Apotheke ohne Apotheker ist wie Parlament ohne Parlamentarier |
Schleswig-Holsteins Kammerpräsident Kai Christiansen hofft, dass die Apotheken vor Ort die Ära Lauterbach überleben werden (Archivbild). / Foto: PZ/Daniela Hüttemann
»Wir leben in einer parlamentarischen Demokratie«, stellte Christiansen zu Beginn seines Berichts bei der gestrigen Kammerversammlung in Kiel noch einmal fest. Das bedeute, nicht die Bürger, nicht die Apotheken und auch nicht ein Minister allein machten Gesetze, sondern das Parlament, also der Bundestag erstelle Gesetze und habe die Regierung zu überwachen.
»Die Parlamentarier stehen in der Verantwortung, die stete Aushöhlung und damit die Gefährdung der Arzneimittelversorgung durch Lieferengpässe, Bürokratiewahnsinn und ein immer dramatischeres Apothekensterben zu beenden«, konstatierte der Kammerpräsident. Es sei beunruhigend zu hören, wenn auch aus dessen eigenen Reihen niemand mehr zum Bundesgesundheitsminister durchdringe.
Karl Lauterbachs Referentenentwurf zum Apothekenreformgesetz (ApoRG) hatte die Kammerversammlung in Kiel gestern ziemlich genau zu ihrem Beginn überrascht – kolportiert über die »FAZ«. Auf die Details konnte Christiansen daher noch nicht eingehen; klar war unter anderem, dass der Entwurf immer noch an Filialapotheken ohne Approbierten festhält.
»In diesen Tagen wird sich zeigen, ob die politisch Verantwortlichen ihrer Verantwortung gerecht werden können«, so Christiansen. Wenn nicht, könne man auch die Frage stellen, ob ein »Parlament ohne Parlamentarier« analog der »Apotheke ohne Apotheker« nicht die kostengünstigere Alternative wäre.
Es gehe um nichts anderes als die Frage: »Wollen wir in Deutschland diese Aufgabe weiterhin den freiberuflich und von Inhaberinnen und Inhabern geführten Vor-Ort-Apotheken übertragen, die diese hoheitliche Aufgabe hocheffizient und absolut verlässlich erbringen und dafür weniger als 2 Prozent der GKV-Ausgaben in Anspruch nehmen?«
Christiansen erinnerte: Mit weniger als 2 Prozent des GKV-Budgets müssen die rund 17.000 Apotheken mit fast 160.000 Beschäftigten derzeit auskommen. »Die Krankenkassen kosten mit ihren gerade mal 125.000 Beschäftigten mehr als doppelt so viel wie die Apotheken. Warum also nicht mal bei den Verwaltungsausgaben der Krankenkassen sparen, warum kann eine PTA bei den Krankenkassen deutlich mehr verdienen als in der Vor-Ort-Apotheke?«, fragt sich Christiansen.
Er erinnerte daran, dass gerade dieses Apothekensystem dazu beigetragen habe, Deutschland besser als andere Länder durch die Corona-Pandemie zu bringen und die Patienten trotz Lieferengpässen tagtäglich mit ihren dringend benötigten Arzneimitteln zu versorgen. »Weniger als 2 Prozent für die Vor-Ort-Apotheken, die nicht müde werden, den Patienten die Rabattverträge zu erklären, das E-Rezept und viele andere unerklärbare Maßnahmen, die sich Politik und Krankenkassen ausdenken.«
Politikverdrossenheit entstehe, wenn man sich nicht mehr auf deren Aussagen verlassen könne, wie die Apotheken, denen der immer noch für die Arzneimittelpreisverordnung zuständige Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) vergangenes Jahr im persönlichen Austausch mit Kammerpräsident Christiansen eine Anpassung des Honorars versprochen hatte.
Die finanzielle Schieflage vieler Apotheken hänge auch mit der gnadenlosen Umsetzung seiner Wahlversprechen zusammen. »Sorry, lieber Robert Habeck, aber Menschen aus meinem Bundesland stehen zu dem, was Sie versprechen – wir halten unser Wort«, so der zutiefst enttäuschte Apotheker.
