Arzneimittelrisiken richtig melden – so geht’s |
Berichtet ein Patient in der Apotheke über Nebenwirkungen oder wird ein Qualitätsmangel vermutet, sollte die Apotheke dies der AMK melden. / Foto: Getty Images/bluecinema
Die Meldung von Verdachtsfällen von unerwünschten Arzneimittelwirkungen (UAW) sowie zu Qualitätsmängeln bilden die wichtigste Basis, um Risiken in der praktischen Arzneimitteltherapie aufzudecken und hieraus Maßnahmen zum Schutz der Patienten abzuleiten. Mit der Berufsordnung der jeweiligen Landesapothekerkammer sind Apothekerinnen und Apotheker verpflichtet, ihnen bekannt gewordene Arzneimittelrisiken an die AMK zu melden.
Die Arzneimittelkommission der Deutschen Apotheker (AMK) ist der Fachausschuss der ABDA – Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände im Bereich der Pharmakovigilanz.
Die Pharmakovigilanz umfasst Prozesse der Erkennung und Bewertung von Arzneimittelrisiken sowie Maßnahmen zur Risikominimierung und Risikokommunikation. Aufgabe der Pharmakovigilanz ist es somit, die Sicherheit der Therapie mit Arzneimitteln zu überwachen und damit kontinuierlich Problemen bei ihrer Anwendung vorzubeugen oder abzuhelfen (Arzneimittel- und Arzneimitteltherapiesicherheit (AMTS)).
Tragende Säule eines funktionierenden Pharmakovigilanzsystems ist die Gewährleistung eines nationalen Spontanberichtswesens mit der Bereitstellung von Berichtsformularen, um zum Beispiel auftretende unerwünschte Arzneimittelwirkungen (UAW, Nebenwirkungen) an die zuständigen Stellen zu melden.
Die AMK-Geschäftsstelle fungiert hierbei als bundesweites Pharmakovigilanz-Zentrum der Apothekerschaft und sammelt und bewertet die ihr gemeldeten Arzneimittelrisiken. Als stufenplanbeteiligte Institution (§ 63 Arzneimittelgesetz, AMG) informiert die AMK darüber hinaus Apothekerinnen und Apotheker regelmäßig und zeitnah über (neu) auftretende Arzneimittelrisiken sowie über Maßnahmen zur Risikoabwehr.
Der Begriff Arzneimittelrisiken ist nach dem Arzneimittelgesetz (AMG) (§§ 62, 63) sowie der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift nach § 63 AMG (sogenannter Stufenplan) definiert und umfasst jene Aspekte, die die Sicherheit und Unbedenklichkeit einer Arzneimitteltherapie beeinträchtigen können:
Im Jahr 2010 wurde zudem die europäische Pharmakovigilanz-Richtlinie 2001/83/EG geändert und die Definition für UAW erweitert. Diese umfasst nun jede Reaktion auf ein Arzneimittel, die unbeabsichtigt und schädlich ist, sodass auch UAW erfasst werden, die durch Medikationsfehler entstanden sind. Unter einem Medikationsfehler versteht man ein (unbeabsichtigtes) Abweichen vom optimalen Medikationsprozess, was zu einer grundsätzlich vermeidbaren Schädigung des Patienten führen kann.
Berichte über unerwünschte Arzneimittelwirkungen (UAW) an die AMK sollten möglichst umfassende Informationen zur Art des Risikos enthalten. Für einen gültigen UAW-Bericht genügen aber zunächst folgende Angaben (sogenannte Minimalkriterien):
Neben diesen Minimalkriterien sind weitere Angaben vorteilhaft, vor allem solche, die für das verdächtigte Arzneimittel als Auslöser der UAW sprechen. Hierzu sollte der (möglichst genaue) zeitliche Zusammenhang zwischen Anwendung des Arzneimittels und dem Auftreten des unerwünschten Ereignisses so konkret wie möglich dokumentiert werden. Die Entscheidung einer Kausalität muss jedoch nicht vom Meldenden getroffen werden. Grundsätzlich genügt die Vermutung, dass das Arzneimittel wahrscheinlich im kausalen Zusammenhang steht, also ein UAW-Verdachtsfall vorliegt.
Da die Symptome und Anzeichen einer UAW durch Grunderkrankungen sowie Begleit- und Dauermedikation (Interaktion) mitbedingt sein könnten, sollten auch diesbezüglich Angaben gemacht werden. Bei weiterem Klärungsbedarf kontaktiert die AMK die meldende Apotheke. Daher ist es wichtig, die Kontaktdaten des Patienten für weitere Rückfragen intern zu dokumentieren.
