Apothekerschaft appelliert an Bundesregierung |
Ev Tebroke |
08.10.2024 12:12 Uhr |
Apotheken in der Krise: ABDA-Präsidentin Gabriele Regina Overwiening schilderte zum Auftakt des Deutschen Apothekertags ein düsteres Bild der Vor-Ort- Apotheken und forderte die Politik zum Handeln auf. / © ABDA/Wagenzik
Im Vorfeld des morgen beginnenden Deutschen Apothekertags (DAT) richtet die ABDA erneut einen eindringlichen Appell an die Bundesregierung. Die Bilanz nach drei Jahren Ampelregierung sei enttäuschend, so ABDA-Präsidentin Gabriele Regina Overwiening. Die Versorgung dünne immer mehr aus und sei geprägt von Lieferengpässen und einer anhaltenden Schließungswelle.
Dies machte die ABDA-Präsidentin heute in München anhand einer Auswertung der aktuellen Versorgungsdaten sowie einer Umfrage unter Apothekerinnen und Apothekern (Apotheken-Index) deutlich. Die von der Ampel angekündigten Problemlösungen haben demnach nicht gewirkt (Lieferengpassgesetz) oder sind bislang nicht umgesetzt beziehungsweise gehen in die falsche Richtung (Apothekenreform). »Die Apotheken sind in der Krise«, so Overwiening. Sie forderte die Bundesregierung auf, endlich zu handeln.
»Die Apotheken vor Ort brauchen eine finanzielle Stärkung. Die Apothekerinnen und Apotheker brauchen mit Blick auf die Lieferengpass-Krise mehr Freiheiten. Die Apotheken müssen echte Apotheken bleiben – und dürfen nicht als Scheinapotheken oder Abgabestellen die Versorgung verschlechtern«, unterstrich die ABDA-Präsidentin.
Seit Beginn der aktuellen Legislaturperiode ging nach ABDA-Angaben die Zahl der Apotheken von 18.461 um 1.173 (minus 6,4 Prozent) auf mittlerweile nur noch 17.288 Apotheken zurück. Und gab es in 2012 noch 184 Apotheken-Neugründungen, so waren es 2023 nur noch 62. Aufgrund der sinkenden Apothekenzahlen müssten mehr Menschen immer weitere Wege zu einer Apotheke zurücklegen, so Overwiening.
Ein Blick auf die betriebswirtschaftlichen Zahlen vermittelt ebenfalls ein negatives Bild. Der Durchschnittswert könne zwar die volle Spreizung und Vielfalt aller Apotheken nicht abbilden, zeige aber naturgemäß den Trend auf, wie die ABDA-Präsidentin erklärte.
Das Betriebsergebnis einer durchschnittlichen Apotheke – also vor den persönlichen Steuern, vor der privaten Altersvorsorge und vor den Investitionsaufwendungen des Inhabers oder der Inhaberin – ist demnach zuletzt von 160.000 Euro im Jahr 2022 auf 148.000 Euro im Jahr 2023 gesunken.
»Das sind 7,5 Prozent weniger Betriebsergebnis – und das ist der nominale Wert, also ohne die Inflationsrate von 2023 einzuberechnen«, so Overwiening. »Schaut man sich die Zahlen genauer an, wird klar, dass die steigenden Personal- und sonstigen Kosten das Betriebsergebnis abstürzen lassen. So sind allein die Personalkosten von 2022 auf 2023 um 7,3 Prozent gestiegen, sodass die Gesamtkosten um 5,1 Prozent nach oben getrieben wurden.«
Was die Lieferengpässe angeht – laut Overwiening »das größte Ärgernis im Apothekenalltag« –, beklagt die Apothekerschaft unverändert große Probleme. Nach wie vor führe das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) etwa 500 Medikamente auf der Lieferengpass-Liste. »Das vorläufige Fazit lautet, dass das Lieferengpassgesetz die Arzneimittelversorgung der Bevölkerung nicht verbessert hat«, so Overwiening.
Auch die Generika-Hersteller hatten dem Gesetz, dass unter anderem auch die Produktion von Antibiotika und Krebsmedikamenten wieder nach Europa holen sollte, jüngst eine schlechte Bilanz attestiert. Demnach will kein einziges Unternehmen neue Werke einrichten.
Und was die von der Ampelkoalition vor drei Jahren in Aussicht gestellte Stärkung der Vor-Ort-Apotheken betrifft, so sei das Gegenteil der Fall, wie Overwiening betonte. Mit Blick auf das von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) geplante Apotheken-Reformgesetz (ApoRG) und den darin vorgesehenen Apotheken ohne Apotheker sagte die ABDA-Präsidentin: »Mein Fazit lautet, dass das geplante Apotheken-Reformgesetz das Potenzial hat, weitere Apotheken zu zerstören und den Apothekerberuf de facto abzuschaffen. Dadurch würde die Versorgung der Menschen in diesem Land massiv gefährdet.« Fakt sei aber auch: »Die Apotheken brauchen endlich eine Anpassung ihres Honorars an die Kostenentwicklungen der vergangenen elf Jahre.«
Wie desolat die Stimmung in der Apothekerschaft aktuell ist, machte die ABDA anhand ihrer seit 2016 jährlich erhobenen Umfrage, dem Apothekenklima-Index, deutlich. »Die Erwartungen an die Entwicklung der Branche in den nächsten zwei bis drei Jahren sind so negativ wie nie zuvor«, so Overwienig. Demnach gehen vier von fünf (83,4 Prozent) Befragten von einer schlechter werdenden Entwicklung aus – 60,2 Prozent erwarten sogar, dass die Lage »deutlich schlechter« wird. Das seien drei mal so viele wie noch 2021.
