Apotheken schreiben erneut an Olaf Scholz – und alle Abgeordneten |
Die Apothekenstruktur- und Honorarreform sollte zur Chefsache gemacht werden, also in die Hand des Bundeskanzlers, finden viele Apothekerinnen und Apotheker angesichts des Vorgehens des Bundesgesundheitsministers. / Foto: Imago/Steinach
Bereits kurz vor Weihnachten hatte der Arbeitskreis Gesundheitspolitik des MVDA einen umfassenden Brief zur Lage und den Forderungen der Apotheken an Bundeskanzler Olaf Scholz geschrieben, da vom Bundesgesundheitsminister keine praktikablen Lösungen für die Apotheken in Sicht sind. Wie der Verein mitteilt, habe man keine Antwort erhalten und ein neues Schreiben aufgesetzt – und dieses dann auch gleich an alle Bundestagsabgeordneten, Landesgesundheitsminister und -ministerinnen, Ministerpräsidenten und -präsidentinnen, Landräte und Landrätinnen sowie Oberbürgermeister und -meisterinnen geschickt.
Zudem gibt es eine Vorlage, die Apotheken nutzen können, um den Brief an ihre eigenen Bürgermeister und -meisterinnen oder Politiker und Politikerinnen im Landkreis zu schicken. »Nur gemeinsam können wir uns Gehör verschaffen«, betont der MVDA.
Schreiben an Kanzler Scholz: Daniela Kolb und Dirk Vongehr / Foto: MVDA
»Die Situation in Deutschland verschärft sich täglich«, mahnt Dirk Vongehr, Inhaber einer Apotheke in Köln und Vize-Präsident des MVDA in einer begleitenden Pressemitteilung. »Seit dem Jahr 2010 verzeichnen wir in Deutschland einen Rückgang der Vor-Ort-Apotheken von etwa 18 Prozent. Das mag sich in der Stadt nicht gleich erkennbar machen, aber auf dem Land wird es vor allem für ältere Menschen immer schwieriger, unkompliziert an Arzneimittel zu gelangen.« Lauterbachs Reformideen für die Apotheken werden die Situation nicht bessern, sondern eher ins Gegenteil wirken.
Das zunehmende Apothekensterben wollen und können die Apotheken könne man nicht mehr so hinnehmen, ergänzt Daniela Kolb, Apothekerin aus Maintal und Vorsitzende des Arbeitskreises Gesundheitspolitik des MVDA. »Wir fordern mehr Vertrauen in unsere Arbeit und ernstgemeinte, konstruktive Gesprächsbereitschaft.«
Im Brief bezeichnen der MVDA und die Linda-AG die Lauterbach-Pläne als »unmittelbare Bedrohung für uns Vor-Ort-Apotheken, aber auch für die Versorgung der Bevölkerung«. Auch in Anbetracht der Streiks anderer Berufsgruppen wie Landwirte, Bahnpersonal und Ärzte, der aktuellen politischen Lage national und international sieht der Verein den gesamtgesellschaftlichen Zusammenhalt und das Vertrauen in die demokratische Grundordnung und politische Führung bedroht.
Gerade jetzt bräuchten die Menschen Vertrauen. Falschmeldungen wie »Apotheker*innen verdienen alle gut« gepaart mit der Verweigerung eines Dialogs durch den Bundesgesundheitsminster seien da kontraproduktiv und verhöhnend. »Dieser Umgang mit den Leistungserbringenden ist armselig und eines Fachministers nicht würdig!«, heißt es in dem Brief.
