»Auch das Card-Link-Verfahren ist nicht 100-prozentig sicher« |
Kim Nguyen, Senior Vice President Innovations bei der Bundesdruckerei, referierte beim DAV-Wirtschaftsforum 2024 über das Thema »Digitalisierung und Evolution sicherer Identitäten«. / Foto: ABDA/André Wagenzik
Seit 22. März liegt die Spezifikation für das Card-Link-Verfahren vor. Das Bundesgesundheitsministerium (BMG) hatte den vierten Weg für das Einlösen von E-Rezepten mit seiner Mehrheit in der Gematik durchgesetzt. Versender wie DocMorris haben bereits die Zulassung dafür erhalten. Das Card-Link-Verfahren sei ein »heißes Thema«, kommentierte IT-Experte Nguyen beim DAV-Wirtschaftsforum. »Man wird schauen müssen, wie es sich bewährt.« Es werde ein begleitendes Risikomanagement nötig sein. »Allerdings ist nichts 100-prozentig sicher«, schränkte Nguyen ein. Der Mathematiker und Physiker leitet seit Januar dieses Jahres den Bereich Innovations bei der Bundesdruckerei.
Beim DAV-Wirtschaftskongress referierte Nguyen über das Thema »Digitalisierung und Evolution sicherer Identitäten«. Dabei machte er deutlich, dass Digitalisierung nicht ohne sichere, vertrauenswürdige digitale Identitäten denkbar sei. Im Gesundheitswesen spielten diese bei der Registrierung für die elektronische Patientenakte (EPA) und bei der Identifizierung für den elektronischen Heilberufsausweis eine Rolle.
Seit 2010 biete die Bundesdruckerei den Online-Personalausweis an. Mittlerweile sei bereits bei über 86 Prozent der Personalausweise die Onlinefunktion aktiviert. Im vergangenen Jahr sei die Zahl der Anwendungsfälle auf etwa 16 Millionen hochgeschnellt. Doch was die Akzeptanz und Nutzung angehe, gebe es noch Luft nach oben. »2010 haben wir gedacht, dass das neue System die Welt revolutionieren wird«, sagte Nguyen. Seitdem tue sich Deutschland aber mit der Umsetzung der Digitalisierung schwer. »Nun müssen wir dafür sorgen, dass das System der sicheren, vertrauenswürdigen digitalen Identitäten auch genutzt wird«, betonte er.
Nguyen informierte auch über die Pläne und den Stand der Digitalisierung auf europäischer Ebene. So plant die EU-Kommission laut der »eIDAS 2.0«-Verordnung, in den nächsten drei bis vier Jahren einen digitalen Identitätsraum mit einem hohen Vertrauensniveau in Europa zu schaffen. Die Verordnung enthalte konkrete Verpflichtungen und Fristen. Die europäische digitale Identität soll dann in einer digitalen Brieftasche, einem sogenannten Wallet, enthalten sein. In diesen Wallets sollen nicht nur die digitale Identität eines Menschen gespeichert werden können, sondern auch bestimmte Attribute, etwa Doktortitel, Funktionen oder Aufgaben. Dies werde künftig immer wichtiger werden. Darüber hinaus sollen die Nutzerinnen und Nutzer die Möglichkeit erhalten, mit der »Brieftasche« qualifiziert zu signieren. »Das ist ein Meilenstein«, so Nguyen.
Der Experte ging auch auf die Telematikinfrastruktur 2.0 ein. Ziel sei es, die Hardware abzuschaffen. »Man will das Thema digitale Identität weiterführen. Die Karte wird aus dem System entfernt, der Zugriff soll über Apps erfolgen«, erläuterte Nguyen. Dabei sollen Zero-Trust-Sicherheitssysteme greifen, bei denen sich jedes Gerät einzeln beweisen müsse. Das System solle sicher sein und eine flexiblere Handhabung ermöglichen. »Es soll schnell kommen«, machte er deutlich. Die Gesundheits-ID für Versicherte gebe es bereits. Mitte 2024 soll die Spezifikation für digitale Identitäten für Leistungserbringer vorliegen, Ende 2025 sollen diese verfügbar sein. Ab 2026 müsse eine Angleichung mit der europäischen »Brieftaschen«-Lösung erfolgen.
Nguyen gab auch einen Ausblick auf den Zeitplan bei der Einführung der virtuellen Heilberufsausweise. Mit der E-Rezept-Pflicht sei der Einsatz kartenbasierter Identitäten bereits gestartet. Von 2025 bis 2028 sei ein Parallelbetrieb kartenbasierter und digitaler Identitäten geplant, sowie ein sukzessiver Umbau zur TI 2.0. Ab dem Jahr 2029 und später solle eine Harmonisierung mit dem europäischen digitalen Brieftaschen-Konzept erfolgen.
Einen kurzen Überblick gab der Experte zudem über die derzeitigen Anwendungen der TI. Dazu gehörten derzeit die EPA, das E-Rezept, KIM (Kommunikation im Medizinwesen) sowie der elektronische Medikationsplan.
»Technisch ist schon ganz viel möglich«, resümierte Nguyen. Dass die Digitalisierung in Deutschland eher schleppend vorankomme, habe eher gesellschaftliche Gründe. Es gebe große Vorbehalte und keine einheitliche Sicht auf das Thema. »Nötig ist ein gesellschaftlicher Diskurs«, betonte er. Dabei müsse auch geklärt werden, welche Anwendungen für wen Pflicht sein sollen.
Das Papier-Rezept ist ein Auslaufmodell. Mit dem E-Rezept sollen alle Arzneimittel-Verordnungen über die Telematikinfrastruktur abgewickelt werden. Wir berichten über alle Entwicklungen bei der Einführung des E-Rezeptes. Eine Übersicht über unsere Berichterstattung finden Sie auf der Themenseite E-Rezept.