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FIP-Kongress
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Apotheken sollen digitale Ungleichheit heilen

Die Apotheken haben das Zeug dazu, die Technologierevolution im Gesundheitswesen anzuführen. Der enge Kontakt zu ihren Patienten ist bedeutsam, damit insbesondere ältere Menschen nicht auf der Strecke bleiben. Zu diesem Ergebnis kamen zwei Referentinnen bei einer Plenarsitzung beim diesjährigen Kongress des Weltapothekerverbands FIP – Fédération Internationale Pharmaceutique in Sevilla.
AutorKontaktJennifer Evans
Datum 22.09.2022  12:00 Uhr

Digitale Applikationen entlasten zwar das Gesundheitssystem und schaffen zusätzliche Behandlungsmöglichkeiten. Doch derzeit können nicht alle Menschen auf der Welt gleichermaßen davon profitieren. Oft haben ältere Patienten oder allgemein die alternden Gesellschaften in einigen Regionen der Erde das Nachsehen. Aus dieser Schieflage könnten die Apotheker heraushelfen. Und zwar indem sie als Vermittler zwischen digitaler und analoger Welt fungieren. Davon ist jedenfalls die Generaldirektorin der Schweizer Global Self-Care Federation Judy Stenmark überzeugt.

Sie wies in ihrem Vortrag beim FIP-Kongress darauf hin, dass digitale Technologien – sofern diese richtig angewandt werden – dazu beitragen würden, Nutzer nachweislich zu einem gesünderen Lebensstil zu motivieren. Außerdem könnten sie bei der Prävention von Krankheiten helfen. Und weil Pharmazeuten rund um den Globus zunehmend in die Patientenversorgung involviert sind, profitieren umgekehrt auch sie von den zusätzlichen Daten und können bessere Entscheidungen treffen. Zum Beispiel wenn der Apotheker Informationen zum Verhalten seines Patienten während der Arzneimitteltherapie hat. Damit lässt sich Stenmark zufolge etwa die Adhärenz deutlich verbessern. Doch in Zukunft müsse vor allem sichergestellt sein, dass auch ältere Menschen einen Vorteil von den digitalen Anwendungen haben, betonte sie.

Pharmazeuten als Vermittler zwischen den Welten

Investierten Regierungen in die Gesundheitskompetenz ihrer Bevölkerung, steige nachweislich das Wohlbefinden der Menschen und sie lebten gesünder, berichtete Stenmark. Allerdings müssen sie dafür zunächst auch einen gleichberechtigten Zugang zu Gesundheitsinformationen haben, diese verstehen und anwenden können. Da kommt abermals die Apotheke in ihrer beratenden Funktion ins Spiel.

In diesem Zusammenhang weist Stenmark auf die Bedeutung von E-Labeling oder E-Product Information (EPI) hin, wozu auch die digitalen Beipackzettel gehören. Dabei handele es sich aber lediglich um ein Zwischenschritt, bevor bald alle Anwender auf die digitalen Informationen zugreifen würden, meint sie. Allerdings seien die elektronischen Informationen noch nicht ganz ausgereift. Schwierigkeiten sieht sie zum Beispiel noch für Sehbehinderte oder Analphabeten, aber auch Personen, die Sprachbarrieren haben oder die komplexen Inhalte nicht gleich verstehen. Eine Lösung wäre demnach, die Hinweise zusätzlich auch als in Audio- und Video-Versionen bereitzustellen sowie eine Übersetzungsfunktion anzubieten.

App-Anwendungen sind erklärungsbedürftig 

Stenmark nennt aber auch zwei positive Beispiele digitaler Anwendungen, die schon jetzt Nutzer dazu animieren, selbst eine aktive Rolle im Management der eigenen Gesundheit zu übernehmen. Die App Flu Tracker beispielsweise erstelle mithilfe von Echtzeitdaten eine Erkältungs- und Grippe-Landkarte und berechne die Wahrscheinlichkeit für eine Ansteckung in den nächsten Tagen. Integriert ist nach Angaben der Referentin dabei ebenfalls ein Symptom-Checker. Allerdings müsse man die App zu interpretieren wissen.

Eine Verbindung zwischen Produkt und Gesundheitsanwendung stellt die App Nicorette Quickmist Smarttrack dar. Sie verknüpfe ein Mundspray zur Raucherentwöhnung mit einem digitalen Motivations-Coach, der auf Verhaltensänderung setze, so Stenmark. Zudem beinhalte die App einen personalisierten Zeitplan auf dem Weg zum Nichtrauer. Aber auch dabei gilt: Wird die App nicht richtig angewandt, verpufft ihr Nutzen. Umso wichtiger sei der Einsatz der Apotheker in diesem Bereich, so Stenmark.

Die Apotheken sind Gold wert

Jane Barratt, Generalsekretärin der International Federation on Ageing aus Kanada, geht sogar noch einen Schritt weiter, wenn sie sagt: »Die Beziehung zwischen Patient und Apotheker ist lebensrettend, insbesondere für ältere Menschen.« Das Potenzial dieses »besonderen Verhältnisses« hält sie für noch längst nicht ausgeschöpft. Kritik übte sie in ihrem Vortrag vor allem daran, dass in der Gesellschaft sowohl die Gesundheitskompetenz als auch das Digital-Verständnis einfach still vorausgesetzt würde. Die Kommunikationsleistung, die Apotheker in diesem Bereich übernehmen könnten sei daher »nicht weniger als Gold wert«.

Die Pluspunkte von Telemedizin liegen nach Barratts Auffassung auf der Hand. Dazu gehören Kostenersparnis, oft eine bessere Versorgung, ein leichterer Zugang, das Vermeiden unnötiger Krankenhausaufenthalte sowie ein geringerer zeitlicher und finanzieller Aufwand für den Patienten. Aber die Entwicklung sei zugleich ein »zweischneidiges Schwert«, weil immer noch viele Menschen keinen Internetzugang hätten. Zudem stellten Datenschutz und -sicherheit einen Knackpunkt dar – rund um den Globus.

Apotheker erkennen frühe Anzeichen

Grundsätzlich plädiert sie für die sogenannte Digitale Inklusion, die sowohl einen menschenrechtlichen als auch gendergerechten Ansatz verfolgen sollte. Dazu gehört unter anderem, dass in Zukunft digitale Guidelines, Gesundheitswissen, E-Education sowie bezahlbares Internet und preiswerte digitale Geräte für jeden zur Verfügung stehen.

Mit Blick auf den demografischen Wandel weist Barratt außerdem darauf hin, dass die Leistungsfähigkeit im Alter sinkt – womöglich bis hin zum Kontrollverlust. Selbst wenn ein Menschen also bereits digitale Fähigkeiten gehabt habe, könne er diese bis zu seinem Lebensende wieder verlieren. Das werde oft übersehen. Vor diesem Hintergrund bekomme Prävention noch mehr Gewicht. »Denn sie dient nicht nur dazu, um chronische Erkrankungen zu vermeiden, sondern auch leistungssteigerndes Verhalten zu bewerben und zu unterstützen.« Und schon ist sie wieder bei den Apothekern gelandet, die eine (physische) Veränderung ihrer Stammkundschaft in der Regel schnell erkennen würden und präventiv eingreifen und Barrieren abbauen könnten – auch um ein würdevolles Altern zu ermöglichen.

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