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Hilfsprojekte in Großstädten

Apotheker unterstützen Bedürftige

Wo finden Obdachlose und Menschen ohne Krankenversicherung medizinische Hilfe? Mit welchen Problemen kommen sie und welche Arzneimittel werden gebraucht? Und wie können Apothekerinnen und Apotheker hier unterstützen? Die Hilfsorganisation Apotheker ohne Grenzen stellt Zahlen und Erfahrungen aus ihren vier Projekten in Deutschland vor.
Daniela Hüttemann
04.06.2024  07:00 Uhr

Die Hilfsorganisation Apotheker ohne Grenzen (AoG) ist bekannt für ihre Nothilfeeinsätze und Projekte in der Entwicklungszusammenarbeit in Ländern wie den Philippinen, Nepal und Haiti. Doch auch im eigenen Land sind Apothekerinnen, Apotheker und PTA ehrenamtlich aktiv; aktuell kooperiert AoG mit vier Anlaufstellen für Wohnungslose und Menschen, die aus anderen Gründen keinen Zugang zur gesundheitlichen Regelversorgung haben

Los ging es 2013 in Mainz; 2017 folgte Berlin, 2020 Frankfurt und 2022 München. Die ehrenamtlichen Projektteams der jeweiligen Städte arbeiten mit verschiedenen Partnern wie der Caritas zusammen, die solche Anlaufstellen anbieten. »Wir helfen vor allem beim Lagermanagement und schulen das Personal der Ambulanzen«, erklärte Projektkoordinatorin Karla Schulze kürzlich bei einem digitalen Infoabend von AoG. Der Verein finanziert zu unterschiedlichen Anteilen Medikamente, Hilfsmittel und Verbandsstoffe. »So bleibt unseren Partnern mehr von ihrem Budget für andere Bedarfe wie Pflege- und Hygieneartikel oder Präventionsmaßnahmen«, so die AoG-Mitarbeiterin.

Die ehrenamtlich tätigen Pharmazeuten haben auch Empfehlungslisten erarbeitet, um Arzneimittel möglichst effizient und leitliniengerecht einzusetzen. »Der Maßstab sollte sein, dass die Betroffenen eine genauso gute Behandlung bekommen, wie wir sie uns auch wünschen«, betonte Schulze.

Nicht geeignet sind dafür ungerichtete Arzneimittelspenden aus Apotheken oder gar Privathaushalten. »Solche Sachspenden machen mehr Probleme, als dass sie helfen«, stellte die Apothekerin klar. Sie müssen nicht nur mühselig sortiert werden, sondern sind auch selten bedarfsgerecht. Zudem sei die Qualität der Altarzneimittel nicht mehr sicher gewährleistet und Laufzeit oft zu kurz. AoG stellt dazu Informationsmaterial als Flyer bereit.

Welche Erkrankungen müssen am häufigsten behandelt werden?

Das ist von Standort zu Standort etwas unterschiedlich und hänge mit den genauen Personen- und Altersgruppen zusammen, die die Ambulanzen aufsuchen, erklärte Antonie Wagner, die bis vor Kurzem als Pharmazeutin im Praktikum (PhiP) bei AoG tätig war und für die vier Deutschland-Projekte Zahlen erhoben hat.

So wurden an den vier Standorten im vergangenen Jahr knapp 7000 Menschen behandelt, einige davon mehrfach. Etwa jede fünfte Person war eine Frau. Knapp 70 Prozent hatten keine Krankenversicherung, wobei hier teils große Unterschiede zwischen den Standorten auffielen.

»Die Betroffenen kommen oft mit einer Mischung aus chronischen und akuten Erkrankungen«, berichtete Wagner. In Berlin wurden sie am häufigsten aufgrund von Infektionen und Parasiten wie Krätzmilben und Läusen behandelt (29 Prozent) und jeweils 16 Prozent aufgrund von Atemwegs- und Lungenerkrankungen sowie Herz-Kreislauf-Erkrankungen. »Viele Grunderkrankungen waren gar nicht diagnostiziert«, ergänzte die junge Pharmazeutin. Auch Wundbehandlungen seien häufig nötig.

Fast alle leiden unter psychischen Problemen

Das decke sich mit einer wissenschaftlichen Studie, die das Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf Ende 2022 zum Gesundheitszustand von Obdach- und Wohnungslosen für vier deutsche Metropolregionen im »Deutschen Ärzteblatt« veröffentlicht hatte. Es konnte klar gezeigt werden, dass diese Menschen häufiger unter Herz-Kreislauf- und Stoffwechselerkrankungen leiden als die Allgemeinbevölkerung.

Morbidität und Mortalität liegen bei Obdachlosen deutlich höher – und auch die psychischen Erkrankungen. Nach der UKE-Studie hatten 23 Prozent bereits eine entsprechende Diagnose, bei weiteren 70 Prozent fanden sich Hinweise auf eine bislang nicht erkannte psychiatrische Störung.