Auch die Erwartung an die Entwicklung der eigenen Apotheke sei massiv nach unten gegangen. »Zwei Drittel (63,4 Prozent) der Inhaberinnen und Inhaber gehen von einer schlechten Entwicklung ihrer Apotheke in den nächsten zwei bis drei Jahren aus. Darunter halten ein Drittel (31,2 Prozent) der Befragten die Entwicklung für ihre Apotheke für »deutlich schlechter«. Im Jahr 2021, also zum Start der Ampelkoalition, hätten nur 10,2 Prozent der Befragten ihre Perspektive so schlecht eingeschätzt.
Als Konsequenz der pessimistischen Stimmung gibt es auch weniger Bereitschaft, Investitionen zu tätigen: Mehr als die Hälfte (58,0 Prozent) planen überhaupt keine Investitionen. »Im Wahljahr 2021 waren dies nur 40,4 Prozent der Inhaberinnen und Inhaber – das ist ein massiver Zuwachs bei den ›Investitionsverweigerern‹«, so Overwiening.
Wenig überraschend ist für die ABDA-Präsidentin dabei, dass neun von zehn selbständigen Kolleginnen und Kollegen vorrangig bessere wirtschaftliche Rahmenbedingungen (93,0 Prozent) und auch Planungssicherheit (88,2 Prozent) einfordern.
Was die Lieferengpass-Problematik betrifft, so beklagen 53,2 Prozent der Befragten, dass es seit Inkrafttreten des Lieferengpassgesetzes »signfikant mehr Aufwand gebe«. Also genau das Gegenteil von dem, was das Gesetz eigentlich bewirken sollte. Den wöchentlichen Zeitaufwand für das Management schätzt mehr als ein Drittel der Befragten (35,6) auf 20 bis 30 Stunden. Die Apothekerinnen und Apotheker bräuchten mit Blick auf die Engpass-Krise mehr Freiheiten, um ihren Patientinnen und Patienten eine höhere Versorgungsqualität anbieten zu können, so Overwiening.
Ein weiteres großes Problem ist laut ABDA der Fachkräftemangel: Mehr als die Hälfte der Befragten (52,6 Prozent) gibt laut Umfrage an, dass in den nächsten zwei bis drei Jahren keine Einstellungen geplant sind. Im Jahr 2021 wollte nur ein Drittel (32 Prozent) der Inhaber ohne Neueinstellungen auskommen. »Aber wer plant schon Einstellungen, wenn er oder sie weiß, dass sich weder Fachkräfte bewerben, noch dass sie ausreichend bezahlbar sind?«, so Overwiening.
Drei Viertel ihrer Kolleginnen und Kollegen (74,2 Prozent) sagten, dass sie mit maximal einem geeigneten Bewerber rechnen, wenn sie eine Stelle als Apotheker besetzen wollen. Bei der Nachbesetzung einer PTA rechneten sieben von zehn (70,4 Prozent) der Befragten ebenfalls mit höchstens einer geeigneten Bewerberin.
Und auch bei der Nachfolgesuche für Apotheken sehe es düster aus: Ein Drittel aller Inhaberinnen und Inhaber (33,8 Prozent) geht demnach davon aus, keinen einzigen Interessenten oder keine einzige Interessentin im Falle eines Verkaufes zu finden. Laut Overwiening ein hoher Wert verglichen mit 2021, als nur 15,4 Prozent davon ausgingen, die eigene Apotheke nicht mehr verkaufen zu können.
Die ABDA-Präsidentin Overwiening schloss mit dem Appell: »Wir, die Apothekerinnen und Apotheker, sind quasi die Seismographen der Arzneimittelversorgung. Sinnvoll wäre, wenn das Bundesgesundheitsministerium einen echten Dialog mit der Apothekerschaft aufnähme, um die Versorgung wieder zu stabilisieren.«
Overwiening betonte weiter: »Das sogenannte Apotheken-Reformgesetz, wie es vom Bundesgesundheitsministerium geplant und ausgearbeitet wurde, ist kein Versorgungsstärkungsgesetz, sondern ein Apothekenzerstörungsgesetz.« Weder die Struktur noch die Finanzierung würden gestärkt. Dieses Vorhaben dürfe so keinesfalls vom Bundestag verabschiedet werden, warnte Overwiening. »Die ABDA und die gesamte Apothekerschaft stehen für konstruktive Gespräche über eine Weiterentwicklung des Apothekensystems bei einer gleichzeitigen Stärkung der Apotheken vor Ort jederzeit bereit.«