Auf Selbstdiagnosen ist kein Verlass |
Der Eindruck des permanenten Versagens oder Nicht-Hineinpassens im Berufs- und Privatleben kann Betroffene quälen. Zwangsläufig sei solches Scheitern aber nicht, betont Reif. Vor allem Menschen mit hohem Intellekt oder guter Anpassungsfähigkeit seien oft in der Lage, für sich eine passende Nische zu finden. Denn Männer und Frauen mit ADHS denken oft besonders schnell und kreativ, haben viel Schwung, handeln fix und gelten als witzig, emphatisch und hilfsbereit. Vielleicht sind also nicht zufällig viele Künstlerinnen und Künstler unter den Promis, die sich mit ADHS outen.
Die psychische Erkrankung verläuft auch nicht gleichmäßig über die gesamte Lebensspanne hinweg. Die Belastung schwankt, mal geht es besser, mal schlechter – vor allem, wenn große Aufgaben anstehen wie ein Examen oder die eigene Familiengründung. »Wo man hohe Leistung braucht, wird es schwierig«, berichtet Psychiater Reif.
Er kennt aus seiner Erfahrung als Arzt erschütternde Lebensgeschichten von ADHS-Patientinnen und Patienten, aber auch Wendungen zum Besseren. »Da ging es immer wieder ums Scheitern, da blieben Menschen deutlich hinter ihren Möglichkeiten zurück – und dann ließen sich Lebensverläufe drehen«, berichtet er.
Seit 2011 sind ADHS-Medikamente für Erwachsene in Deutschland zugelassen. Im Dezember bestätigte eine Meta-Analyse im Fachjournal »The Lancet Psychiatry«, dass die Stimulanzien Amphetamin sowie Methylphenidat und die Arznei Atomoxetin die Kernsymptome bei Erwachsenen meist schnell verringern können. Eine Psychotherapie allein hilft demnach weniger gut, zusammen mit Medikamenten könne sie aber psychische Begleitprobleme eindämmen.
Ein Problem: Die Wartelisten für eine Diagnose bei Fachärzten sind lang, es kann viele Monate dauern bis zu einem Termin. Fachleute wissen auch, was bei ADHS nicht hilft: Berge von Ratgeberliteratur, Orga-Apps und gut gemeinte Tipps wie Wecker stellen, Notizzettel aufhängen und To-do-Listen schreiben. »Es ist kein Nicht-Wollen, es ist ein Nicht-Können«, bilanziert Facharzt Reif. Es ist das Grunddilemma vieler psychischer Erkrankungen.
Menschen mit ADHS fokussieren sich stärker, wenn Aufgaben vier Schlüsselkriterien erfüllen, die ICNU. Was das heißt:
Im Alltag muss und kann man da ein wenig tricksen. Geschirr abspülen ist weder neu noch interessant - allenfalls dringlich (gleich kommt Besuch!). Aber man kann es interessanter machen, indem man etwa dabei einen Podcast hört.
Für viele ADHS-Betroffene ist es außerdem hilfreich und motivierend, sich nach dem Prinzip »Erst die Arbeit, dann das Vergnügen« zu belohnen. Auch Routinen können helfen. Zudem sollte man sich kleine, realistische Ziele setzen.