Apotheken in Sachsen bekommen Tarifvertrag |
Daniela Hüttemann |
12.12.2022 15:40 Uhr |
Berufseinsteigerinnen und -einsteiger in der Apotheke erreichen in Sachsen nun schneller eine höhere Gehaltsstufe. / Foto: Getty Images/Westend61
Seit 1998 besteht für das Bundesland Sachsen kein Tarifvertrag mehr für die Angestelltengehälter in den öffentlichen Apotheken. Das ändert sich zum 1. Januar 2023: Nach drei Jahren Verhandlungszeit unterzeichneten heute Vertreterinnen und Vertreter des Sächsischen Apothekerverbands (SAV) und der Apothekengewerkschaft Adexa in Hamburg einen neuen Rahmentarifvertrag und einen Gehaltstarifvertrag. Die Dokumente sind ab sofort auf der ADEXA-Website öffentlich sowie beim SAV im geschlossenen Mitgliederbereich zu finden.
»Wir brauchen mehr motiviertes und gut ausgebildetes Personal«, betonte Dr. Reinhard Groß, stellvertretender SAV-Vorsitzender und Leiter der Tarifkommission. »Wir haben hier einen modernen und zeitgemäßen Tarifvertrag, der auch den zunehmenden Ansprüchen an die Arbeit der Apotheken in den kommenden Jahren gerecht wird.« Besonders hervorzuheben seien eine flexiblere und familienfreundlichere Arbeitszeitgestaltung, die Förderung und Honorierung individueller Leistung und eigenverantwortlicher Fort- und Weiterbildung sowie eine besondere finanzielle Unterstützung von Berufsanfängern.
Tanja Kratt vom AdexaBundesvorstand und Leiterin der Tarifkommission freute sich, dass nun bundesweit wieder Tarifverträge im gesamten Bundesgebiet gelten. In Sachsen galt der ansonsten fast bundesweit gültige Bundesrahmentarifvertrag (BRTV) zwischen Adexa als Arbeitnehmerseite und dem ADA – Arbeitgeberverband Deutscher Apotheken bereits seit 1998 nicht mehr.
Unterzeichneten heute nach drei Jahren Verhandlung die neuen Verträge: Andreas May und Tanja Kratt von ADEXA sowie Dr. Reinhard Groß und Dr. Sebastian Michael vom Sächsischen Apothekerverband. / Foto: PZ/Daniela Hüttemann
Zwingend gilt der Vertrag, wenn der Arbeitnehmer Adexa-Mitglied und der Arbeitgeber tarifgebundenes Mitglied im SAV ist. Die Verbände gehen jedoch davon aus, dass der neue Tarifvertrag auch in vielen anderen Fällen als Vorbild dienen wird. Orientiert habe man sich zwar an vielen Stellen an den bereits geltenden Rahmenverträgen, also dem BRTV sowie dem in Nordrhein gültigen Rahmentarifvertrag zwischen Adexa und der Tarifgemeinschaft der Apothekenleiter (TGL) Nordrhein.
Die Basisgehälter für die Apothekenmitarbeiter in Sachsen liegen gemäß Auskunft von SAV und Adexa zwar 2 Prozent unter denen im BRTV. Dafür gibt es zwei freiwillige Module, die Arbeitgeber und -nehmer abschließen können: einerseisdie leistungsorientierte Bezahlung (LOB), wie sie aus Nordrhein bekannt ist, zum anderen aber auch ein bundesweit bislang einmaliges Modul zur Vergütung nach Fort- und Weiterbildungsstand. Filialleiter erhalten zudem grundsätzlich 10 Prozent mehr Grundtarif.
»Unser Vertrag unterscheidet sich durch eine innovative Vereinbarung zur Honorierung von eigenverantwortlicher Fort- und Weiterbildung«, betonte Dr. Sebastian Michael, Verhandlungsführer für den SAV, der die wichtigsten Vertragselemente vorstellte. Demnach erhalten Angestellte mit gültigem Fortbildungszertifikat für die Dauer von dessen Gültigkeit 2 Prozent Zuschlag. Das gilt sowohl für approbiertes wie auch nicht approbiertes pharmazeutisches Personal. Damit wolle man das Personal motivieren, sich regelmäßig fortzubilden. Hier übernimmt der Arbeitgeber zudem 50 Prozent der Teilnahmegebühren sowie bis zu 500 Euro pro Jahr für weitere Kosten wie Fahrt-, Übernachtungs- und Verpflegungskosten.
Wer als Approbierter eine abgeschlossene Weiterbildung für Allgemeinpharmazie, Klinische Pharmazie oder Arzneimittelinformation vorweisen kann, erhält dauerhaft einen Zuschlag von 1,25 Prozent auf das Tarifgehalt, plus weitere 0,75 Prozent bei einer Qualifikation in bestimmten Spezialisierungsbereichen der Weiterbildung wie Ernährungsberatung oder geriatrische Pharmazie.
Zertifizierte Fach-PTA mit einer einer entsprechenden Qualifikation unter Anerkennung einer deutschen Landesapothekerkammer erhalten einen Zuschlag von 1,5 Prozent. Fach-PKA für BWL und Marketing erhalten einen Zuschlag von 2,5 Prozent.
