ASS besser abends einnehmen? |
ASS am morgen eingenommen, könnte zu einer unzureichenden Thrombozytenaggregation führen. Ob dies allerdings in mehr kardiovaskulären Ereignissen mündet, ist nicht belegt. Der Fokus sollte daher nicht auf der Uhrzeit der Einnahme, sondern auf der Adhärenz liegen. / Foto: Adobe Stock/deagreez
Acetylsalicylsäure (ASS) ist Teil der Standardtherapie bei instabiler Angina pectoris und nach akutem Myokardinfarkt. Zudem ist sie zugelassen zur Reinfarktprophylaxe, nach arteriellen gefäßchirurgischen oder interventionellen Eingriffen sowie zur Vorbeugung von transitorischen ischämischen Attacken und Hirninfarkten, nachdem Vorläuferstadien aufgetreten sind. Zur Reinfarktprophylaxe wird eine Dosis von 300 mg, für alle anderen Indikationen eine Tagesdosis von 100 mg ASS pro Tag empfohlen. Eine konkrete Empfehlung zum Tageszeitpunkt der Einnahme gibt es derzeit in den Fachinformationen nicht. Es wird lediglich darauf hingewiesen, dass die magensaftresistenten ASS-Formulierungen möglichst mindestens 30 Minuten vor der Mahlzeit beziehungsweise ASS-Tabletten ohne magensaftresistenten Überzug möglichst nach der Mahlzeit mit reichlich Flüssigkeit wie einem Glas Wasser eingenommen werden sollen.
ASS hat durch Acetylierung der Cyclooxygenase eine irreversible thrombozytenaggregationshemmende Wirkung. Dadurch wird die Bildung des Prostaglandins Thromboxan A2 in den Thrombozyten gehemmt, das ansonsten die Thrombozytenaggregation fördert und vasokonstringierend wirkt. Der Effekt hält gewöhnlich für die gesamte achttägige Lebensdauer eines Thrombozyten an. Nach oraler Gabe wird ASS schnell resorbiert. Maximale Plasmaspiegel werden nach 10 bis 20 Minuten erreicht. Die Eliminationshalbwertszeit beträgt nur wenige Minuten.
Das Risiko für das Auftreten kardiovaskulärer Ereignisse wie Schlaganfall, Herzinfarkt, ventrikuläre Arrhythmien und plötzlicher Herzstillstand ist am Morgen (6:00 Uhr bis 12:00 Uhr) höher als im Verlauf des restlichen Tages. Eine Ursache dafür könnte eine unzureichende Thrombozytenaggregation zu diesem Zeitpunkt sein. Pro Tag werden 10 bis 15 Prozent der Thrombozyten neu gebildet. Die Freisetzung erfolgt nach einem circadianen Rhythmus, vor allem in der späten Nacht und am frühen Morgen. Studien haben gezeigt, dass 95 Prozent der COX-1 aller Thrombozyten inhibiert sein müssen, um eine wirksame Reduktion der Thrombozytenaggregation zu erreichen. Wenn ASS am Morgen eingenommen wird, liegen zu diesem Zeitpunkt etwa 10 Prozent nicht gehemmte Thrombozyten vor. Dies wäre demnach in den frühen Morgenstunden zu wenig, um einen ausreichenden Effekt zu erzielen.
Cross-Over-Studien an gesunden Erwachsenen konnten zeigen, dass die Einnahme von ASS um 20:00 beziehungsweise 23:00 Uhr zu einer höheren Hemmung der Plättchenaggregation am Morgen führt als die Einnahme um 8:00 Uhr. Die gemessene Plättchenaktivität war bei abendlicher Einnahme am Morgen nur etwa halb so hoch wie bei morgendlicher Einnahme. Es gibt bisher allerdings keine Studien zum Einfluss auf die Häufigkeit von kardiovaskulären Ereignissen und Nebenwirkungen. Damit bleibt derzeit unklar, ob die Einnahme von ASS 100 mg am Abend tatsächlich einen klinisch relevanten Nutzen für Patienten hat.
Aus diesem Grund erscheint eine pauschale Empfehlung an Patienten, im Rahmen des Medikationsmanagements ASS 100 mg am Abend einzunehmen, momentan nicht ratsam. Der Fokus der pharmazeutischen Prüfung sollte vor allem auf der Therapietreue des Patienten liegen. Dem Patienten sollte vermittelt werden, dass die regelmäßige Einnahme von ASS 100 mg bei gegebener Indikation wichtig ist. Gemeinsam sollte besprochen werden, zu welchem Zeitpunkt dies am besten realisiert werden kann und eine individuelle Festlegung erfolgen. Verordnet der behandelnde Arzt ASS 100 mg explizit am Abend und die Umsetzung ist durch den Patienten beschwerdefrei möglich, spricht nichts gegen dieses Vorgehen. Erhält der Patient ohnehin Medikamente, die abends eingenommen werden, kann ASS 100 mg dem abendlichen Einnahmezeitpunkt zugeordnet werden.
Acetylsalicylsäure 100 mg muss einmal täglich eingenommen werden. Ob die Einnahme am Abend einen höheren Nutzen hinsichtlich kardiovaskulärer Ereignisse hat als am Morgen, ist bisher nicht ausreichend untersucht. Der Einnahmezeitpunkt sollte daher vor allem so festgelegt werden, dass der Patient eine möglichst hohe Adhärenz hat.
Literatur bei den Verfasserinnen
Die Apothekerinnen Dr. Lisa Goltz und Dr. Jane Schröder sind beim Arzneimittelberatungsdienst der Klinik-Apotheke am Universitätsklinikum an der TU Dresden tätig. Dort unterstützen sie an der Arzneimittelinitiative Sachsen-Thüringen teilnehmende sächsische Ärzte und Apotheker bei fachlichen Fragen. Die Beratung wird von der Sächsischen Landesapothekerkammer, der Kassenärztlichen Vereinigung Sachsen und der AOK PLUS finanziert.