Apothekenreform könnte »kurzlebig« werden |
Juliane Brüggen |
05.09.2024 12:30 Uhr |
Beim Sommerempfang des AVNR stellte sich NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann an die Seite der Apotheker. / Foto: AVNR/Alois Müller
Bei der Arbeit an der Krankenhausreform habe er Eines gelernt, sagte Laumann: Veränderung funktioniert nur zusammen mit allen Beteiligten, Alleingänge bewirkten das Gegenteil. Natürlich brauche es Kompromisse und einen Blick über den Tellerrand. Die politische Seite müsse aber für bestimmte Grundsätze einstehen, bei Ärzten und Apotheken sei dies die Freiberuflichkeit. Er habe keinerlei Interesse, die Mittelschicht, zu der die inhabergeführte Apotheke gehört, zu verkleinern.
Eine Apotheke ohne Apotheker zuzulassen, wie aktuell im Entwurf des Apothekenreformgesetzes vorgesehen, setze – über einen längeren Zeitraum betrachtet –, die »Axt« an das, wofür Apotheker stehen, letztendlich die inhabergeführte Apotheke. Der Schritt zu kapitalgesteuerten Ketten sei dann nicht mehr weit. »Deswegen geht es in dieser Frage um eine Frage des Berufsstandes, aber auch um eine entscheidende gesellschaftspolitische Frage«, betonte Laumann.
Die Freiberuflichkeit müsse nach vorne gestellt werden, sowohl bei Ärzten als auch bei Apotheken. Das garantiere Unabhängigkeit und damit eine Qualitätssicherung im System. Genau dieses Signal sollte die Politik aussenden, bevor sich alle Beteiligten zusammensetzen. »Dann könnte man zu einer Lösung kommen«, so Laumann. Und weiter: »Ich sage nicht, dass das ohne mehr Geld geht.« Das Argument, es habe 20 Jahre keine bedeutende Honorarerhöhung gegeben, lasse er gelten. Aber auch darüber hinaus müsse man über die Apotheke der Zukunft nachdenken – dazu sprach er eine Einladung aus. Es müsse analysiert werden, welche Strukturen veraltet sind. Er traue den Apothekern beispielsweise bei Lieferengpässen mehr Entscheidungsfreiheit zu. Auch das Thema Digitalisierung müsse angegangen werden. Ziel sei es, die Arzneimittelversorgung in allen Regionen sicherzustellen.
Ein Versprechen wagte Laumann zum Schluss: Sollte das Apotheken-Reformgesetz in der jetzigen Form kommen, könnte es »eines der kurzlebigsten Gesetze« werden, zumindest von seiner Warte aus – eine Anspielung auf einen möglicherweise anstehenden Regierungswechsel.
Beim Sommerempfang waren laut AVNR über 100 Gäste aus dem Gesundheitswesen, darunter Politiker, Vertreter des NRW-Gesundheitsministeriums, der Ärzteschaft, Krankenkassen, Krankenhäuser, des Pharmazeutischen Großhandels und der Arzneimittelhersteller. / Foto: AVNR/Alois Müller
Thomas Preis, Vorsitzender des AVNR, zeigte sich in seiner Ansprache entsetzt über die Wahlergebnisse in Thüringen und Sachsen. Diese spiegelten vor allem Eines: Die Unzufriedenheit der Menschen mit der Arbeit der Ampelkoalition. Das gelte auch für das Thema Gesundheit. »Die Realitätsferne dieser Bundesgesundheitspolitik zum Versorgungsalltag ist gigantisch, die Rahmenbedingungen für uns und unsere Teams immer mehr unzumutbar«, so Preis, vor allem fehle es an »Wertschätzung in Form einer angemessenen und im wahrsten Wortsinne verdienten und berechtigten Honorierung der öffentlichen Apotheken«.
Thomas Preis ging unter anderem auf die schwierige wirtschaftliche Lage der Apotheken ein. / Foto: AVNR/Alois Müller
Als »Schließungs-Tsunami« bezeichnete er die aktuelle Entwicklung. 2023 mussten ihm zufolge rund 500 Apotheken schließen – der größte Verlust seit Gründung der Bundesrepublik. Und der Trend beschleunige sich: In diesem Jahr lägen die Schließungszahlen im Vergleich zum Vorjahr noch einmal 50 Prozent höher. Auch Filialapotheken seien vermehrt betroffen, Neugründungen fast gar nicht mehr zu verzeichnen. Die wirtschaftliche Situation sei alarmierend: Über 30 Prozent der selbstständigen Apotheker hätten ein Einkommen, das unter dem eines angestellten Apothekers liege. »10 Prozent schreiben rote Zahlen und werden über kurz oder lang schließen müssen«, so Preis.
Diese Nöte zeugten keinesfalls von Unvermögen der Apotheker, sondern von einer Vernachlässigung seitens der Politik. Denn den stetigen Kostensteigerungen, etwa Lohnkosten und Inflation, sei in den vergangenen zwei Jahrzehnten nahezu nichts entgegengesetzt worden. »Diese betriebswirtschaftliche Rechnung kann nicht aufgehen«, so Preis. Die mit dem aktuellen Gesetzesentwurf geplante Umverteilung werde auch nicht helfen. Es müsse endlich mehr Geld in das System.
Grundsätzlich begrüße er, dass die Politik ins Handeln komme und Apotheken stärken möchte. Aber der jetzige Entwurf überschreite rote Linien. Daher seine Botschaft an Karl Lauterbach (SPD): »Apotheken ohne Apotheker sind mit uns nicht zu machen«, so Preis. »Bürgerinnen und Bürger haben nämlich einen Anspruch darauf, dass da, wo Apotheke drauf steht, auch ein Apotheker oder eine Apothekerin drin ist!« Die Leidtragenden seien nicht zuletzt die Patienten, die, sollte das Gesetz in der jetzigen Form kommen, in Filialen nur selten einen Apotheker anträfen und Betäubungsmittel nur noch an bestimmten Tagen erhielten. »Zustände, die unseren Bürgern nicht zuzumuten sind«, so Preis.
Dass Apotheken mehr Verantwortung übernehmen wollen und können, zeigten die Impfleistungen und die pharmazeutischen Dienstleistungen (pDL), so Preis. Das Gesundes-Herz-Gesetz, das Apotheken in flächendeckende Präventionsmaßnahmen einbeziehen will, begrüße er vor diesem Hintergrund, ebenso wie das Vorhaben, pDL fest als pharmazeutische Tätigkeit in die Apothekenbetriebsordnung (ApBetrO) aufzunehmen. Die Apotheke wolle zusätzlich zur Kernkompetenz »Arzneimittel« als gut erreichbarer, primärer Gesundheitsversorger für alle Altersgruppen da sein, besonders auch für Pflegende und pflegende Angehörige.