Grundsätzlich gilt, dass jede UAW gemeldet werden sollte, wenn hierdurch Patientinnen und Patienten vor Schäden bewahrt werden können oder die Behandlung verbessert werden kann. Dabei können UAW hinsichtlich ihres Schweregrades unterteilt (und priorisiert) werden. Bei dieser Beurteilung sollte auch die subjektive Sicht des Patienten bezüglich der körperlichen und psychischen Belastung berücksichtigt werden, die wichtige Hinweise zur tatsächlichen Beeinträchtigung der Lebensqualität geben kann.
Eine UAW gilt rechtlich gesehen als schwerwiegend, wenn sie
Als medizinisch bedeutsam werden all jene Reaktionen auf Arzneimittel angesehen, die ohne eine medizinische Intervention zu den anderen genannten Folgen hätten führen können.
Neben schwerwiegenden UAW sind ferner folgende Sachverhalte in der Pharmakovigilanz von besonderem Interesse:
Arzneimittel die unter zusätzlicher, noch strengerer Überwachung stehen, werden seit 2013 in allen EU-Mitgliedstaaten mit einem auf der Spitze stehenden schwarzen Dreieck gekennzeichnet. Dieses ist sowohl in der Packungsbeilage als auch in der Fachinformation abgedruckt, nicht aber auf der äußeren Umhüllung oder dem Arzneimittel-Etikett abgebildet.
Die Kennzeichnung erfolgt dann, wenn zu einem Arzneimittel weniger Informationen zur Verfügung stehen als zu anderen. Beispielsweise, wenn das Arzneimittel neu auf dem Markt ist, oder nur unzureichende Daten zu seiner Langzeitanwendung vorliegen. Es bedeutet jedoch nicht, dass das Arzneimittel nicht sicher ist.
Qualitätsmängel sind beispielweise Mängel an dem Packmittel, der Kennzeichnung sowie der Fach- und Gebrauchsinformation des betreffenden Arzneimittels. Aber auch nicht auslösende Devices (zum Beispiel bei Inhalativa) oder galenische Mängel können mit einer beeinträchtigten Qualität zusammenhängen. Die Meldung von Qualitätsmängeln kann zu risikominimierenden Maßnahmen beitragen, zum Beispiel Korrekturmaßnahmen seitens der pharmazeutischen Unternehmers oder die Initiierung von (Chargen-)Rückrufen.
Vor einer Meldung an die AMK sollte das Beanstandungsmuster zum Beispiel anhand der Fach- und/oder Gebrauchsinformation und der Befragung des Patienten einer fachlichen Überprüfung unterzogen werden. Denn im Vordergrund steht die Frage, ob der Mangel vom Hersteller verursacht sein könnte. Wird ein herstellerseitig verursachter Mangel vermutet, dann ist dieser nach § 21 Apothekenbetriebsordnung auch meldepflichtig gegenüber der Überwachungsbehörde der Apotheke.
Um Qualitätsmängel besser beurteilen zu können, kann es nützlich sein, das betroffene Arzneimittel an die AMK einzusenden oder eine Bilddokumentation zu übermitteln. Dabei muss das Muster geeignet sein, eine weitere Untersuchung des bemängelten Zustandes zuzulassen und gegebenenfalls einen Qualitätsmangel nachzuweisen. Die AMK bietet auf ihrer Website (www.arzneimittelkommission.de) Hinweise und Antworten auf häufig gestellte Fragen zu Einsendungen. Bei Eignung des Musters und begründetem Verdacht auf einen Qualitätsmangel kann die AMK eine unabhängige Untersuchung im Zentrallaboratorium Deutscher Apotheker (ZL) veranlassen.
Es wird davon ausgegangen, dass maximal nur etwa 5 Prozent der auftretenden UAW tatsächlich berichtet werden (DOI: 10.2165/00002018-200629050-00003). Untersuchungen weisen zudem darauf hin, dass das Meldeverhalten positiv selektiert werden kann und beispielsweise schwerwiegende UAW häufiger berichtet werden als nicht schwerwiegende. Die Gründe für die geringe Melderate sind vielschichtig. Auf Seiten des Meldenden können folgende Gründe als relevante Meldebarrieren gelten:
Die AMK verzeichnete mit Beginn der SARS-CoV-2-Pandemie im Jahr 2020 einen dramatischen Melderückgang, der weiterhin anhält. Auch die Anzahl meldender Apotheken ging kontinuierlich zurück. Dies lässt vermuten, dass die Belastung der Pandemie das bestehende Problem des Underreporting im Spontanberichtswesen verschärft hat. Daher bemüht sich die AMK, mögliche Meldehemmnisse zu identifizieren und zu minimieren. Hierzu gehört unter anderem, den Nutzen des Meldens von Arzneimittelrisiken zu bewerben und durch Angebote (Meldeformulare) ein unkompliziertes Berichten zu vereinfachen.
