Arme Menschen bekommen häufiger ungeeignete Medikamente |
Melanie Höhn |
22.05.2025 11:30 Uhr |
Die soziale Ungleichheit hängt laut der Studie in erster Linie mit einer Überbehandlung zusammen. / © Imago/Zoonar
Eine groß angelegte nationale Studie der Universität Aarhus mit Daten von 177.495 Teilnehmenden zeigt erhebliche soziale, kulturelle und wirtschaftliche Unterschiede hinsichtlich des Risikos, eine potenziell inadäquate Medikation (PIM) zu erhalten – selbst in einem Land mit kostenlosem und gleichberechtigtem Zugang zu Gesundheitsdiensten wie Dänemark.
Menschen mit geringem Vermögen und Einkommen haben demnach im Vergleich zu den wohlhabendsten Dänen ein um bis zu 85 Prozent höheres Risiko, für sie potenziell unangemessene oder riskante Medikamente zu erhalten, heißt es in der Studie, die in der Fachzeitschrift »PLOS Medicine« veröffentlicht wurde.
Die Untersuchung habe gezeigt, dass die wirtschaftliche Lage jedes Menschen der prägendste Faktor für die soziale Stellung in der Gesellschaft und damit auch für die Ausgangslage jedes Einzelnen im Gesundheitssystem sei, sagte die Hauptautorin Amanda Paust vom Department für öffentliche Gesundheit der Universität Aarhus. Die wirtschaftliche Lage sei der stärkste Risikofaktor für Fehlmedikation und beeinflusse, wie gut Menschen sich im System zurechtfinden – und wie sie behandelt werden.
Die Studie, die Daten einer großen Gesundheitserhebung aus dem Jahr 2017 mit nationalen Registern kombiniert, nutzte die Theorie der drei Kapitalformen – ökonomisch, sozial und kulturell – des Soziologen Pierre Bourdieu, um das Problem aus verschiedenen Blickwinkeln zu analysieren.
Dadurch kam die Untersuchung zu einem weiteren Ergebnis: Menschen mit niedrigem Bildungsniveau haben ein um 66 Prozent höheres Risiko, problematische Medikamente zu erhalten, während das Risiko von Menschen mit eingeschränkten sozialen Netzwerken um etwa 35 Prozent erhöht ist. Auch Einwanderer und Alleinlebende sind stärker gefährdet.
»Wir nutzten Pierre Bourdieus Theorie, um zu verstehen, wie sich unterschiedliche Ressourcen auf die Behandlungsqualität auswirken. So zeigten wir beispielsweise, dass ein schwaches soziales Netzwerk das Risiko einer unangemessenen Medikation erhöht, was in wissenschaftlichen Studien zur sozialen Ungleichheit oft übersehen wird«, erklärte Paust.
Die soziale Ungleichheit hängt laut der Studie in erster Linie mit einer Überbehandlung zusammen, nicht mit einer Unterversorgung. Betroffene erhalten mehr Medikamente, die potenziell mehr schaden als nützen. Insgesamt erhielten 14,7 Prozent der Teilnehmerinnen und Teilnehmer mindestens ein riskantes Medikament.
Die Ungleichheit in der Behandlungsqualität blieb auch dann bestehen, wenn Menschen mit vergleichbaren Krankheitsverläufen verglichen wurden. »Dies zeigt einmal mehr, dass ein universelles System nicht automatisch Gleichheit in der Gesundheit schafft«, erklärte die Wissenschaftlerin.
Die Studienautoren sehen Hausärztinnen und Hausärzte als Schlüsselfiguren für mehr Gleichheit in der medizinischen Behandlungsqualität. »Hausärzte sind wichtig, da sie den Großteil aller Medikamente in Dänemark verschreiben und häufig Kontakt zu uns Bürgern haben. Ungleichheit kann durch maßgeschneiderte Angebote für die Bedürftigsten reduziert werden«, so Paust. Studien hätten gezeigt, dass längere Konsultationen, Kontinuität in der Beziehung zu einem Hausarzt oder eine bessere Kommunikation über den Behandlungsverlauf einen Unterschied machen können.
Das Forschungsteam untersucht nun weiter, wie spezifische Interventionen das Risiko einer unangemessenen Behandlung in sozial schwachen Gruppen verringern können.