Anschließend erläutert der MVDA die aktuelle Situation den Apotheken und weist darauf hin, dass den Angestellten nicht die notwendigen Lohnerhöhungen gewährt werden können – und fragt, wieso eine Lohnerhöhung von 12 Prozent über die nächsten zwei Jahre für die Verwaltungsangestellten der Krankenkasse aus Versichertengeldern drin ist, aber kein Geld für die Apotheken. »Auch hier verspielen Sie Vertrauen, wenn offenkundig mit zweierlei Maß gemessen wird und verschärfen gleichzeitig aktiv durch Ihr Nichtstun den Fachkräftemangel in den Vor-Ort-Apotheken!«
Die wirtschaftlich aussichtslose Situation der Apotheken eskaliere durch die Inflation immer weiter. »Wir sind eingezwängt in ein Korsett, welches geschnürt ist mit maßlosen bürokratischen Prozessen, die nur auf Kontrollzwang und nicht auf Vertrauen in die ausführenden Personen beruhen, bei denen sowohl Einkaufs- als auch Verkaufspreise vom Gesetzgeber bestimmt werden und die wirtschaftlich erforderliche Handelsspanne durch immer mehr zusätzliche Servicegebühren unserer Dienstleister belastet wird.«
Der MVDA weist auch darauf hin, dass die Apotheken mittlerweile nach Zahlen der Treuhand sogar bei jeder zulasten der GKV abgegeben Medikamentenpackung ein Minus von 46 Cent einfahren. »Die Steuerberater müssten den Kolleginnen und Kollegen betriebswirtschaftlich zu einer Ablehnung jedes einzelnen GKV-Rezeptes raten. Dies ist ein untragbarer Missstand.«
Zudem wehrt auch der MVDA sich gegen die Umverteilungspläne Lauterbachs von vermeintlich großen Stadtapotheken zu kleinen Landapotheken anhand des Umsatzes, der bekanntermaßen nicht gleich Ertrag ist. Bestenfalls sei es ein Nullsummenspiel, viel wahrscheinlicher sei dadurch jedoch eine Verschlechterung der Gesamtsituation. Allein der Gedanke einer Honorarumverteilung sei mehr als leistungsfeindlich und ein gefährlicher Schritt in Richtung Planwirtschaft bei vollem Haftungsrisiko der Apothekeninhabenden.
Die Pläne zu Light-Apotheken würden dem Stellenwert der Vor-Ort-Apotheken für die Bevölkerung und dem Berufsbild des Apothekers nicht gerecht. Es brauche vielmehr eine Stärkung der Kompetenzen und Planungssicherheit, auch um junge Apothekerinnen und Apotheker zu finden, die noch Betriebe übernehmen oder gründen wollen.
»Viele Apothekerinnen und Apotheker wandern in die Industrie ab und auch PTA sowie PKA sind immer schwieriger zu finden«, betont Vongehr in der begleitenden Pressemitteilung. Das habe zur Folge, dass es keinen Nachwuchs mehr gebe und auch nahezu keine neuen Apotheken mehr gegründet werden. »Gründe dafür sind unter anderem die große Perspektivlosigkeit und ein zu hohes Haftungsrisiko bei zu geringer Vergütung.«
»Wo bleibt hier Ihr deutliches Bekenntnis zur Stärkung des Mittelstands und gegen das Ausbluten von wohnortnaher Infrastruktur und unwiederbringlichem Ladensterben?«, appelliert der MVDA an den sozialdemokratischen Bundeskanzler. »Apotheken sind unverzichtbare soziale Begegnungsstätten, die auch einen großen Beitrag gegen zunehmende Vereinsamung und Isolation leisten.«
Die Motivation der Apothekenmitarbeitenden, Lieferengpässe zu kompensieren und E-Rezept-Fehler auszubügeln, lasse nach. »Wir sind es leid, stets am Ende der Kette zu stehen und finanziell für die von anderen verursachten Fehler und Unzulänglichkeiten geradezustehen sowie immer mehr zusätzliche Aufgaben in unser Honorar eingepreist zu bekommen.«
Es sei an der Zeit, die Arzneimittelversorgung zur Chefsache zu erklären und zu handeln und den Aktionismus des Gesundheitsministers zu stoppen. »Was wir nicht brauchen, ist ein Minister, der sich selbst am liebsten im Fernsehen und auf den Titelseiten sieht und in erster Linie über die Akteure im Gesundheitswesen spricht als mit ihnen, indem er unter anderem seine unabgesprochenen Reformpläne regelmäßig vorab in der Laienpresse platziert.«
Die Apotheken wollen ihre vier Millionen Kundenkontakte täglich nutzen, um aufzuklären, wer schuld ist, dass die Versorgung immer gefährdeter ist. »Herr Bundeskanzler, setzen Sie den sozialen Frieden in unserem Land nicht noch mehr aufs Spiel«, appelliert der MVDA. Stattdessen solle er den Vor-Ort-Apotheken vertrauen und sie stärken.