriff Pharmaziepraktikum oft wenig anfangen können. Mails werden deshalb erst gar nicht beantwortet. Am Telefon kann man jedoch persönlich erklären, was man möchte und vor allem auch die eigene Qualifikation herausstellen. Im internationalen Vergleich ist das Pharmaziestudium in Deutschland nämlich praxisorientiert, deutsche Praktikanten können deshalb im Unternehmen vielseitiger und selbstständiger eingesetzt werden. Außerdem kann man im persönlichen Gespräch Anregungen für denkbare Projekte im Praktikum geben. Ich habe auch die Erfahrung gemacht, dass Mitarbeiter am gewünschten Praktikumsort viel aufgeschlossener sind und die Organisation dort wesentlich unbürokratischer ist.
Eine Frage, über die man ebenfalls in Ruhe nachdenken sollte, ist die nach dem richtigen Zeitpunkt des Praktikums. Ich habe das Auslandshalbjahr in die zweite Hälfte des PJs gelegt. Ich wollte einen Puffer haben, sollte ich das zweite Staatsexamen doch nicht auf Anhieb bestehen. Der Nachteil dieser Variante ist sicherlich, dass man nach einem halben Jahr auf einem ganz anderen Gebiet ein wenig aus dem Apotheken-Alltag raus ist und das Lernen fürs dritte Staatsexamen dementsprechend schwerer fällt. Ich habe mich deshalb dafür entschieden, das dritte Staatsexamen um drei Monate zu verschieben und nach meiner Rückkehr noch zwei Monate in einer Apotheke zu arbeiten. Auch im Nachhinein war diese Entscheidung sicherlich richtig.
Hat man einen Praktikumsplatz gefunden, sollte man sich zusätzlich über die Möglichkeiten eines Stipendiums informieren. Das ausländische Unternehmen zahlt häufig kein oder nur wenig Gehalt. Organisationen wie der DAAD und das Akademische Auslandsamt können weiterhelfen.
Außerdem lohnt es sich auch, bei Stiftungen anzufragen, die sich auf spezielle Länder oder Projekte konzentrieren, zum Beispiel die Fullbright-Stiftung. Eine gute Auflistung findet sich in den Studienführern des DAAD, die im Buchhandel erhältlich sind. Die Bayerische Apotheker-Stiftung bietet Studenten bayerischer Universitäten einen Fahrtkostenzuschuss.
Mein Praktikum bei der Bayer HealthCare Ltd. In Peking war sehr abwechslungsreich und nicht nur in fachlicher Hinsicht spannend. Am ersten Arbeitstag stand ich ziemlich aufgeregt um sieben Uhr an der Bushaltestelle und wartete auf einen der drei Shuttle-Busse, die die Mitarbeiter jeden Tag auf einer der großen Ringstrassen einsammeln und in die Beijing Development Area, einer Art Gewerbegebiet, am südlichen Stadtrand von Peking bringen. Von meinem Apartment in der Nähe des Zentrums immerhin fast 35 km entfernt und aufgrund des dichten Verkehrs jeden Morgen eine Stunde mehr Stop and Go als Fahrt.
Sprachschwierigkeiten
Ich war als Praktikant in der Produktion eingestellt. Doch bevor ich mit meinem eigenen Projekt startete, bekam ich in den Anfangswochen erst einmal einen Überblick über die ganze Firma vermittelt. Ich bekam viele Arbeitsanweisungen (Standard operating procedures, SOPs) zu lesen und die Mitarbeiter in den einzelnen Bereichen nahmen sich viel Zeit, die einzelnen SOPs mit mir durchzusprechen, Das war nicht nur fachlich interessant, sondern auch kulturell sehr spannend. Außerdem hatten wir einige sprachliche Hürden zu meistern. Deutsch sprach außer der deutschen Geschäftsführung nur ein einziger Mitarbeiter, Dr. Song. Auch mit Englisch kam ich längst nicht überall durch. Viele der Mitarbeiter sprechen nur wenig oder gar kein Englisch und mein Chinesisch reichte zu einer fachlichen Konversation dieser Art noch nicht aus. Doch auch allein mit Zeichensprache kommt man erstaunlich weit.
Eines meiner Projekte in der Produktion bestand darin, eine Datenbank zu erstellen, mit deren Hilfe Produktionsdaten erfasst und ausgewertet werden können. Deshalb fragte ich die Mitarbeiter, die später mit diesem Programm arbeiten würden, was sie sich von der Datenbank erhofften und was genau sie damit machen wollten. Das war am Anfang nicht nur wegen der Sprachschwierigkeiten gar nicht so einfach. Die Kommunikation und Arbeitsauffassung von Chinesen und Deutschen unterscheidet sich erheblich. Für Chinesen ist es schlimm, von jemandem einen Fehler ins Gesicht gesagt zu bekommen. Umgekehrt sind sie es gewohnt, ihrem Gegenüber nur Positives zu sagen. Zum Beispiel sagt ein Chinese einem Ausländer, der etwas Chinesisch spricht, dass sein Chinesisch umwerfend ist, auch wenn der nur »danke« und »Guten Tag« sagen kann. Es braucht deshalb viel Einfühlungsvermögen, eine ehrliche Antwort zu bekommen.
Neben den umfangreichen fachlichen Einblicken, die ich dabei im Produktionsstandort eines international tätigen Pharma-Konzerns gewinnen konnte, war es für mich besonders wertvoll, die Menschen und ihre so völlig andere Kultur kennen zu lernen.
Arbeit im Mittelpunkt
In einer Zeit, in der in Deutschland die Stimmung in Betrieben eher verhalten bis gedrückt war, sprühten die Mitarbeiter in China nahezu vor Energie und Willen zum Erfolg. Die Chinesen haben eine völlig andere Einstellung zu ihrer Arbeit als die Europäer. Während bei uns die Arbeit von vielen eher als notwendiges Übel angesehen wird und die Freizeit den Wert des Lebens ausmacht, ist sie in China der Mittelpunkt des Lebens. Am Abend wird nicht mehr allzu viel unternommen, um am nächsten Tag ausgeruht für die Arbeit zu sein. Sehr viele Chinesen lernen am Abend Englisch oder besuchen Kurse, um den Anforderungen des Berufs gerecht zu werden.
Besonders beeindruckend zeigte sich diese Einstellung, als eine wichtige Inspektion anstand. Da die Vorbereitungen noch nicht ganz abgeschlossen waren, wurde kurzfristig angeordnet, dass auch am Sonntag gearbeitet werden würde. Alle Mitarbeiter haben dies sofort verstanden und unterstützt.
Mein Aufenthalt in China wird mir immer als eine sehr intensive und bereichernde Zeit in Erinnerung bleiben. Mit dieser kleinen Anleitung zur Verwirklichung eines Traums möchte ich jedem Mut machen, das Gleiche zu versuchen.