Zugleich hatte Christiansen einen Vorschlag, woher das dringend benötigte Geld für die Apotheken kommen könnte: »Wenn der Staat die Kirchensteuer einzieht, kassiert er dafür zwischen 2 und 4 Prozent des Steueraufkommens, wenn die Apotheken die Zuzahlung für die Krankenkassen einziehen, bekommen sie gar nichts.« 4 Prozent des Zuzahlungsaufkommens wären knapp 100 Millionen Euro. 4 Prozent des Herstellerabschlags, den die Apotheken sogar mit eigenem Haftungsrisiko einziehen müssen, wären 75 Millionen Euro. Und auch bei der Erfüllung der Rabattverträge helfen die Apotheken den Krankenkassen kräftig zu sparen.
»Die Resignation in den Gesichtern meiner Kolleginnen und Kollegen war noch nie so deutlich spürbar wie zurzeit«, berichtete Christiansen und plädierte zugleich dafür, trotzdem weiter für eine faire Vergütung und den Erhalt der inhabergeführten Apotheke vor Ort zu kämpfen, indem jeder Einzelne möglichst viele Politiker aller Parteien über die Folgen des Nicht-Handelns beziehungsweise die Folgen der geplanten Reform aufklärt und sie an ihre Verantwortung erinnert, wie dies auch die Kammerpräsidenten, Verbandsvorsitzenden und ABDA-Präsidentin Gabriele Regina Overwiening nicht müde werde zu tun.
»Unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter leisten jeden Tag in der Apotheke ebenfalls Aufklärungsarbeit bei den Patienten. Wir alle tun dies, weil wir auch morgen noch für unsere Patienten da sein wollen und weil wir – zu Recht – der tiefen Überzeugung sind, dass es keine verlässlichere, effizientere, qualifiziertere und menschlichere Alternative zur Apotheke-vor-Ort gibt.«
Das Gespräch mit seinem Bürgermeister, Landrat, Landtags- oder Bundestagsabgeordneten zu suchen – dazu hatte zuvor auch der ABDA-Pressesprecher und Kommunikationsverantwortliche Benjamin Rohrer aufgerufen. In seinem Gastvortrag stellte er die Kommunikationsstrategien der ABDA vor und diskutierte diese mit den Delegierten der Kammerversammlung. Die Strategie ist angepasst an das Gesetzgebungsverfahren. Nun, da der Referentenentwurf vorliegt, geht es in die heiße Phase.
Viel diskutiert wurden auch die anderen Tagesordnungspunkte wie die anstehende Sanierung des ZL-Gebäudes in Eschborn. ZL-Leiterin Professor Mona Tawab war eigens nach Kiel gekommen, um die Dienstleistungen und den Nutzen darzustellen, den jede einzelne Apotheke aus dem ZL ziehen kann. Nach durchaus kontroverser Diskussion beschloss die Kammerversammlung, der Sanierung bis zu einer Höhe von sechs Millionen Euro zuzustimmen.
Dagegen entschieden sich die Delegierten, ebenfalls nach Austausch vieler Argumente, die Mitgliedschaft im Deutschen Arzneiprüfungsinstitut (DAPI) nicht fortzuführen. Zudem wurden noch der Kammerhaushalt verabschiedet.
Unter dem Tagesordnungspunkt Apothekerversorgung wurde der Jahresabschluss für das Geschäftsjahr 2023 beschlossen. Die Immobilienkrise habe dazu geführt, dass keine zufriedenstellende Rendite erzielt wurde. Renten und Anwartschaften wurden daher nicht erhöht. Nach dem Bericht des Wirtschaftsprüfers stellte sich die Risk-Management-Consulting GmbH vor, die das Versorgungswerk seit dem 1. März 2024 zu Fragen der Kapitalanlage und des Risikomanagements berät.