Ob sie der Grund für Suchtprobleme und den sozialen Abstieg sind oder umgekehrt die prekären Lebensumstände psychische Erkrankungen verursachen, lässt sich nicht immer eindeutig sagen. Sie können sich auf jeden Fall gegenseitig bedingen und verstärken. Eine psychische Erkrankung erschwert es noch dazu häufig, Hilfe in Anspruch zu nehmen oder auch seine Arzneimittel korrekt und regelmäßig anzuwenden.

Welche Arzneimittel werden gebraucht?

Diese Ergebnisse können die AoG-Aktiven aus ihrer Erfahrung bestätigen. »Es mangelt an fachärztlichen, psychotherapeutischen, psychiatrischen und suchtmedizinischen Versorgungsmöglichkeiten«, so Schulze. Die Betroffenen zögerten Behandlungen oft lang hinaus, ob aus Scham, Angst vor den Kosten oder Unwissenheit, an wen sie sich wenden können. »Das macht die Akutversorgung, die dann oft im Krankenhaus stattfindet, noch teurer«, so Schulze. Oft würden die Menschen nicht ganz ausgeheilt entlassen und hätten dann auf der Straße oder in Notunterkünften keine Chance auf eine ruhige und vollständige Genesung.

Ein Problem sei auch, wenn die Patienten im Krankenhaus auf teure Medikamente eingestellt werden, die sie ambulant nur schwer oder gar nicht bekommen. Und Präventions- und Pflegemaßnahmen sowie eine Palliativversorgung sei bei Obdachlosen und Menschen ohne Krankenversicherung nahezu unmöglich.

Antonie Wagner hat auch ausgewertet, wie sich das AoG-Budget auf die verschiedenen Arzneimittelgruppen beim Berliner Projekt verteilt. Dabei wurden 40 Prozent der finanziellen Mittel für Medikamente zur parasitären Behandlung (Scabies und Pedikulose) verwendet. Diese Erkrankungen seien bei Obdachlosen nicht nur häufig, sondern die Mittel zum Teil auch verhältnismäßig teuer. 14 Prozent des Budgets ging für Analgetika und Antiphlogistika drauf, die zwar pro Packung nicht teuer sind, aber mengenmäßig viel benötigt werden. Für weitere 14 Prozent wurden Antibiotika eingekauft (Amoxicillin, Penicillin V, Doxycyclin und Clindamycin). »Wir gewährleisten hier eine kontinuierliche Versorgung mit hochwertigen, leitliniengerechten Arzneimitteln«, betonte Wagner.

Wie können sich Apotheker engagieren?

Der Verein ist dazu auf finanzielle Spenden angewiesen. Apotheken könnten helfen, indem sie Spendendosen für den Verein aufstellen, Spendenaktionen veranstalten oder auch mittels AoG-Flyern über den Sinn und Unsinn von Arzneimittelspenden aufklären.

Wer sich in die bestehenden Projekte ehrenamtlich einbringen will, kann sich an die jeweilige Regionalgruppe oder auch die AoG-Geschäftsstelle wenden, die den Kontakt vermitteln. »Hilfe ist immer nötig und willkommen«, betonte Projektleiterin Schulze.

Zudem können Apotheken eine wichtige Lotsenfunktion für Menschen ohne Krankenversicherung einnehmen, wohin diese sich wenden können und welche Rechte auf medizinische Versorgung sie haben. »Teilen Sie Informationen zu den Anlaufstellen und Hilfsangeboten in Ihrer Stadt oder Region und geben Sie Ihr Wissen weiter«, rief die AoG-Mitarbeiterin auf. Leider gäbe es keine bundesweiten Websites und viel hänge von lokalen Initiativen ab. 

Besserer Zugang zum Gesundheitssystem gefordert

»Derzeit sind Hilfsangebote leider nicht einfach zu finden und mit Barrieren verbunden. Wir wollen, dass sich das ändert«, so Schulze und verwies auf die Resolution der AoG-Mitgliederversammlung von April. »Gesundheitsversorgung muss für alle Menschen in Deutschland zugänglich sein«, fordert der Verein und nennt vier zentrale Punkte:

  1. mehr finanzielle Mittel und Anlaufstellen für eine niedrigschwellige Gesundheitsversorgung
  2. weniger Barrieren und Schaffen von bundeseinheitlichen Lösungen
  3. mehr Datenerhebung und -auswertung von Bedarfen der Betroffenen
  4. Sensibilisierung und Zugang zu Informationen

Wie groß der Bedarf tatsächlich ist, ist nämlich unklar. Während das Bundesministerium für Arbeit und Soziales für das Jahr 2022 von 262.000 Menschen ohne Wohnung und 37.400 Obdachlosen ausgeht, schätzt der Verein Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungsloslosenhilfe die Zahl der wohnungslosen Menschen auf mehr als 600.000, davon rund 50.000 ganz ohne Unterkunft, also obdachlos. Als wohnungslos gelten alle Menschen, die über keinen mietvertraglich abgesicherten oder eigenen Wohnraum verfügen, die zum Beispiel in Flüchtlings- und Notunterkünften übernachten sowie Personen, die bei Bekannten oder Verwandten vorübergehend unterkommen.

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