| Kerstin A. Gräfe |
| 31.05.2024 17:00 Uhr |
Welche Arzneistoffe stehen kurz vor der Zulassung? Einen Überblick gab Professor Dr. Manfred Schubert-Zsilavecz beim Pharmacon in Meran. / Foto: PZ/Alois Müller
Der pharmazeutische Chemiker von der Goethe-Universität in Frankfurt am Main rechnet als Alternative zu den sogenannten Abnehmspritzen zeitnah mit der Zulassung von nicht peptidischen GLP-1-Agonisten. Ein »Front-Runner« in diesem Zusammenhang sei der orale Wirkstoffkandidat Orforglipron des Unternehmens Eli Lilly. Dabei handele es sich um ein GLP-1-Analogon in Form eines small Molecules. Schubert-Zsilavecz stellte die Daten einer Phase-II-Studie vor, in der Orforglipron in einer mittleren Dosierung bei 75 Prozent der Patienten einen Gewichtsverlust um mindestens 10 Prozent nach 36 Wochen bewirkte. »Die orale Variante eines Inkretinmimetikums scheint demnach womöglich nicht so wirksam wie die subkutane zu sein«, kommentierte der Apotheker. Head-to-Head Studien gebe es aber keine.
Ein weiterer vielversprechender Kandidat komme aus Deutschland: Survodutid der Firma Boehringer Ingelheim ist ein dualer Agonist an Glucagon- und GLP-1-Rezeptoren und muss subkutan appliziert werden. Neben den Indikationen Diabetes und Adipositas sei Survodutid auch bei metabolischer Fettlebererkrankung (MASH) in einer späten Phase der klinischen Prüfung. Diese Erkrankung war bis vor Kurzem noch als nicht alkoholische Steatohepatitis (NASH) bekannt. In den USA habe der Wirkstoffkandidat nach vielversprechenden, aber noch nicht publizierten Daten einer Phase-II-Studie den Fast-Track-Status erhalten.
Mittlerweile gebe es auch Triple-Agonisten in der Entwicklung. Ein solcher Kandidat sei das peptidische Retatrutid, das die Rezeptoren für GLP-1, GIP und Glucagon stimuliert. Der Wirkstoffkandidat werde in den Indikationen Diabetes, Adipositas und MASH geprüft. »Retatrudid imponiert mit sehr guten und hochrangig publizierten Daten bei Adipositas«, sagte Schubert-Zsilavecz. Er stellte die Daten einer Phase-II-Studie vor, in der die Patienten unter 12 mg Retatrutid einen Gewichtsverlust von etwa 24 Prozent erreichten. Die Nebenwirkungen entsprächen denen von bereits zugelassenen GLP-1-Rezeptoragonisten.
Aber auch abseits der Inkretine gibt es spannende neue Entwicklungen. In den USA wurde kürzlich mit dem Wirkstoff Resmetirom (Rezdiffra™) erstmals eine Pharmakotherapie zur Behandlung der MASH zugelassen. Dabei handelt es sich um einen oralen, hepatoselektiven Thyroidhormon-Rezeptor-(THR-)β-Agonisten. »Der MASH liegt sozusagen eine hepatische Schilddrüsenunterfunktion in der Leber zugrunde,« erklärte Schubert-Zsilavecz. Dafür gebe es mehrere Gründe, unter anderem eine gestörte THRβ-Funktion in der Leber und eine verminderte β-Oxidation von Fettsäuren.
Was kann die Substanz klinisch? »In einer Dosierung von 80 beziehungsweise 100 mg ist Resmetirom in der Lage, bei 30 Prozent der Patienten die MASH aufzulösen oder die Fibrosierung zu verhindern«, so der Referent. Bei Weitem nicht alle Patienten sprächen jedoch darauf an und potenzielle Differenzen mit der Schilddrüse im Allgemeinen müssten im Blick behalten werden.
»Still und heimlich« sei in den USA ein weiterer Arzneistoff zugelassen worden: Colchicin könne in Übersee neben Gicht und Perikarditis nun auch zur Prävention atherosklerotischer Herz-Kreislauf-Erkrankungen (ASCVD) eingesetzt werden. Er firmiere unter dem Handelsnamen Lodoco®: Low Dose Colchicine. Der Naturstoff ist neben seiner antimitotischen und inflammatorischen Wirkung in der Lage, die Bildung und Aktivierung des Multiprotein-Komplexes Inflammasom NLRP3 zu blockieren. Dieses gilt als zentrale Schaltstelle für zahlreiche autoinflammatorische Prozesse.
»Die Daten der Zulassungsstudie sind sensationell«, sagte Schubert-Zsilavecz. 0,5 mg Colchicin konnten als Add-on zur jeweiligen Standardtherapie das relative Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse um 31 Prozent senken.