Die AMK ist das einzige deutsche Pharmakovigilanz-Zentrum, das neben dem international üblichen Berichtsformular für UAW einen zusätzlichen Meldebogen für Qualitätsmängel bereitstellt. Dabei gilt es zu beachten, dass das UAW-Formular grundsätzlich für alle Ereignisse/Ursachen geeignet ist, die bei einem Patienten zu einer UAW beigetragen haben. Diese können zum Beispiel aufgrund von Qualitätsmängeln, Medikationsfehlern, Minderwirkungen, Interaktionen, Überdosierungen, beruflicher Exposition mit einem Arzneimittel/Wirkstoff, Off-Label-Use, Fehlgebrauch, Missbrauch und Abhängigkeit, Fälschungen et cetera entstehen.
Sollte also ein Qualitätsmangel ursächlich für eine UAW beim Patienten vermutet werden, ist die Nutzung eines UAW-Formulars zweckdienlich, da nur hier bedeutsame Informationen wie die Dosierung, der Anwendungsgrund, das Patientenalter und -geschlecht sowie konkrete zeitliche Zusammenhänge und Angaben zur Kausalität für fundierte Analysen dokumentiert werden können. Patienten sollten daher stets nach beobachteten medizinischen Folgen des vermuteten Qualitätsmangels befragt werden. Die Auswahl des geeigneten Meldeformulars ergibt sich dann anhand der gesammelten Informationen.
Wird hingegen der Bogen für Qualitätsmängel (QM) verwendet, fehlen grundsätzlich entsprechende Informationen. Mitunter werden seitens der meldenden Apothekerin/dem meldenden Apotheker sogar beide Formulare (UAW und QM) für ein und denselben Sachverhalt an die AMK-Geschäftsstelle übermittelt. Dies kann Ausdruck der Unsicherheit bezüglich der Formularauswahl sein und der damit verbundene (Mehr-)Aufwand steht dem Prinzip eines unkomplizierten, niederschwelligen Spontanberichtssystems für Arzneimittelrisiken entgegen.
Ausgefüllte UAW-Berichtsformulare, bei denen eine Nebenwirkung bei einem Patienten im Zusammenhang mit einem herstellerseitig verursachten Qualitätsmangel vermutet werden, können auch an die zuständige Überwachungsbehörde der Apotheke weitergeleitet werden (§ 21 Apothekenbetriebsordnung).
Die Meldungen sollten direkt an die AMK und vorzugsweise über das jeweilige Online-Formular (für UAW oder QM) übermittelt werden. Die Berichtsbögen stehen unter www.arzneimittelkommission.de zur Verfügung, oder können per Scan des QR-Codes direkt abgerufen werden. Zusätzlich sind PDF-Formulare verfügbar, die postalisch, per FAX oder E-Mail an die AMK versendet werden können.
Die Nutzung der Online-Formulare über den PC oder über mobile Endgeräte erlaubt es der meldenden Apothekerin/dem meldenden Apotheker zudem, Begleitdokumente (zum Beispiel Arztbriefe) oder andere (Foto-)Dokumentationen direkt dem Berichtsbogen anzufügen, was die Korrespondenz mit der AMK vereinfacht. Auch begünstigen die Online-Formulare den qualitätsgesicherten, direkten Datentransfer an die Pharmakovigilanz-Datenbank der AMK, was dabei hilft mit den Ressourcen in der Dokumentation der Verdachtsfälle sinnvoll umzugehen.
Alle Spontanberichte werden von der AMK systematisch erfasst, intern bewertet und überprüft. Hierbei wird eruiert, ob alle notwendigen Daten vorliegen. Für UAW-Verdachtsfälle beinhaltet dies beispielsweise Informationen für die adäquate Beurteilung der Kausalität. Besteht weiterer Klärungsbedarf, erhält der Meldende Nachfragen zum Sachverhalt von der AMK – ein sogenanntes Follow-up. Der Meldende erhält stets ein Bestätigungsschreiben, in dem unter anderem die für den weiteren Informationsaustausch bedeutsame AMK-Fallnummer ausgewiesen ist.
UAW-Verdachtsfälle werden seitens der AMK gemäß nationaler Vorgaben an die jeweilige Bundesoberbehörde (Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte, BfArM, oder Paul-Ehrlich-Institut, PEI) weitergeleitet und spätestens von diesen über die europäische Datenbank gemeldeter Verdachtsfälle von Arzneimittelnebenwirkungen (EudraVigilance) in das internationale Pharmakovigilanzsystem eingespeist.
