Apotheken funken SOS |
Daniela Hüttemann |
08.11.2023 13:35 Uhr |
»Die Zitrone ist ausgequetscht, es ist überhaupt kein Einsparpotenzial vorhanden«, betonte LAV-Chef Berend Groeneveld unter lautem Applaus. In Hannover demonstrierten etwa 3000 Apothekenmitarbeitende gegen die aktuelle Sparpolitik. / Foto: PZ/Hüttemann
Bereits im Bahnhof wurden weiße Kittel angezogen, Protestplakate herausgeholt. Direkt vor dem Eingang weiße Westen mit Apotheken-A und dem Motto »Apotheken stärken. Jetzt!« ausgeteilt. Mehr als 2000 Apothekerinnen und Apotheker, PTA, PKA und weiteres Apothekenpersonal aus Niedersachsen, Bremen, Hamburg, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern kamen nach Hannover, um gegen die Zerstörung des Apothekenwesens durch Unterfinanzierung und Liberalisierungspläne zu demonstrieren.
Die Apothekerschaft gab sich kämpferisch, auch wenn viele Betriebe mit dem Rücken zur Wand stehen. Der Protest war wie schon im Juni bunt, laut und kreativ. Er richtete sich auch direkt gegen Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach.
»Wir Apotheken senden ein SOS«, sagte Berend Groeneveld, Vorsitzender des Landesapothekerverbands Niedersachsen, bei der Kundgebung. Das Schiff Apotheke sei auf Grund gelaufen – weil der Leuchtturm BMG falsche oder kein Signale aussende. Die letzten 20 Jahre hätten die Apotheken es mit ihren Mitarbeitenden noch geschafft, alle Unzulänglichkeiten im Gesundheitssystem von den Patienten fernzuhalten, unter größtem persönlichen Einsatz, doch nun sei das Ende der Fahnenstange endgültig erreicht. »Die Zitrone ist ausgequetscht, es überhaupt kein Einsparpotenzial vorhanden«, betonte Groeneveld unter lautem Applaus. Es stimme nicht, was Lauterbach behauptet, es gebe genug Geld im System, es sei nur falsch verteilt.
Berend Groeneveld als Vorsitzender des Landesapothekerverbands Niedersachsen freute sich über die überwältigende Teilnahme der Apothekenteams aus ganz Norddeutschland. Auch von den Inseln waren sie angereist. / Foto: PZ/Hüttemann
Daher fordern die Apotheken eine Erhöhung des Packungshonorars auf 12 Euro, eine Dynamisierung ihrer Vergütung und einen deutlichen Bürokratieabbau. Die Grundhonorierung müsse endlich wieder stimmen, »mehr Geld für mehr Leistung« nütze da nichts, da die Apotheken an ihren Leistungsgrenzen angekommen seien, so Groeneveld. »Es wird sonst Qualitätsverluste geben.« Und noch mehr Apotheken würden für immer schließen.
Rückhalt gab es von Niedersachsens Gesundheitsminister Andreas Philippi (SPD), selbst Facharzt für Chirurgie. Er hatte sogar extra für die Kundgebung seinen alten Rezeptblock wieder herausgekramt und eine Rezept gegen das Apothekensterben auf den Namen Lauterbach ausgestellt – was natürlich gut ankam bei Demoteilnehmern.
Der Arzt und Landesgesundheitsminister Dr. Andreas Philippi (SPD) will seinem Parteigenossen ein Rezept gegen das Apothekensterben verordnen. / Foto: PZ/Hüttemann
Für Philippi und die Landesregierung in Niedersachsen sei der Rückgang der Apotheken ein Warnsignal. Er selbst stehe in engem und regelmäßigem Austausch mit der Apothekerschaft auf Landesebene – ein Seitenhieb auf den Parteigenossen Lauterbach, der die ABDA monatelang warten ließ, bis es zu einem ersten Gespräch kam, und der seine Umstrukturierungspläne lieber in der FAZ statt einen Tag später direkt beim Deutschen Apothekertag präsentierte.