Bei der leistungsorientierten Bezahlung (LOB) gibt es Punkte für fachliche, soziale und Methodenkompetenz sowie Arbeitseffizienz, zum Beispiel die Beratungsqualität, Teamfähigkeit oder die Umsetzung von Fortbildungsinhalten. SAV und ADEXA gehen davon aus, dass die meisten Mitarbeitenden ohnehin hier im höheren Punktebereich liegen, der ein Gehaltsplus von 2 Prozent bringt. Wer 100 Punkte erreicht, bekommt bis zu 3 Prozent mehr Gehalt.
»Leistung und die Übernahme von Verantwortung soll sich lohnen«, meint der stellvertretende SAV-Vorsitzende Groß. Die sogenannte LOB solle explizit ein eigenverantwortliches und engagiertes Arbeiten fördern.
Wichtig war den Parteien auch eine flexible Arbeitszeitgestaltung mit einem Jahresarbeitszeitkonto. Wer laut Vertrag zwischen 36,5 und 40 Wochenstunden vereinbart hat, kann zwischen 29 und 48 Stunden pro Woche arbeiten. Minder- oder Mehrstunden sind innerhalb von sechs Monaten auszugleichen. Wer weniger als 36,5 Stunden Wochenarbeitszeit hat, kann zwischen 70 und 130 Prozent variieren.
»Grundlegend neu gedacht haben wir die Notdienst- und Rufbereitschaft«, erklärte Michael. In Sachsen gilt vielerorts: Wer innerhalb von zehn Minuten in der Apotheke ist, kann unter bestimmten Umständen von zu Hause aus Notdienst leisten (Rufbereitschaft). Hier ist die Vergütung allerdings niedriger als bei einer in der Apotheke durchgeführten Notdienstbereitschaft. Ist im Notdienst viel los und es ist mehr als ein Mitarbeiter nötig, gibt es unterschiedliche Zuschläge.
»Wichtig war der Adexa-Tarifkommission, dass die sogenannte 13-Prozent-Regelung aus dem Bundesrahmentarifvertrag, wonach Notdienste abgegolten sind, wenn das Gehalt mindestens 13 Prozent über dem Tarifgehalt liegt, im Tarifvertrag für Sachsen nicht enthalten ist«, ergänzt Kratt.
Der Urlaub beträgt für alle Mitarbeiter 34 Werktage, wobei jeder Tag Werktag ist, der nicht Sonn- und Feiertag ist. Ist der Mitarbeiter an weniger als sechs Werktagen in der Woche tätig, so ist der Urlaubsanspruch von Werktagen in Arbeitstage umzurechnen. Ab dem fünften Jahr Betriebszugehörigkeit gibt es einen zusätzlichen Urlaubstag.
»Auch werden Berufsanfänger innerhalb der ersten Jahre kontinuierliche Gehaltssteigerungen erfahren, da wir vor allem jungen Kolleginnen und Kollegen einen zusätzlichen Anreiz für die Arbeit in der öffentlichen Apotheke bieten wollen«, erklärte Michael. So erreichen Mitarbeiter nicht erst nach zehn, sondern bereits nach sechs Jahren die höchste Gehaltsstufe und erzielen schneller Gehaltssteigerungen als im restlichen Bundesgebiet.
Die neue Gehaltstabelle gilt genau wie der Vertrag ab dem 1. Januar 2023 und hat eine Laufzeit von zwei Jahren. Ein Zuschlag von 3 Prozent ist für alle Berufsgruppen automatisch zum 1. Januar 2024 vereinbart.
Der SAV hofft, dass der neue Vertrag mit seinen freiwilligen Modulen und flexibler Arbeitszeitgestaltung auch in Konkurrenz mit anderen Beschäftigungsmöglichkeiten wieder mehr junge Menschen in die öffentlichen Apotheken lockt. Es habe ein einstimmiges Votum für die neuen Tarifverträge in der SAV-Mitgliederversammlung gegeben, sodass der SAV von einer hohen Umsetzungsquote ausgeht.
Adexa-Bundesvorstand Andreas May kommentierte: »Von unseren Mitgliedern wissen wir, dass Tarifbindung einen wichtigen Aspekt bei der Wahl des Arbeitsplatzes darstellt. Und auch, dass die Tarifverträge Sicherheit für beide Seiten – Beschäftigte und Arbeitgeber – bieten und damit auch helfen, arbeitsrechtlichen Problemen vorzubeugen.«
Über die neuen Vertragsinhalte wolle man auch bei der nächsten Verhandlungsrunde mit dem ADA für den bundesweiten Tarifvertrag sprechen, erklärte die Apothekengewerkschaft auf Nachfrage der Pharmazeutischen Zeitung. Hier gehen die Verhandlungen im März weiter. In Nordrhein arbeite man bereits an einem ähnlichen Konzept für zusätzliche Vergütungsmodule, die an Fort- und Weiterbildung gekoppelt sind.
Zudem kündigten SAV und Adexa an, dass man mit der nun erstmals seit 25 Jahren erreichten flächendeckenden Tarifabdeckung bei der Politik vorsprechen wolle. »Wir würden unseren Mitarbeitern ja gern wesentlich bessere Bedingungen bieten, doch können wir es derzeit einfach nicht«, so Apothekeninhaber Michael mit Bezug auf die Gehälter. Auch Adexa-Vorstand May hofft hier nun auf mehr Gehör in der Politik.