Demgegenüber teilt die AMK Verdachtsfälle zu Qualitätsmängeln, sofern die Annahme gerechtfertigt ist, dass diese durch den Hersteller verursacht sind, und bei möglicher Gefährdung von Patienten der zuständigen Überwachungsbehörde des jeweiligen pharmazeutischen Unternehmers mit. Der AMK ist es zudem unbenommen, im Fall konkreter Verdachtsmomente Behörden und pharmazeutische Unternehmer zur Überprüfung von Verdachtsfällen zu Arzneimittelrisiken anzuregen.
Bei Qualitätsmängeln wird der Meldende über Untersuchungen sowie die gegebenenfalls ergriffenen risikominimierenden Maßnahmen in der Regel durch den Zulassungsinhaber (pharmazeutischer Unternehmer) informiert. Bedarf es der Information aller Apotheken, informiert die AMK mittels AMK-Nachricht unter Zusammenschau aller Einzelfälle und weiterer bekannter Informationen zum Sachverhalt.
Eine wichtige Aufgabe der AMK ist die schnellstmögliche Information der Apothekerinnen und Apotheker über (neu) bekanntgewordene Arzneimittelrisiken sowie über Maßnahmen zur Verbesserung der Arzneimitteltherapiesicherheit.
AMK-Nachrichten der Rubrik »Informationen der Institutionen und Behörden« umfassen beispielsweise Maßnahmen der nationalen Behörden, Empfehlungen und Beschlüsse der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) beziehungsweise der EU-Kommission sowie Stellungnahmen von Fachgesellschaften wie der AMK selbst.
Arzneimittelrisiken sowie Empfehlungen zur Risikoabwehr, zum Beispiel in Form von Rote-Hand-Briefen (siehe Kasten) oder Informationsbriefen, werden in der Rubrik »Informationen der Hersteller« von der AMK wiedergegeben. Die Original-Dokumente sind der online gestellten AMK-Nachricht beigefügt und abrufbar.
Das Rote-Hand-Symbol mit dem Hinweis »Wichtige Mitteilung über ein Arzneimittel« ist eine Initiative der pharmazeutischen Industrie, sich dazu zu verpflichten, wichtige Informationen zur Arzneimittelsicherheit in Deutschland eindeutig zu kennzeichnen. Rote-Hand-Briefe sollen nicht den Charakter von Anzeigen oder Werbematerial besitzen und adressierte Apothekerinnen und Apotheker unmittelbar auf Risiken für Patienten aufmerksam machen.
Auf europäischer Ebene werden solche Kommunikationsmedien »Direct Healthcare Professional Communication« (DHPC) genannt. Die Umsetzung einer DHPC erfolgt in Deutschland durch den beschriebenen Rote-Hand-Brief.
In der Rubrik »Rückrufe, Chargenrückrufe und Chargenüberprüfungen«, gibt die AMK chargenbezogene Mitteilungen pharmazeutischer Unternehmer zu Arzneimitteln und apothekenüblichen Produkten bekannt. Für den Inhalt dieser Informationen sind die jeweiligen Unternehmer verantwortlich.
Für besonders dringliche Risiken, die mit einem akuten Gefahrenpotenzial einhergehen und von öffentlichem Interesse sind, kommt ein Schnellinformationssystem zum Einsatz, das die AMK mit dem Bundesverband des pharmazeutischen Großhandels (PHAGRO) vereinbart hat und seit 1996 in eigener Verantwortung betreibt. Das sog. AMK-PHAGRO-Schnellinformationssystem erlaubt es, bei Bedarf alle öffentlichen Apotheken und Krankenhausapotheken in Deutschland innerhalb eines Tages über dringliche Arzneimittelrisiken zu informieren.
Alle AMK-Nachrichten werden tagesaktuell unter www.arzneimittelkommission.de veröffentlicht und archiviert sowie wöchentlich in der PZ abgedruckt. Über alle online gestellten Nachrichten können sich Apotheken jederzeit direkt mittels RSS-Feed (www.abda.de/rss) informieren lassen. Zum Abruf chargenbezogener Mitteilungen ist ein Login zum Mitgliederbereich erforderlich.
Alle AMK-Nachrichten sind Bestandteil des Informationsangebots »Aktuelle Info« von ABDATA Pharma-Daten-Service (ABDA-Datenbank). Die PZ verfügt online unter www.pharmazeutische-zeitung.de/amk zudem über ein AMK-Nachrichten-Archiv.
Die AMK-Nachrichten und die sich daraus ergebenden Maßnahmen sind in der Apotheke zu dokumentieren und für fünf Jahre aufzubewahren.