»Wir sprechen da die gleiche Sprache«, versicherte dagegen Philippi der demonstrierenden Apothekerschaft. Er sehe, dass die Apotheken betriebswirtschaftlich an ihre Grenzen gekommen seien, schließlich mache die Inflation auch nicht vor den Apotheken halt, das Honorar stagniere und die Tariflöhne für die Angestellten stiegen (verdientermaßen). »In den Apotheken arbeitet hochqualifiziertes Personal – die Inhabenden müssen auch die entsprechenden wirtschaftlichen Spielräume zur Verfügung gestellt bekommen, um sie angemessen zu bezahlen«, fand der Arzt und Politiker.
Eine Honoraranpassung sei dringend nötig, damit Apotheken wirtschaftlich betrieben werden könnten und auch genug junge Apothekerinnen und Apotheker den Weg in die Selbstständigkeit wählten. »Nur so können wir die gute Arzneimittelversorgung, die wir trotz der Lieferengpässe immer noch haben, weiterhin gewährleisten.«
Dazu müsse man aber auch über neue Finanzierungskonzepte nachdenken, sagte Philippi und nannte da die pharmazeutischen Dienstleistungen. Insbesondere die Medikationsanalyse leiste einen wichtigen Beitrag für den sicheren und effektiven Einsatz von Arzneimitteln. Er habe während seiner praktischen Tätigkeit die Zusammenarbeit mit »seiner« Apothekerin immer geschätzt. Und auch die zusätzlichen Impfangebote in den Apotheken würden die Arztpraxen entlasten.
»Apotheken light« würden die Probleme dagegen nicht lösen. »Eine Apotheke ohne anwesenden Apotheker, ohne Rezepturherstellung, die nicht am Notdienst teilnimmt – dadurch wird die Versorgung der Bevölkerung eindeutig nicht verbessert«, erklärte Philippi den Plänen Lauterbachs eine klare Absage. Gerade der Notdienst sei ihm wichtig und er bedankte sich für bei den Apotheken allgemein sowie denjenigen, die am Protesttag die Stellung hielten.
Philippis Statement kam bei den Demonstrierenden gut an. »Wir kämpfen für die gleiche Sache und reden auf Augenhöhe miteinander – das wünsche ich mir auch für Berlin«, sagte Groeneveld im Anschluss.
Vor allem gegen Bundesgesundheitsminister Lauterbach richteten sich zahlreiche Transparente und Plakate. / Foto: PZ/Daniela Hüttemann
Beeindruckt vom Protest zeigte sich Volker Meyer (CDU), Abgeordneter im niedersächsischen Landtag und dort im Gesundheitsausschuss tätig. Er hatte seine Partei- und Ausschusskollegen Sophie Ramdor und Thomas Uhlen dabei. »Wir können nicht rasenmäherartig Leistungen im Gesundheitssystem kürzen, das ist keine nachhaltige Finanzierung«, kritisierte Meyer das Vorgehen der Bundesregierung. Wenn Leistungen weiter beschränkt würden, fühlten sich die Bürgerinnen und Bürger im Stich gelassen.
»Der Staat hat seine hoheitliche Aufgabe der Arzneimittelversorgung der Bevölkerung an die Apotheken übertragen und setzt großes Vertrauen in sie, was sie bis jetzt auch zu unserer vollen Zufriedenheit erfüllt haben – zurecht erwarten sie jetzt von uns, dass wir die dringend benötigten finanziellen Mittel bereitstellen und den bürokratischen Wahnsinn reduzieren«, so der Politiker zu den Demonstrierenden. Für diese Aussage gab es Applaus, für das anschließende Statement, die Sache mit dem E-Rezept schaffen zu wollen, dagegen ungläubige Blicke und Pfiffe.
Bürokratieabbau ist eine der zentralen Forderungen aller Apothekenmitarbeiter. / Foto: PZ/Daniela Hüttemann
Er versprach jedenfalls, sich beim Bundesgesundheitsminister gegen die »völlig ungerechtfertigte Sparpolitik« und den Weg hinein zu einer Staatsmedizin einzusetzen. »Wir lehnen es ab, ambulante Strukturen zu zerstören und die Apotheken zu reinen Abgabestellen zu degradieren und stattdessen die Versorgung über Gesundheitskioske zu regeln. Die Beratung durch Apotheker und PTA ist unerlässlich für eine hochwertige Versorgung – Qualitätsverluste können wir uns nicht erlauben.«
Zum Abschluss der Kundgebung forderte Groeneveld alle Apothekenteams auf, die Gespräche untereinander und mit Politikern, ob Bürgermeister, Kreis-, Landtags- oder Bundestagsabgeordnete, jedem mit politischem Mandat, weiterzuführen. »Tun Sie Ihre persönliche Betroffenheit kund – wir müssen das System von unten dazu bringen, mit uns zu reden, um eine Lösung zu finden!« Als Organisator bedankte er sich noch einmal für die Daheimgebliebenden, die den Notdienst gewährleistet haben, denn das sei gerade heute kein einfacher Job gewesen.
Gegenüber der PZ äußerte sich Groeneveld als »extrem zufrieden« mit Beteiligung und Verlauf der Kundgebung. Vor allem freute er sich auch über die positiven Aussagen der Politiker. »Hier werden wir ernst und wahrgenommen.«
»Die Redner haben uns aus dem Herzen gesprochen«, meinte Christiane Lutter, Vorsitzende des Bremer Apothekervereins. Es sei eine sehr emotionale Veranstaltung gewesen, in der auch Bremen laut vertreten war. Lutter betonte, dass viele Angestellte dabei waren.
Die Vorsitzende des Bremer Apothekervereins Christiane Lutter (links) mit Ina Bartels vom LAV Niedersachsen. / Foto: PZ/Daniela Hüttemann
Dafür hatte sich unter anderem auch Christian Burgdorf bedankt, der als Vorsitzender des Arbeitgeberverbands Niedersächsischer Apotheken gesprochen hatte. Er erinnerte an die bundesweit rund 160.000 wohnortnahen, familienfreundlichen Arbeitsplätze. »Wir wollen unseren gut ausgebildeten, engagierten Mitarbeitenden natürlich sichere und angemessene Gehälter zahlen«, so Burgdorf, doch viele Inhabende könnten es mittlerweile nicht mehr, müssten sogar trotz anhaltend hoher Arbeitsbelastung Personal aus betriebswirtschaftlichen Gründen entlassen.
»Wir Apotheken können nur als Teams existieren«, erinnerte auch Groeneveld und bedankte sich neben den Approbierten, PTA und PKA auch explizit bei Boten und Reinigungspersonal. »Jeder einzelne Mitarbeiter zählt und ist wichtig – auch für die kämpfen wir hier.«
»Wichtig ist, dass wir weiter laut protestieren, damit das Apothekensterben endlich aufhört«, sagte Cathrin Burs, Präsidentin der Apothekerkammer Niedersachsen, zur PZ. »Wir dürfen unser bewährtes System nicht weiter mit neuen Strukturen wie Apotheken light und Gesundheitskiosken in Gefahr bringen. Noch haben wir ein resilientes System für die Arzneimittelversorgung – wir brauchen keine Strukturveränderungen, sondern jetzt die richtige Unterstützung gegen die Unterfinanzierung.«
Niedersachsens Kammerpräsidentin Cathrin Burs will weiter für die Apotheken kämpfen. / Foto: PZ/Daniela Hüttemann
»Wer die Apotheken kaputt spart, spart auch die Arzneimittelversorgung kaputt – das hier ist ein wirklicher Hilferuf«, bekräftigte auch Kai Christiansen, Kammerpräsident in Schleswig-Holstein, gegenüber der PZ. »Wir stehen für Verlässlichkeit – die ist uns die Politik noch schuldig. Statt ein bewährtes System zu stabilisieren, will Lauterbach diese Strukturen nicht nur destabilisieren, sondern sogar zerstören und durch Gesundheitskioske ersetzen. Dort will Lauterbach unsere Gesundheit verramschen.«
Schleswig-Holsteins Kammerpräsident Kai Christiansen bekam vor einigen Monaten von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck ein höheres Apothekenhonorar in Aussicht gestellt. Daran möge sich der Minister halten, hieß es heute in Hannover. / Foto: PZ/Hüttemann
Christiansen hielt auch während der Kundgebung direkten Kontakt mit Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne), der von Groeneveld ebenfalls adressiert wurde. »Halten Sie Ihr Wort, setzen Sie sich für uns ein, überzeugen Sie Ihre Koalitionspartner«, appellierte Groeneveld an Habeck in Berlin. Der Minister hatte gegenüber Kammerpräsident Christiansen in Aussicht gestellt, dass sich sein Haus um die Erhöhung des Apothekenhonorars bemühen werde.